9. Juli 2006

Zettels Meckerecke: Satire darf alles

Es ist das Schicksal derjeniger, die Texte produzieren, daß nicht ihre Texte bekannt werden, sondern Bruchstücke daraus.

Wenn der Textproduzent Glück hat, dann werden sie - diese "Zitate", diese "Worte von ..." - in der Textform bekannt, in der er sie geschrieben hat. Wenn er großes Glück hat, dann werden sie sogar in dem Kontext verwendet, in dem sie ursprünglich standen.

Solches Glück ist freilich selten. Der Regelfall ist die Verhunzung des Textes und die Verwendung des "Zitats" nach völligem Belieben dessen, der es sich aneignet.

Oft ist das "Zitat" so etwas wie die reflexhafte Antwort auf den Namen seines Autors. Galilei? Und sie bewegt sich doch! Nietzsche? Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht. Zola? J'accuse.

Und Tucholsky? Satire darf alles.



Auf dieses "Zitat" beruft sich jeder Dummkopf; jeder, der kaum einen gescheiten Satz schreiben kann, der aber über eine gewisse angeborene Rotzigkeit verfügt.

Was ihn im bürgerlichen Leben disqualifizieren würde - daß er andere beleidigt, herabsetzt, sich mit billigen Witzchen über sie zu erheben trachtet -, das gewinnt in seinen Augen die Weihen des Anständigen, ja der Kunst, wenn er es "Satire" nennt. Und wenn es gar noch Satire im Dienst einer, wie er meint oder zu meinen vorgibt, humanistischen Politik ist, dann ist nicht nur unser selbsternannter Satiriker vom Wert seines Produkts überzeugt, sondern er findet meist auch ein applaudierendes Publikum.



Unter der Überschrift "Polens neue Kartoffel - Schurken, die die Welt beherrschen wollen" schrieb in der taz vom 26.6.2006 ein gewisser Peter Köhler über den Präsidenten Polens, Lech Kaczynski:
Es war bekannt, dass der 1949 geborene Kaczynski jene schwere Generation vertritt, die bereits vor ihrer Geburt von Deutschland gebissen worden war. (...)

Russland hatte Polen schließlich den Daumen des Kommunismus in den After gedrückt; und seit den Siebzigerjahren wollten beide Kaczynskis den Sozialismus aus den Pantinen kippen. (...)

Doch als 1989 der Kommunismus abgeräumt wurde und Lech Walesa das Ruder übernahm, schlug auch für Lech Kaczynski die Uhr. Er (...) wurde im Jahr 2000 für wenige Monate ein kurzer Justizminister, der mit allen Gesetzen gewaschen war und sich auch keine schiefen Haare wachsen ließ, als ein Geschäftsmann mit dem zwielichtigen Namen Janusz Heathcliff Ivanovski Pineiro behauptete, die Brüder Kaczynski hätten bei der Eröffnung ihrer Zentrumsallianz Geld aus dem Staatshaushalt in den eigenen Sack gestopft. (...)

Wie Pilsudski sind die Kaczynskis Polen bis über beide Ohren, und das Vaterland sitzt ihnen wie angegossen. Dass die zwei vorn wie hinten sauber sind, haben sie bewiesen: Lech, der öffentliche Hinterteile an Warschaus Männern mehrmals verbot, mehr noch Jaroslaw, der mit der eigenen Mutter zusammenlebt - aber wenigstens ohne Trauschein. (...)
Widerlich, nicht wahr? Beleidigungen, Insinuationen, sexuelle Anspielungen. Dreck also. Gossenjournalismus, gegen den die Boulevardpresse ein Hort der Seriosität ist.

Aber "Satire darf doch alles", sagt das nicht Tucholsky?




Das Zitat stammt aus einem kleinen Beitrag Tucholskys, der unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel im Berliner Tageblatt vom 27. Januar 1919 erschien. Man kann ihn in den Gesammelten Werken, zehn Bände bei Rowohlt, in Band 2 nachlesen.

Es ist eine freundliche, humorvolle, Verteidigung der Satire gegen diejenigen, die sie in Grund und Boden kritisieren. Dagegen richtet sich Tucholskys fast schüchterne Rechtfertigung:
Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird. (...) Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle - Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Frauen und Volksbeauftragte - wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren ("Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!"), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt.
Das ist es, was Tucholsky "uns sagen" will: Leute, laßt euch auch mal durch den Kakao ziehen! Und sein Artikel - ein paar Dutzend Zeilen, nicht mehr - endet mit dem Paukenschlag, mit dem Tucholsky gern solche Glossen und Essays abschloß:
Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint. Was darf die Satire? Alles.


Wie die FAZ vom 6. Juli 2006 berichtet, hat der Chef der polnischen Präsidentenkanzlei, Maciej Lopinski, die "Satire" in der taz mit dem Stil des "Stürmer" verglichen. Ein nachvollziehbarer Vergleich, ein naheliegender Vergleich.

Am Ende der Meldung in der FAZ nun lesen wir:
"taz" entschuldigt sich (...) Die "Tageszeitung" hat sich unterdessen entschuldigt. In einem offenen Brief an "die Kartoffel" schrieb die Redaktion, man bedauere aufrichtig, daß man ein Gemüse mit so "wunderschönen Sorten" mit dem polnischen Präsidenten verglichen habe.
Es handelt sich also nicht um lediglich die Entgleisung eines Autors und des zuständigen Redakteurs, der für diesen Beitrag verantwortlich war. Die Meldung der FAZ kann man nur so verstehen, daß sich die taz-Redaktion hinter den Artikel stellt. Indem sie - offenbar ähnlich satirisch begabt wie Peter Köhler - diese "Entschuldigung" fabriziert hat, die noch eins draufsetzt.



Tucholsky kann nichts für diejenigen, die ihn zitieren. Die deutsche Linke kann nichts dafür, daß ein Blatt, das diese Art der Satire pflegt, als "linksalternativ" bezeichnet wird.