8. November 2010

Castor-Transporte nach Gorleben und deren Störung: Einige (leider) notwendige Anmerkungen

"In Berlin haben sich in letzter Zeit die Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Einbrechern verschärft".

Wie würden Sie eine solche Meldung finden? Absonderlich, nicht wahr? Denn wenn die Polizei die Kriminalität bekämpft, dann sind das doch keine "Auseinandersetzungen". Die Verbrecher übertreten die Gesetze, und die Polizei versucht sie zu fassen. Sie wird auch, soweit möglich, präventiv tätig.

Und nun lesen Sie bitten den Anfang dieser Meldung von gestern Abend in FAZ.Net:
Die Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten um den Atommülltransport im Wendland haben sich am Sonntag verschärft. Immer wieder kam es zu Blockaden der Straßen und Bahngleise. Die Polizeibeamten setzten nach eigenen Angaben Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray gegen Aktivisten ein, die bei Dannenberg eine Bahnstrecke unterhöhlten.
Kaum etwas an dieser Meldung ist sprachlich richtig:
  • Es finden keine "Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten" statt. Das Wort "Auseinandersetzungen" wäre dann eine treffende Bezeichnung, wenn es zum Beispiel um einen Streit zwischen rivalisierenden Banden ginge. Der Begriff setzt voraus, daß es sich um Kontrahenten auf derselben Ebene handelt.

    Der wahre Sachverhalt ist, daß Gesetzesbrecher (die polizeiamtliche Bezeichnung ist in solchen Fällen "Störer") Straftaten begehen oder zu begehen trachten und daß die Polizei, wie es ihre Aufgabe ist, sie daran zu hindern sucht. Eine richtige Formulierung des ersten Satzes der Meldung wäre beispielsweise gewesen: "Störer haben am Samstag weiter versucht, durch Straftaten den Castor-Transport nach Gorleben zu behindern. Dies erforderte einen verstärkten Einsatz der Polizei zum Schutz des Transports".

  • Es "kam" nicht "zu Blockaden", so wie es auf der Autobahn zu Staus kommt, sondern Störer haben Schotter von den Gleisen entfernt, Polizeibeamte mit Eisenstangen und Molotow-Cocktails angegriffen, Barrikaden errichtet und angezündet. Sie haben in mindestens einem Fall ein Polizeifahrzeug in Brand gesetzt, in dem sich Beamte befanden. Zu so etwas "kommt es" nicht, sondern Kriminelle tun es, und zwar vorsätzlich und geplant.

  • Besonders irreführend ist die Bezeichnung "Demonstranten" und "Aktivisten" für die Störer.

    Politische Aktivitäten auch außerhalb der Parteien sind nicht nur erlaubt, sondern in einer Demokratie erwünscht. Ein Aktivist ist jemand, der sich aktiv für politische Ziele einsetzt; sagen wir, für oder gegen Stammzellenforschung oder für die soziale Marktwirtschaft. Diese Störer aber sind so wenig "Aktivisten", wie diese Bezeichnung auf Einbrecher und Betrüger paßt. Auch handelt es sich (siehe unten) nicht um Demonstranten.
  • Ja gewiß, das ist alles trivial. Jeder weiß es. Aber offenbar ist es inzwischen in Deutschland notwendig, auf solche trivialen Sachverhalte hinzuweisen. Sonst könnte es ja nicht zu Meldungen wie derjenigen in FAZ.Net kommen.



    Hier etwas ausführlicher einige Punkte, auf die aufmerksam zu machen mir angebracht erscheint:
  • Erstens ist daran zu erinnern, daß es sich bei der Störung der Castor-Transporte keineswegs um eine Demonstration handelt. Es ist daran zu erinnern, welche Rechte Demonstranten haben und welche sie nicht haben.

    Eine Demonstration ist definiert als "Versammlung oder Umzug mehrerer Personen unter freiem Himmel". Das Grundgesetz sagt dazu in Artikel 8:
    (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

    (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
    Bei dem, was die Störer tun, handelt es sich nicht um eine Versammlung und nicht um einen Umzug. Von "friedlich" kann gewiß keine Rede sein.

    Mit dem Demonstrationsrecht hat das exakt nichts zu tun. Es handelt sich je nach Umständen (Sie können das zum Beispiel in der Legal Tribune nachlesen) um die Straftatbestände der Nötigung (§ 240 StGB), des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) und des Landfriedensbruchs (§ 125 StGB); bei Gewalt gegen Polizeibeamte um Körperverletzung (§ 223 StGB), gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) oder schwere Körperverletzung (§ 226 StGB); bei Gewalt gegen Sachen um Sachbeschädigung (§ 303 StGB); beim "Schottern" um Störung öffentlicher Betriebe (§ 316a StGB).

  • Es gibt keine wie auch immer geartete politische oder gar moralische Rechtfertigung für diese rechtswidrigen Handlungen.

    Wer gegen die friedliche Nutzung der Atomenergie ist, dem stehen zur Durchsetzung dieses politischen Ziels dieselben Wege offen, die in unserem demokratischen Rechtsstaat jedem Bürger und jeder Vereinigung von Bürgern zur Durchsetzung ihrer Ziele offen stehen. Er kann über die Parteien und/oder durch andere legale Mittel (wie eben zum Beispiel Demonstrationen) auf die Gesetzgebung Einfluß zu nehmen versuchen. Er kann, falls er Gesetze verletzt sieht, auf dem Klageweg eine Klärung herbeiführen.

    Selbstjustiz ist in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zu rechtfertigen; durch nichts. Der Hausbesitzer, dessen Haus wegen eines Autobahnbaus enteignet wurde und das dann abgerissen werden soll, darf es nicht mit Gewalt "verteidigen"; so sehr hier der Staat in seine persönliche Freiheit eingreift. Die staatliche Ordnung mutet es jedem Bürger zu, daß seine schulpflichtigen Kinder zur Schule gehen müssen, ob er will oder nicht. Der Wehrpflichtige muß sich staatlichen Entscheidungen fügen, die tief in sein Leben eingreifen; die sein Leben unter Umständen gefährden.

    Ebenso hat selbstverständlich jeder, der mit der Atompolitik der jeweiligen Regierung und Parlamentsmehrheit nicht einverstanden ist, sich demokratischen Entscheidungen und den aus ihnen folgenden staatlichen Maßnahmen und Anordnungen zu fügen. Daß er sich vor einem GAU fürchtet, daß er Probleme bei der Endlagerung sieht, oder was immer ihn motiviert, kann unter keinen Umständen rechtfertigen, daß er zur Selbstjustiz greift. Er hat sich wie jeder Bürger dem Recht unterzuordnen.

  • Nun wird in diesem Zusammenhang oft ein "Recht auf Widerstand" ins Feld geführt. In der Tat gibt es in Deutschland ein Widerstandsrecht. Es steht in Artikel 20 des Grundgesetzes:
    (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

    (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

    (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

    (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
    Offensichtlich umfaßt dieses Widerstandsrecht nicht rechtswidrige Handlungen gegen die Atompolitik. Auch der extremste Gegner dieser Politik wird nicht behaupten können, daß durch sie der Versuch unternommen werde, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik zu beseitigen.

  • Wir haben es mit einer Gruppe von Menschen zu tun, die sich einem einzigen politischen Ziel - der Beendigung der friedlichen Nutzung der Atomenergie in Deutschland - verschrieben haben; Personen, die sich, um dieses Ziel zu erreichen, über die Regeln des demokratischen Prozesses hinwegsetzen und Straftaten begehen. (Ob das Anzünden eines Fahrzeugs, in dem sich Menschen befinden, ein Mordversuch war, wird hoffentlich der Strafprozeß gegen die Täter von gestern klären, sofern sie gefaßt werden konnten).

    Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, daß alle am demokratischen Prozeß Beteiligten sich von einer solchen Gruppe und ihren Methoden distanzieren. Wenn je die "Gemeinsamkeit der Demokraten" verlangt ist, dann hier, wo eine kleine Gruppe von Extremisten versucht, die Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen mit dem Mittel des Gesetzesbruchs zu beeinflussen.

    Leider kann davon keine Rede sein. Nicht nur Kommunisten, darunter Mitglieder des Bundestags, haben zu Straftaten aufgerufen, indem sie öffentlich für das "Schottern" von Gleisen eintraten (siehe "Ziel unserer Aktion ist es, die Schiene unbrauchbar zu machen". Ein Aufruf zu Rechtsverstößen; ZR vom 14. 10. 2010).

    Sondern auch Politiker der SPD und der Grünen lassen jede Distanzierung vermissen. "Wer diesen Wahnsinn verantwortet, der kann sich jetzt nicht hinter den Polizisten verstecken", sagte SPD-Chef Gabriel. Cem Özdemir und Claudia Roth waren gestern zusammen mit Gregor Gysi bei einer "Treckerdemonstration" in der Nähe von Gorleben zu sehen. In "Welt-Online" schreibt dazu Frank Schmiechen:
    Doch nicht nur die Gewalt diskreditiert die Botschaft der friedlichen Demonstranten. Die Parteispitze der Grünen nutzt die Veranstaltung zum peinlichen Anti-Atom-Fotoshooting mit Fans. Claudia Roth, Jürgen Trittin und Cem Özdemir tun alles, um aus der Besorgnis der Demonstranten maximale parteipolitische Vorteile zu schlagen. Dass es auch unter der rot-grünen Regierung Castortransporte gegeben hat und Trittin noch 2001 aufgerufen hatte, auf Demonstrationen zu verzichten, wird mit dem etwas saloppen Argument weggewischt, dass es damals noch den Beschluss zum Atomausstieg gegeben hätte.
    Als wenn das für die Notwendigkeit der Castor-Transporte einen Unterschied machen würde.

  • Das Zelotentum einer sehr kleinen Minderheit (20.000 sollen es am Wochenende gewesen sein; so viele wie die Besucher eines einzigen Bundesliga-Spiels an einem Spieltag mit schlechtem Besuch) wird erbarmungslos politisch ausgeschlachtet. Der Blick von Gabriel, Özdemir und Gysi ist nach Stuttgart gerichtet, auf die Landtagswahlen des nächsten Jahres; und natürlich auf den angezielten Machtwechsel im Bund 2013.

    Die Medien spielen ganz überwiegend mit. Seit Freitag ist dieses Thema fast unaufhörlich der Aufmacher in den Nachrichtensendungen (siehe Gorleben. Gesetzesbrecher und wie die Medien über sie berichten; ZR vom 5. 11. 2010). Ich habe am Beginn dieses Artikels die FAZ zitiert, weil an deren Berichterstattung abzulesen ist, wie weit eine irreführende, verharmlosende Sichtweise auch bereits in die "bürgerlichen" Medien eingedrungen ist.

    Der Adressat von solchen "Aktionen" ist allein die mediale Öffentlichkeit. Es geht um Werbung, um - wie es die alten Anarchisten sagten - die "Propaganda der Tat".

    Würden die Hintermänner dessen, was sich am Wochenende auf dem Weg nach Gorleben abgespielt hat, eine solche mediale Aufmerksamkeit auf legalem Weg zu erlangen versuchen (also durch bezahlte Werbung, durch das Verteilen von Flugblättern, das Schalten von Anzeigen usw.), dann hätte sie das viele Millionen gekostet. Dank krimineller Energie und dank Helfern in den Medien hat es sie fast nichts gekostet.



  • Heute morgen wird gemeldet, daß die Polizei um 1.40 Uhr mit der Räumung der Strecke begonnen hat und daß diese kurz vor 7 Uhr beendet wurde. Die Polizisten waren teilweise mehr als 24 Stunden im Einsatz gewesen. Sie hatten zum Teil nicht zu essen bekommen, weil die Zufahrt für die mobilen Küchen blockiert worden war.

    "Die Polizei ist absolut am Ende ihrer Kräfte" hatte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Rainer Wendt, gestern Abend gesagt. Mehr als 20.000 Polizisten waren im Einsatz gewesen. Auch sie oft junge Leute, wie die Mehrzahl der Straftäter. Junge Leute, die sich für diesen demokratischen Rechtsstaat einsetzen, statt seine Ordnung zu bekämpfen.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Faksimile der Verkündigungsformel des Grundgesetzes; frei von Urheberrecht gemäß § 5 UhrG. Für eine vergrößerte Ansicht bitte auf das Bild klicken.