3. November 2010

Marginalie: Einiges zu den Wahlen in den USA, das Sie nicht überall lesen werden

Was das Gesamtergebnis der gestrigen Wahlen in den USA angeht, hat sich das bestätigt, was ich heute Nacht geschrieben habe.

Der Sieg der Republikaner im Repräsentantenhaus dürfte lediglich noch größer ausfallen, als es um drei Uhr aussah. Gegenwärtig liegen die Republikaner bereits 60 Sitze vor den Demokraten. Es dürften am Ende zwischen 60 und 70 werden.

Im Senat werden die Demokraten eine knappe Mehrheit behalten. Sie ist aber so gering, daß - so sagte es soeben Jonathan Mann in CNN - die Partei des Präsidenten faktisch die Kontrolle über den Senat verloren hat.

Denn es gibt dort bei so gut wie jeder Abstimmung Senatoren, die sich nicht an eine Parteilinie halten (sofern es im Senat so etwas überhaupt gibt). Nur bei einer deutlichen Mehrheit kann ein Präsident deshalb damit rechnen, daß ihm seine Partei im Senat in der Regel folgt.

Außerdem benötigt eine Partei die Mehrheit von 60 Sitzen, um filibustering zu verhindern, mit dem die Minderheitspartei faktisch jedes Gesetz kippen kann, wenn sie das will.



Da also das Gesamtbild des Ergebnisses jetzt feststeht, kann man den Blick auf die eine oder andere Einzelheit richten. Hier sind ein paar Informationen, die Sie wahrscheinlich nicht überall finden werden:
  • Die klassischen Hochburgen der Demokraten sind die Ostküste (genauer gesagt: der nördliche Teil der Ostküste, also Neuengland), die Westküste (Washington, Oregon, Californien) und der Mittlere Westen (die alten Industriestaaten in der Gegend der Großen Seen wie Wisconsin und Minnesota). Wenn Sie sich diese interaktive Karte der New York Times mit den einzelnen Wahlkreisen ansehen, dann erkennen Sie aber ein komplexeres Bild:

    Einerseits gewinnen die Republikaner auch in diesen Hochburgen; z. B. im Süden von Californien und in Michigan, wo die Wirtschaftskrise besonders zu spüren ist. Andererseits finden Sie an ganz anderen Orten blaue Inseln im roten Meer; vor allem dort, wo viele Latinos wohnen, also beispielsweise im südlichen Texas an der Grenzen zu Mexico.

    Den Demokraten geht durch die schlechte Wirtschaftslage ein Teil ihrer Wähler in der Arbeiterschaft verloren; sie gewinnen andererseits neue Wähler aufgrund der Einwanderung von Latinos.

  • Die Kandidaten der Tea Party haben zwar überwiegend glänzend abgeschnitten, aber eben nur überwiegend. In Delaware hat Christine O'Donnell eine ziemlich vernichtende Niederlage erlitten (sie erreichte 40 Prozent, ihr demokratischer Gegenkandidat Christopher Coons fast 57 Prozent).

    O'Donnell ist jene Kandidatin, die in einer Talkshow mitgeteilt hatte, daß sie früher einmal ihre Nase in die Hexerei gesteckt hätte ("dabbled into witchcraft"). Die Rede, in der sie in der vergangenen Nacht ihre Niederlage eingestand, war dürftig, um es gelinde auszudrücken. Sie behauptete, sie hätte eigentlich gewonnen, weil durch ihre Nominierung die Republikanische Partei in Delaware eine andere geworden sei.

    Mir scheint, sie hat zu Recht verloren. Allein zur Tea Party zu gehören reicht eben auch nicht, um die Wähler zu überzeugen.

  • Der bewegendste Moment, den ich in der Wahlnacht bei CNN gesehen habe, war der Auftritt von John A. Boehner, der Nancy Pelosi als speaker (ungefähr, aber nicht ganz vergleichbar: Präsident) des Repräsentantenhauses beerben wird. Als er von seinem Aufstieg aus kleinsten Verhältnissen sprach, konnte er seine Emotionen nicht beherrschen. Das wirkte überhaupt nicht gespielt.

    Boehner wuchs als zweites von zwölf Kindern in einer Arbeiterfamilie auf. Er arbeitete zunächst als Hausmeister; sein Studium verdiente er sich mit Gelegenheitsarbeiten. Er ist der klassische self made man; inzwischen wohlhabend und von Präsident Obama deshalb immer wieder als der Mann der Großindustrie angeprangert.

    Karrieren wie die von Boehner findet man bei vielen Politikern der Republikaner (siehe Wie vermögend sind die Mitglieder des Senats der USA?; ZR vom 30. 10. 2010). Es ist eben ein Irrtum, die GOP als die Partei der Reichen und die Demokraten als die Partei der Unterprivilegierten zu sehen. Eher könnte man sagen, daß die Demokraten die Partei der Millionäre und der Sozialhilfe sind und die Republikaner die Partei des sozialen Aufstiegs.

  • Wahrscheinlich wird es noch Wochen dauern, bis das Ergebnis der Wahlen zum Senat offiziell feststeht. Der Grund ist eine Besonderheit in Alaska: Dort sieht das Wahlrecht die Möglichkeit vor, einen sogenannten write-in candidate zu wählen. Das ist jemand, der nicht auf dem Wahlzettel steht und dessen Namen der Wähler per Hand hinzufügt.

    Als eine solche Kandidatin trat in Alaska die bisherige republikanische Senatorin Lisa Murkowski an, nachdem sie bei den Vorwahlen von einem Kandidaten der Tea Party, Joe Miller, geschlagen worden war. Im Augenblick liegt Murkowski vor Miller und hat gute Aussichten auf den Sieg.

    Bei einem solchen Kandidaten muß aber jeder Wahlzettel darauf geprüft werden, ob der Name auch (hinreichend) korrekt geschrieben ist. Bei dem Namen Murkowski nicht ganz leicht. Diese Prüfung beginnt erst am 18. November und kann sich lang hinziehen. Bis sie abgeschlossen ist, wird man also offiziell nicht wissen, wie der Senat genau zusammengesetzt ist.

    Daß Murkowski vorn liegt, ist eine ziemlich große Enttäuschung für die ehemalige Gouverneurin von Alaska Sarah Palin, die Joe Miller unterstützt hatte. Murkowski meinte bei ihrem Auftritt in der vergangenen Nacht, in Alaska gehe es eben anders zu als anderswo.

    Sie ist derselbe Typ wie Sarah Palin - der Typ Frau, den man sich gut im Wilden Westen vorstellen kann. Im Pionierstaat Alaska also jemand, der beim Wähler ankommt.

  • In Californien konnte Arnold Schwarzenegger nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren. Gewonnen hat dort jemand, den die Älteren vielleicht noch kennen: Jerry Brown, der dieses Amt bereits von 1973 bis 1985 innehatte. Eine Rückkehr ins selbe Amt nach einem Vierteljahrhundert - so etwas leicht Schräges ist ebenso typisch für die Californier, wie daß sie mit Schwarzenegger einen Filmstar und Bodybuilder gewählt hatten, dessen Englisch so klingt, als sei er frisch aus Wien angereist.
  • Ach ja, Californien, da war doch noch etwas. Genau, die Proposition 19.

    Eine traurige Nachricht für viele: In Californien wird man auch weiter nicht ganz unbeschwert kiffen können. Die Propostion 19, die den Genuß von Marijuana freigeben wollte, wurde nach einer Hochrechnung mit einer Mehrheit von 54 Prozent abgelehnt.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Einiges von dem, was in diesem Artikel steht, habe ich auch schon in Zettels kleinem Zimmer geschrieben.