8. Dezember 2010

Die westlichen Geheimdienste im Kampf gegen das iranische Nuklearprogramm. Eine Recherche des Nouvel Observateur

Der aktuelle Nouvel Observateur enthält einen glänzend recherchierten Bericht darüber, mit welchen Mitteln die westlichen Geheimdienste das iranische Prorgramm zum Bau einer Atombombe auszuspähen und zu hintertreiben, wie sie es mindestens zu verlangsamen versuchen.

Dieser Artikel "La guerre secrète contre le programme nucléaire iranien" (Der geheime Krieg gegen das iranische Nuklearprogramm) ist im Blog eines der beiden Autoren, Vincent Jauvert, auch für Nichtabonnenten zugänglich.

Vincent Jauvert ist einer der französischen Journalisten mit den besten Geheimdienst-Kontakten. Sein Mitautor Henri Guirchoun leitet das Auslandsressort des Nouvel Observateur.

Nach den Recherchen der beiden Autoren gibt es beim Kampf gegen das iranische Nuklearprogramm ein Maß an Zusammenarbeit, das weit über den üblichen Austausch zwischen befreundeten Diensten hinausgeht. Sie sprechen von einer "solidarité inédite", einer einmaligen Solidarität. Beteiligt sind vor allem der Mossad, die CIA, der französische Auslandsnachrichtendienst DGSE (Direction Générale de la Sécurité Extérieure), der BND und der britische SIS, oft MI6 (Military Intelligence, Section 6) genannt.



Die meisten dieser koordinierten Aktionen bleiben im Dunkeln. Bekannt wurde jedoch der Angriff mit dem Computervirus Stuxnet. Offiziell erfuhr man von ihm erst im Juni dieses Jahres; aber er ist schon eineinhalb Jahre am Werk.

Stuxnet ist ein sozusagen maßgeschneiderter Virus, der nur die elektronische Steuerung bestimmter Motoren befällt - von Motoren mit einer Drehgeschwindigkeit zwischen 807 und 1.210 Hertz, gesteuert von einem Siemens-System. Solche Motoren gibt es nur in einem Land der Welt und nur für eine Art des Einsatzes: Sie steuern die Tausende von Zentrifugen in den iranischen Fabriken, in denen Uran angereichert wird.

Die Wirkung von Stuxnet besteht darin, diese Motoren sich immer schneller drehen zu lassen, bis sie auseinanderfliegen. Anschließend wird wieder eine normale Stromzufuhr hergestellt, so als sei nichts gewesen. Mitte November fand die Internationale Atomenergie-Kommission, daß in der Anreicherungsanlage Natanz mehr als die Hälfte der Zentrifugen außer Betrieb waren.

Gebastelt wurde diese Wunderwaffe des Cyber-Kriegs vermutlich in Israel, wo nördlich von Tel Aviv eine Art israelisches Squaw Valley entstanden ist, mit zahlreichen kleinen Software-Firmen; oft gegründet von Ingenieuren, die ihre Ausbildung in Spezialeinheiten der israelischen Armee erhalten haben und die als Reservisten auch weiter mit dem Militär zusammenarbeiten.



Stuxnet scheint ein israelischer Alleingang gewesen zu sein. Meist aber kooperiert man.

Eine solche konzertierte Aktion war die Entdeckung der geheimen Nuklearanlage in Qom.

2003 führten die Dienste Satellitenfotos, die von Auswertern der französischen DGSE analysiert worden waren, mit amerikanischen Radaraufnahmen zusammen. Es entstand der Verdacht, daß in einer Bergregion des Iran eine geheime Anlage gebaut wurde; man wußte aber zunächst nicht, worum es sich handelte.

Der Mossad wurde einbezogen. Er hatte einen Maulwurf in dieser Anlage; der Agent lieferte Fotos aus ihrem Inneren. Ein weiterer Dienst - wahrscheinlich der MI6 - beschaffte eine Liste der Güter, die durch Tunnel zu dieser Baustelle geschafft wurden.

Dies alles, zu einem Puzzle zusammengesetzt, ergab von 2007 an die Vermutung, daß bei Qom eine geheime Anlage zur Anreicherung von Uran gebaut wurde. Anfang Sommer 2009 war man so sicher, daß man es offiziell mitteilen wollte. Aber da wurde ein Maulwurf des MI6, der in der Anlage spioniert hatte, enttarnt und hingerichtet. Der Mossad verlangte darauf, die Bekanntgabe zu verschieben, bis er seinen eigenen Agenten in dieser Anlage in Sicherheit gebracht hatte.

Im September war dieser über die Türkei aus dem Iran herausgeschleust. Jetzt konnten Obama, Sarkozy und der damalige britische Premier Gordon Brown anläßlich eines Gipfels, zu dem sie sich in Pittsburgh trafen, die Entdeckung der geheimen Anlage offiziell bekanntgeben.



Der Schutz von Quellen steht in diesem geheimen Kampf ganz im Vordergrund, schreiben Jauvert und Guirchoun. Denn darauf beruht die Chance, einheimische Agenten zu rekrutieren. Diese müssen sicher sein, daß alles getan wird, um sie vor einer Entdeckung zu bewahren; andernfalls kann man sie nicht gewinnen oder verliert sie wieder.

Dem BND ist dieser Schutz einmal mißlungen; was seiner Arbeit im Iran schwer geschadet hat. 2002 warb er einen Iraner als Agenten an (Deckname "Delphin"), der Details über die Anlage Natanz und über die militärische Nutzung der Nuklearenergie im Iran sammelte und auf seinem Laptop speicherte. Er tat das in der Hoffnung, als Gegenleistung neben seiner Bezahlung politisches Asyl in Deutschland zu erhalten.

Dieser Agent wurde 2004 enttarnt und getötet. Aber es gelang seiner Frau, mit dem Laptop über die Türkei zu fliehen. Die mehr als 1000 Dokumente verrieten den westlichen Geheimdiensten, daß der Iran an nuklearen Sprengköpfen für seine Raketen arbeitete.



Danach übernahm die CIA im Iran. Sie startete ein Programm mit dem Namen "Brain Drain", dessen Ziel es war - und ist -, iranische Atomwissenschaftler abzuwerben. Eine Liste von Ansprechpartnern wurde zusammen mit dem Mossad erstellt; hauptsächlich Personen, die einmal im Westen studiert und/oder gearbeitet hatten.

Einer der wichtigsten Überläufer, der durch dieses Programm gewonnen wurde, war wahrscheinlich der General Ali Reza Asgari. Er hatte in den 1970er Jahren in den USA studiert und war im Iran zum stellvertretenden Verteidigungsminister aufgestiegen. 2007 verschwand er während einer privaten Reise in die Türkei; wahrscheinlich von der CIA und dem Mossad geschleust. Man hätte durch ihn wertvolle Erkenntnisse gewonnen, erfuhr der Nouvel Observateur aus dem Mossad.

Verworren ist die Geschichte des Überläufers Shahram Amiri, die Wirbel in den Medien machte. Er kam 2009 über Saudi-Arabien in die USA, wo er dem CIA seine Erkenntnisse verriet. Aber waren es Erkenntnisse, oder war es Desinformation? Vierzehn Monate nach seiner Flucht war er wieder in Teheran und behauptete, entführt worden zu sein.



Es geht aber nicht nur um Überläufer. Offenbar versuchen die Dienste auch, wichtige Wissenschaftler im Nuklearprogramm des Iran gezielt zu töten; möglicherweise mit Hilfe von Untergrundkämpfern, etwa Kurden oder Balutschen.

Im Januar 2007 wurde der Atomwissenschaftler Ardeshir Hassanpour tot aufgefunden, offenbar durch Gas vergiftet. Im Januar 2010 starb der Physiker Masoud Ali Mohamadi, der im Nuklearprogramm arbeitete, durch eine Explosion in Teheran. Vor wenigen Tagen, am 27. November, explodierten die Autos von zwei Atomwissenschaftlern zeitgleich in Teheran. Einer starb; einer der wenigen Experten für Isotopentrennung im Iran.

Überwiegend ist die Sabotage aber wohl weniger mörderisch. Die Dienste versorgen vor allem die westlichen Behörden mit Informationen, die es ihnen erlauben, Material für das Atomprogramm zu entdecken und zu beschlagnahmen, bevor es den Iran erreicht.

Ein anderes, sehr geheimdienstliches Verfahren besteht darin, sich das Material zu verschaffen und es unbrauchbar zu machen; dann erst wird es in den Iran verkauft. In einer gemeinsamen Aktion von CIA, MI6 und Mossad wurden beispielsweise Vakuumpumpen, die von Schweizer Geschäftsleuten in den Iran geliefert werden sollten, zuerst in die USA verbracht, wo man sie ein wenig veränderte, bevor sie den Weg in den Iran antraten.



Wenn man dergleichen liest, dann stellt sich die Frage, was das alles eigentlich bewirken kann. Das fragen am Ende ihres Artikel auch die beiden Autoren. Wird man die Iraner durch solche Maßnahmen dazu bringen, ihr Programm abzubrechen und auf das Ziel zu verzichten, Atommacht zu werden?

Unwahrscheinlich. Man erreicht lediglich eine Verzögerung. Aber wozu eigentlich? In der Obama-Administration heißt es, man "gewinne dadurch Zeit für Diplomatie". Glauben die Amerikaner also, sie könnten am Ende durch gute Worte, oder vielleicht mit Geld und guten Worten, Ahmadinedschad und die Ayatollahs bekehren? Glauben das gar die Israelis? Und was, wenn nicht?

Da scheiden sich die Geister. Aus der amerikanischen Regierung hörten die französischen Autoren, man werde notfalls einen atomar gerüsteten Iran hinnehmen müssen und den Iran dann irgendwie "in Schach halten" (contenir, also englisch contain).

In Israel sieht man das anders, schreiben Jauvert und Guirchoun:
"A la fin des années 1970, le Mossad a lancé une série impressionnante d'opérations clandestines visant à retarder le programme nucléaire irakien, rappelle le journaliste Ronen Bergman. En 1979, dans les chantiers de La Seyne-sur-Mer, il a détruit la cuve d'un réacteur atomique avant sa livraison à Bagdad. Pourtant, trois ans après, Israël est parvenu à la conclusion qu'il n'y avait plus d'autre choix que de bombarder la centrale d'Osirak". Sans le feu vert de Washington.

"Ende der 1970er Jahre führte der Mossad bekanntlich eine eindrucksvolle Reihe von geheimen Operationen durch, um das irakische Nuklearprogramm zu verzögern", sagt der Journalist Ronen Bergman. "1979 zerstörte er auf der Werft La Seyne-sur-Mer den Druckbehälter eines Atomreaktors, bevor dieser an Bagdad geliefert werden konnte. Und dennoch kam drei Jahre später Israel zu dem Ergebnis, daß es keine andere Wahl mehr hatte, als die Zentrale von Osirak zu bombardieren". Ohne grünes Licht aus Washington.



Soweit die beiden Autoren des Nouvel Observateur.

Noch einmal die Frage: Warum also alle diese Sabotageversuche; diese Mühen, das Programm zu verzögern? Wenn man doch damit rechnet, am Ende militärisch zuschlagen zu müssen (Israel) oder einen atomar gerüsteten Iran hinzunehmen (die Obama-Administration)?

Die Antwort mag sein: Es gibt eben viele Unwägbarkeiten; damit Gründe, auf Zeit zu spielen. Israels Ziel könnte es sein, bis Ende 2012 ohne Militärschlag auszukommen; also bis zur Wahl eines neuen amerikanischen Präsidenten, der vielleicht nicht mehr der alte ist und mit dem man würde kooperieren können.

Sowohl Israel als auch die USA könnten zweitens die Möglichkeit im Auge haben, daß es im Iran doch noch zu einer Revolution kommt, bevor er die Bombe hat.

Als im Sommer 2009 nach den gefälschten Wahlen eine vorrevolutionäre Situation entstand, hat sich Präsident Obama freilich so verhalten, als sei ihm das Regime der Ayatollahs lieber als ein demokratischer Iran (siehe Zitate des Tages: "Der Unterschied zwischen Ahmadinedschad und Mussawi ist gar nicht so groß". Das beschämende Verhalten des Präsidenten Obama; ZR vom 21. 6. 2009).

Aber möglicherweise hat Obama ja inzwischen verstanden, daß seine Idee einer Kooperation mit dem Regime in Teheran dort nicht so recht auf Gegenliebe stößt. Jedenfalls könnte es sein, daß Mitglieder seiner Regierung das verstanden haben.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette von der Autorin Daniella Zalcman unter Creative Commons Attribution 2.0 Generic license freigegeben. Bearbeitet.