30. März 2012

Marginalie: Der Fall Schlecker und die Parteipolitik. Ein weiterer Erfolg für die FDP. Wie wird sich Lindner verhalten?

Derzeit läuft bei "Spiegel-Online" eine Abstimmung, bei der sich ein bemerkenswertes Ergebnis abzeichnet:
FDP blockiert Schlecker-Hilfen - richtig oder falsch?

Die FDP hat die Verhandlungen über Hilfen für die Schlecker-Mitarbeiter platzen lassen. Richtig so?
  • Die Liberalen haben richtig gehandelt, Steuergeld sollte nicht in Hilfspakete für Firmen fließen

  • Die FDP-Blockade war falsch, denn sie bestraft die Mitarbeiter, die unschuldig an der Firmenpleite sind
  • Bis zum Augenblick haben sich 11.793 Leser beteiligt. Die Stimmen zugunsten der FDP-Entscheidung überwiegen mit 54,0 Prozent zu 46,0 Prozent.

    Das ist umso bemerkenswerter, als "Spiegel-Online" gestern und heute den üblichen Propagandafeldzug gegen die FDP veranstaltet hat. Stundenlang war ein agitatorischer Artikel von Veit Medick (früher "taz") mit dem Titel "Gescheiterte Schlecker-Verhandlung - FDP ist pleite" der Aufmacher, versehen mit einem Foto, das Philipp Rösler mutterseelenallein zeigt, umgeben von leeren Sitzen.

    Aber es scheint, daß diesmal die Agitprop nicht funktioniert; nicht einmal bei den Lesern von "Spiegel-Online". Auch diese sind, so scheint es, zu zwei einfachen Überlegungen fähig:

    Erstens braucht man in einer Zeit, in welcher der Einzelhandel nachgerade händeringend nach Verkäuferinnen sucht, keine eigene Transfergesellschaft, um die jetzt arbeitslos werdenden Verkäuferinnen von Schlecker wieder in Arbeit und Brot zu bringen. Zumal es ja die Spezialisten der Agenturen für Arbeit gibt, die just dazu geschult sind und vom Steuerzahler dafür entlohnt werden, das zu tun.

    Zweitens dürfte sich auch der durchschnittliche Leser von "Spiegel-Online" fragen, wo denn die soziale Gerechtigkeit liegt, wenn Betroffene einer spektakulären Firmenpleite vom Staat spezielle Hilfen erhalten, auf die Opfer der vielen kleinen Pleiten beispielsweise von Tante-Emma-Läden verzichten müssen.

    Die FDP hat also das Richtige getan; sie hat sich zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Wochen so verhalten, wie es notwendig ist, wenn sie wieder auf die Beine kommen will: Ein Thema aufgegriffen, das die Menschen interessiert; dabei klar eine liberale Position bezogen und diese Position mit Standfestigkeit durchgehalten. Philipp Röslers Verhalten bei der Nominierung von Joachim Gauck war - so könnte man es im Rückblick sehen - so etwas wie ein Probelauf. Jetzt beginnt sich zu zeigen, daß er diesen Weg offenbar entschlossen weiter beschreiten will.



    Aber das ist doch Parteipolitik! Kann man das denn billigen? Natürlich ist es auch Parteipolitik, wie bei vielen Entscheidungen, die zugleich aber auch sachlich richtig sind. Etwas wird ja nicht zwangsläufig dadurch falsch, daß es auch dem Erfolg einer Partei dienen soll.

    Ebenfalls parteipolitisch motiviert war im übrigen der Vorstoß des Landes Baden-Württemberg zur Gründung einer Auffanggesellschaft; in der FAZ haben das gestern Henning Peitsmeier und Rüdiger Soldt beschrieben. Hinter dieser Initiative aus Stuttgart steckte nämlich jemand, der eine Schärfung seines Profils mindestens so dringend braucht wie die FDP: Der baden-württembergische Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende Nils Schmid; laut FAZ jemand, der
    ... eigentlich gern Regierungschef wäre, aber als Juniorpartner jeden Tag mit an sehen [sic] muss, wie sich der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu einer Kultfigur mit landesväterlicher Attitüde entwickelt. Schmid, der auch SPD-Landesvorsitzender ist, konnte angesichts der Schlecker-Insolvenz für einige Wochen endlich die Rolle ausfüllen, auf die er hingearbeitet hatte: Er konnte Superminister sein, der Retter der "Schlecker-Frauen".
    Das hat ihm die FDP nun vermasselt.

    Wie schon nach der Nominierung von Gauck war es Philipp Rösler bei seinem gestrigen Auftritt vor der Presse anzumerken, wie wichtig es ihm inzwischen ist, Entscheidungsfreude und Entschlossenheit zu vermitteln. Er wirkt dabei noch etwas steif und übermotiviert; aber er ist aus meiner Sicht auf dem richtigen Weg.

    Endlich hat die Führung der FDP, so scheint es, begriffen, daß nur Eigenständigkeit und Handlungsorientierung sie retten kann; aber weder ein Schmusekurs noch ein ständiges Jammern darüber, daß die Union sie in der Regierung nicht zum Zug kommen läßt.

    Die Gelegenheiten müssen sich natürlich bieten; man kann sie nicht herbeizaubern. Die Nominierung von Gauck war eine solche Gelegenheit gewesen, weil die FDP in einer idealen taktischen Position gewesen war (siehe Joachim Gaucks Nominierung: Sieg für die Freiheit, Erfolg der FDP; ZR vom 19. 2. 2012). Diesmal ergab sich die Gelegenheit dadurch, daß Philipp Rösler als Wirtschaftsminister der zuständige Ressortleiter in Berlin ist.

    In München stellt die FDP mit Martin Zeil ebenfalls den Wirtschaftsminister. Auch er konnte jetzt ein wenig an seinem persönlichen Profil arbeiten; und demjenigen der bayrischen FDP. Als klar war, daß nicht alle Bundesländer sich an einer Transfergesellschaft beteiligen würden, konnte Zeil den zaudernden Seehofer auf seinen Kurs bringen.



    Jetzt wird es darum gehen, daß die FDP diese Erfolge in Wählerstimmen umsetzt; am 6. Mai in Schleswig-Holstein und eine Woche später in Nordrhein-Westfalen, wo sich die FDP viel von ihrem unverhofften Spitzenkandidaten Christian Lindner erhofft.

    Lindner freilich hat bisher das, was die FDP braucht - Prinzipientreue und Standfestigkeit - nachgerade spektakulär vermissen lassen; sowohl bei seinen politischen Stellungnahmen als auch in seinem persönlichen Verhalten. Ich bin deshalb der Meinung, daß er nicht der richtige Mann zur rechten Zeit ist (siehe Ausgerechnet Lindner!; ZR vom 16. 3. 2012, sowie Der Liberale Gauck, der Liberale Lindner. Wer sieht da alt aus?; ZR vom 19. 3. 2012).

    Zwei Umfragen nach der Nominierung Lindners zeigen allerdings einen Anstieg der FDP in NRW auf immerhin vier Prozent. Ich hoffe, daß das nicht nur ein Strohfeuer ist und daß Lindner Themen findet, bei denen er so zupackt wie jetzt Rösler. Ich hätte mich dann zwar in Lindner geirrt; aber das wäre sehr zu meiner Freude.­
    Zettel



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