19. März 2012

Marginalie: Der Liberale Gauck, der Liberale Lindner. Wer sieht da alt aus?

Im aktuellen gedruckten "Spiegel" (12/2012 vom 19. 3. 2012) gibt es eine Geschichte über Christian Lindner und eine über Joachim Gauck; basierend jeweils auf einem unmittelbar vorausgehenden Gespräch. Der Redakteur Ralf Neukirch hatte mit Lindner "in einem Café unweit des Reichstags" gefrühstückt. Das Gespräch mit Gauck führten der Chefredakteur Georg Mascolo und der Chef des Haupstadtbüros, Konstantin von Hammerstein, am vergangenen Donnerstag im Katholischen Zentrum in Berlin.

Gauck wie auch Lindner sind Liberale. Der eine könnte der Großvater des anderen sein. Über den Jüngeren heißt es:
Er wollte ein neues Grundsatzprogramm schreiben. Es sollte den Liberalismus neu definieren. (...)

Lindner hätte nach dem Rücktritt Westerwelles wohl selbst Parteichef werden können, aber er wagte es nicht. Es sei auch eine "Frage der Vermittlung in die Öffentlichkeit" gewesen, sagt er. Ein 38-Jähriger könne Parteichef werden, ein 32-Jähriger nicht. (...)

Lindner nahm Rösler halbherzig in Schutz. Drei Tage später trat er zurück. Er wollte nicht dabei sein, wenn der Parteivorsitzende stürzt.
Dies ist das Bild eine zögerlichen, eines halbherzigen und vorsichtigen Menschen, den ein Programm mehr interessiert als das operative Geschäft; der zurückzuckt, wenn er eine Führungsposition erreichen könnte; der - so hat er es offenbar gegenüber dem "Spiegel"-Redakteur dargelegt - den aus seiner Sicht bevorstehenden Sturz Röslers nicht etwa als eine Chance sah, selbst nach der Macht in der Partei zu greifen. Sondern der aus Erschrecken - oder welcher Emotion auch immer - vor diesem Ereignis das Weite suchte.

In dem Artikel über Gauck heißt es:
Die Deutschen sehen ihre Gesellschaft oft nur als Summe ihrer Mängel. (...) Wo ist der Optimismus, wo die Zuversicht, wo der Glaube an die eigene Zukunft? (...) Diesen Verdruss der Deutschen wird er angreifen als Präsident. Er will ihnen wieder Zutrauen in die eigene Kraft geben. "Wir müssen an das glauben können, was wir schon mal gekonnt haben", sagt Gauck, "dann werden uns Kräfte zuwachsen."
Den Jungen schreibt man im allgemeinen zu, daß sie mehr als die Alten optimistisch sind und handlungsorientiert. Mit zunehmendem Alter wird man vorsichtiger, hat aus Schaden gelernt; neigt man mehr zum Wägen als zum Wagen.

Wer von diesen beiden Liberalen, Lindner und Gauck, wirkt auf Sie als der Junge? Wer von den beiden sieht alt aus?



In dem Artikel über Gauck steht auch dies:
Gauck teilt in weiten Teilen den Freiheitsbegriff der FDP, auch wenn er ihn klüger vermitteln kann als die Partei selbst.
Klüger vielleicht auch; aber das scheint mir nicht das Wesentliche zu sein. Für Gauck ist die Freiheit eine Herausforderung und eine Chance; ist sie die Gelegenheit und zugleich eine Aufforderung zum Handeln. Für Lindner scheint sie eher ein abstrakter Gedanke zu sein, über den sich klug reden und schreiben läßt. Lindner will den Liberalismus "neu definieren". Gauck will ihn zu neuem Leben erwecken.

"Auf Parteiveranstaltungen erklärte Lindner den Liberalismus immer noch so schön, wie nur er das kann", schreibt Neukirch über den Generalsekretär Lindner. Vielleicht kann nur er das so schon: das Erklären. Die Menschen mögen belehrt aus diesen Versammlungen herausgegangen sein; begeistert für die Sache des Liberalismus wohl nicht.

Eine FDP im Geiste Gaucks hätte eine Chance - eine ausgezeichnete Chance sogar -, in Deutschland wieder zu einer politischen Kraft zu werden; zu einer treibenden Kraft. Eine blutleer über den Liberalismus theoretisierende FDP im Geist Lindners, eine Partei, der ein Programm wichtiger ist als praktische Politik, wird von der politischen Bühne verschwinden.

Ich fürchte, wir werden davon ein Stück in Nordrhein-Westfalen erleben, wo Lindner dem bevorstehenden Wahlkampf seinen Stempel aufdrücken soll (siehe Ausgerechnet Lindner! Realsatire in der NRW-FDP; ZR vom 16. 3. 2012).­
Zettel



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