6. März 2012

US-Präsidentschaftswahlen 2012 (20): Dieser Super Tuesday wird vermutlich alles offenlassen. Über die komplizierte Arithmetik von Vorwahlen

So super ist dieser Super Tuesday diesmal gar nicht. 2008 fanden an einem einzigen Dienstag (damals war es schon der 5. Februar) in gleich 24 Staaten der USA Vorwahlen und Caucuses statt; zu vergeben waren bei den Demokraten 52 Prozent und bei den Republikanern 41 Prozent der Delegierten­sitze. Diesmal geht es bei den Demokraten um gar nichts, da Obama ohnehin als Kandidat feststeht. Und bei den Republikanern (der GOP) werden in zehn Staaten nur 416 Delegierte bestimmt; das sind nicht mehr als 18,1 Prozent derer, die im August in Tampa, Florida, über den Kandidaten für die Präsidentschaft entscheiden werden.

Anders als vor vier Jahren wird deshalb auch nach dem heutigen Super Tuesday vermutlich alles noch offenbleiben. Damals brachte der 5. Februar bei der GOP den entscheidenden Durchbruch für John McCain. Er gewann an diesem Tag 602 Delegierte, fast dreimal so viele wie sein nächster Verfolger - dieser hieß übrigens Mitt Romney. (Bei den Demokraten hingegen ging auch nach dem Super Tuesday das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Hillary Clinton und Barack Obama weiter).

Um die heutigen Ergebnisse und ihre Konsequenzen verstehen zu können, muß man zunächst einmal wissen, daß in drei der zehn Staaten (Alaska, Idaho und North Dakota) Caucuses stattfinden, die anders ablaufen als Primaries. Primaries (ich habe es schon in früheren Folgen dieser Serie erläutert) sind staatliche organisierte Vorwahlen mit geheimer Abstimmung an Wahlurnen. Bei einem Caucus trifft man sich innerhalb einer Nachbarschaft - in einer Schule, einem Gemeindehaus, vielleicht sogar einer Privatwohnung. Es wird debattiert, dann abgestimmt. Die Regeln dafür sind von Staat zu Staat verschieden.

Auch bei den Primaries hat jeder Staat seine eigenen Regularien; vor allem, was den Delegiertenschlüssel angeht. Die Delegierten werden meist auf der Basis der Wahlkreise für Kongreßwahlen (congressional districts) vergeben. Dabei gibt es zahlreiche spezielle Regelungen. Um einen Eindruck von der Komplexität dieser Wahlarithmetik zu geben, hier das Beispiel Georgia:
  • Von den 76 Delegierten werden 42 auf Basis der Wahlkreise vergeben. Gewinnt ein Kandidat in einem Wahlkreis die absolute Mehrheit, dann erhält er dessen 3 Delegierte. Wenn nicht, dann erhält der Erste 2 und der Zweite 1 Delegierten; die anderen gehen leer aus.

  • 31 Delegierte werden proportional auf alle Kandidaten aufgeteilt, die mindestens 20 Prozent der Stimmen im Staat Georgia erreicht haben; die anderen gehen leer aus.

  • Die restlichen 3 Delegierten werden demjenigen Kandidaten zugeschlagen, der insgesamt die meisten Stimmen hat.
  • In anderen Staaten ist das anders. In Tennessee zum Beispiel braucht ein Kandidat zwei Drittel aller Stimmen eines Wahlkreises, um alle drei Delegierten zu gewinnen. In Massachusetts werden die Delegierten überhaupt nicht nach Wahlkreisen vergeben, sondern auf der Ebene des Gesamtstaats proportional auf alle Kandidaten verteilt, die mindestens 15 Prozent erreicht haben.

    Wenn im Lauf der Nacht die Ergebnisse einlaufen, dann sollte man sich also davor hüten, aus ihnen unmittelbar die Stärke der Kandidaten abzuleiten, was Delegiertensitze angeht. Es kann da erhebliche Abweichungen geben.



    Nate Silver, dessen Artikel ich die obigen Details entnommen habe, hat unter Berücksichtigung aller dieser Besonderheiten und der aktuellen Umfragen eine Vorhersage errechnet; dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß in den drei Caucus-Staaten Alaska, Idaho und North Dakota keine Umfragen durchgeführt wurden. Hier stützt sich die Vorhersage nur auf das Urteil von Experten.

    Nach dieser Projektion wird Romney der Sieger sein, aber keiner der drei anderen ein wirklicher Verlierer.

    Romney wird danach Delegierte aus allen 10 Staaten gewinnen - alle aus Massachusetts und Idaho; mehr als jeder andere aus Ohio, Virginia, North Dakota und Vermont; und einen mehr oder weniger großen Anteil, ohne Sieger zu sein, aus den restlichen Staaten. Insgesamt gibt ihm Nate Silver 224 Delegierte.

    Santorum ist in den letzten Umfragen deutlich abgefallen; um 31 Delegierte gegenüber der letzten Projektion vom Sonntag. Gingrich hat hinzugewonnen, während Romney und Paul ungefähr stabil geblieben sind.

    Diese Änderungen in letzter Minute führen dazu, daß Nate Silver jetzt sogar Gingrich mit 87 Delegierten knapp vor Santorum mit 76 Delegierten sieht. Paul wird danach 25 erhalten, und weitere 25 sind nicht auf einen Kandidaten festgelegt.

    Gingrich hat vor allem in seinem Heimatstaat Georgia noch einmal zugelegt, aus dem er jetzt 56 Delegierte erwarten kann. Santorum hat ziemlich gleichmäßig fast überall verloren.

    Aus den bisherigen Vorwahlen und Caucuses hat Romney bereits 180 Delegierte, Santorum 90, Gingrich 29 und Paul 23. Fallen die heutigen Ergebnisse ungefähr so aus, wie Nate Silver das erwartet, dann käme Romney auf 404 Delegierte; weit vor Santorum mit 166, Gingrich mit 116 und Paul mit 48 Delegierten. Was bedeutet das für den weiteren Vorwahlkampf?

    Ron Paul dürfte in jedem Fall im Rennen bleiben. Wie ich es wiederholt in dieser Serie beschrieben habe, ist er ein Sonderfall: Mit seinen libertären Ansichten steht er so weit außerhalb der Hauptströmungen der GOP, daß er allenfalls dann eine Chance hätte, wenn er der einzige wäre, der gegen Obama gewinnen kann. Andererseits aber hat er eben wegen dieser Ansichten - und wegen seiner großartigen, gewinnenden Persönlichkeit - begeisterte Anhänger vor allem unter den Jungen. Sein Ziel ist es, mit einer möglichst starken Delegation nach Tampa zu fahren und dort das Wahlprogramm (die platform) im Sinn seiner libertären Ideen zu beeinflussen.

    Die drei anderen werden sich, so ist zu erwarten, auch nach den heutigen Entscheidungen weiter Hoffnung auf die Nominierung machen.

    Romney bleibt ohnehin der Favorit. Santorum schien ihm nach den Vorwahlen am 7. Februar diese Rolle streitig machen zu können (siehe Minnesota, Missouri, Colorado - die Wende für Rick Santorum? ; ZR vom 8. 2. 2012). Nach den Vorwahlen in Arizona und Michigan war er dann so etwas wie ein strahlender Verlierer (siehe "Als der Dampf sich nun erhob, sieht man Romney, der gottlob ...; ZR vom 29. 2. 2012). Sein jetziges Abschneiden wird er wohl in jedem Fall als weiteren Erfolg werten, denn er bleibt in der Gesamtrechnung sehr wahrscheinlich Zweiter hinter Romney.

    Der einzige, bei dem sich die Frage nach dem Ausscheiden stellen könnte, ist Newt Gingrich. Er wird in Georgia gewinnen, was ihm zwar viele Delegierte bringt, aber wenig psychologischen Schub (momentum) - denn daß ein Kandidat in seinem Heimatstaat siegt, gilt in den USA als das Übliche und ist deshalb wenig wert. Einen Schub könnte es ihm aber geben, daß er insgesamt besser abschneiden dürfte, als es ihm die Umfragen noch vor Kurzem vorhersagten.



    Den "Tag der Entscheidung", von dem "Spiegel-Online" phantasiert, wird es also wahrscheinlich heute nicht geben, und auch keinen "Super-Krimi". Es geht eher um die psychologischen Auswirkungen.

    Hier wird Ohio besonders interessant sein, und dort in erster Linie die Stimmen der Arbeiter. Sie - besonders die gewerkschaftlich organisierten Wähler - haben bisher zu Santorum tendiert, der gern populistisch auftritt; der Millionär Romney hatte es bei dieser Wählerschaft schwer.

    Jetzt aber, so schrieb gestern die New York Times, könnte sich das in Ohio ändern. Romney hat seinen Wahlkampf dort gezielt auf diese blue collar workers zugeschnitten; vor allem mit dem Thema, daß er als erfolgreicher Unternehmer weiß, wie man neue Jobs schafft. "More jobs, less debt, smaller government" ist jetzt sein Slogan - mehr Jobs, weniger Schulden, kleinere Regierung.

    Und dann kommt Romney immer wieder das Argument der electability zugute, der Wählbarkeit. Egal wer - nur Obama soll weg. Das ist eine weitverbreitete Stimmung. Die New York Times zitiert einen Wähler, der eigentlich zu Santorum tendiert. Aber auch Romney würde er wählen, sagte er - "Ich würde für einen toten Hund stimmen statt für Obama".­
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.