29. April 2012

Frankreichs Wahljahr 2012 (5): Sarkozys Aussichten sind dahin. Drei Gründe, warum er nicht mehr gewinnen kann












Zwei Wahlgänge im Abstand von zwei Wochen, wie bei der Wahl des französischen Präsidenten - das kann für einen Kandidaten eine zweite Chance sein. Es kann auch ein Tal der Tränen sein, das er durchschreiten muß; dann nämlich, wenn er weiß, daß seine Aussichten dahin sind, er aber so tun muß, als glaube er noch an einen Sieg.

Nicolas Sarkozys Aussichten sind dahin. Er hätte am Abend des 22. April, heute vor einer Woche, vielleicht noch eine geringe Chance gehabt, wenn mindestens einer dieser drei Fälle eingetreten wäre:


1. Der Fall, daß es in diesem ersten Wahlgang ein Kopf-an-Kopf-Rennen gab, bei dem Sarkozy als erster durchs Ziel ging.

In der Woche vor der Wahl war das noch möglich erschienen (Die Lage vor dem ersten Wahlgang; ZR vom 21. 4. 2012); aber die letzten Umfragen und vor allem der Trend der Tage vor dem Wahltag machten es unwahrscheinlich (Eine kleine Korrektur meiner Prognose; ZR vom 21. 4. 2012).

Am Ende lag Sarkozy mit 27,18 Prozent hinter Hollande, der es auf 28,63 Prozent brachte. An sich kein großer Rückstand; aber Sarkozy hatte Hollande eben doch nicht schlagen können. Hinzu kam, daß die psychologisch wichtigen ersten Hochrechnungen und durchgesickerten Zwischenergebnisse Hollande teilweise noch deutlicher vorn gesehen hatten (Der Wahlabend der ersten Runde; ZR vom 23. 4. 2012). Ein momentum, einen Aufschwung zwischen den beiden Wahlgängen, der seine Anhänger mobilisiert hätte, konnte dieses Ergebnis Sarkozy nicht bringen.


2. Eine weitere Möglichkeit: Der liberale Kandidat François Bayrou erzielt ein gutes Ergebnis und schließt für den zweiten Wahlgang ein Bündnis mit Sarkozy.

Über eine solche Entwicklung war in den Wochen vor der Wahl spekuliert worden; und es hatte kaum verhüllte Einladungen aus Sarkozys Lager gegeben, nach dem ersten Wahlgang eine derartige Vereinbarung zu treffen: Bayrou empfiehlt seinen Wählern, im zweiten Wahlgang für Sarkozy zu stimmen. Im Gegenzug sagt dieser Bayrou zu, ihn im Fall eines Siegs zum Premierminister zu ernennen oder ihm ein Schlüsselministerium anzubieten (Die Lage zehn Tage vor dem ersten Wahlgang; ZR vom 12. 4. 2012).

Unwahrscheinlich war ein solcher Handel von vornherein gewesen, weil man von der Wahl 2007 her wußte, daß Bayrou sich nicht zwischen einem Bündnis mit der Linken oder der Rechten entscheiden kann oder will; so sehr ihm das auch schaden mag. Noch unwahrscheinlicher wurde dies dann durch das Ergebnis Bayrous, der mit 9,13 Prozent nicht einmal sein Minimalziel erreichte, über 10 Prozent zu kommen.

Jetzt hat er sich in der vergangenen Woche so verhalten, wie man François Bayrou kennt: Honorig, an der Sache orientiert - und politisch ineffizient. Er hat nämlich einen Brief an die beiden Kandidaten geschrieben, in denen er sie um ihre Stellungnahme zu den für ihn entscheidenden Fragen zur Zukunft Frankreichs bittet.

Beide haben inzwischen geantwortet; Hollande knapp, Sarkozy auf sieben Schreibmaschinenseiten. Am 3. Mai, also drei Tage vor dem zweiten Wahlgang, will Bayrou mitteilen, welche Konsequenzen er zieht; ob er sich etwa doch zu einer consigne durchringt, einer Wahlempfehlung für den einen oder den anderen Kandidaten.

Selbst wenn er das tun sollte und selbst wenn er sich für Sarkozy entschiede, würde das aber nicht mehr viel bewirken können. Denn Bayrous Wähler sind selbständig denkende Leute, von denen sich schon vor Monaten ein Teil entschieden hat, im zweiten Wahlgang Hollande zu wählen; ein Teil, die Stimme im second tour Sarkozy zu geben. Die jüngsten Umfragen zeigen genau dasselbe Bild wie vor dem ersten Wahlgang: Ungefähr ein Drittel von Bayrous Wählern wird für Hollande stimmen, ein Drittel für Sarkozy und ein Drittel gar nicht wählen. Mit und ohne consigne von Bayrou.

Hinzu kommt, daß sich, während Bayrou zögert, viele seiner Getreuen aus der Partei MoDem bereits festgelegt haben; ein Teil für Sarkozy, ein Teil für Hollande. Bayrou, der Hamlet unter den französischen Spitzenpolitikern, hat schlicht nichts mehr in der Hand, um den Gang der Dinge noch zu beeinflussen.


3. Eine dritte theoretische Chance Sarkozys war: Es gelingt ihm, sich zwischen den beiden Wahlgängen so weit nach rechts zu bewegen, daß er von den 17,9 Prozent der Wähler Marine Le Pens einen großen Teil für sich gewinnt.

Er hat das halbherzig versucht (zum Beispiel beim Thema eines erweiterten Notwehrrechts für Polizisten), ohne aber wirklich Positionen des Front National zu übernehmen. Dessen Reaktion, war, wie zu erwarten, ohnehin eine wütende Ablehnung. Marine Le Pen setzt auf einen Sieg Hollandes, um dann als Oppositionsführerin ("la seule véritable opposition"; die einzige wirkliche Opposition) punkten zu können. Ihre Empfehlung wird sie auf der Kundgebung des FN zum 1. Mai in Paris nennen; es besteht kaum ein Zweifel, daß sie empfehlen wird, keinen der beiden Kandidaten zu wählen.

Ihre Wähler werden ihr nur zum Teil folgen. Auch hier sind die Umfragen seit Monaten stabil und haben sich durch das Ergebnis des ersten Wahlgangs nicht geändert. Die letzten Werte von ifop, vorgestern erhoben, lauten: 32 Prozent der Wähler des FN werden sich für keinen der beiden Kandidaten entscheiden; 45 Prozent für Sarkozy und 23 Prozent für Hollande stimmen.

Das sind 22 Prozent netto zugunsten Sarkozys - 22 Prozent von den 17,9 Prozent, die für Le Pen gestimmt hatten. Also gerade einmal 4 Prozentpunkte; viel zu wenig, um Sarkozy noch vor Hollande zu bringen, der nahezu alle Wähler des kommunistischen Kandidaten Mélenchon, der grünen Kandidatin Joly, kleinerer linker Kandidaten und - siehe oben - auch noch ein Drittel der Wähler Bayrous für sich wird verbuchen können.



Wenn man diese Faktoren kennt, dann verwundert es nicht, daß der Vorsprung Hollandes seit dem ersten Wahlgang am 22. April nicht nur erhalten blieb, sondern sogar leicht gewachsen ist. Zugenommen hat des weiteren in der vergangenen Woche, wie ifop ermittelte, der Anteil der Wähler, die einen Sieg Hollandes wünschen; sowie derer, die ihn unabhängig von ihrer eigenen Präferenz erwarten.

Seit dem ersten Wahlgang sind die Umfragen von sechs Instituten publiziert worden. Sie zeigen ein einheitliches Bild: Zwei sehen Hollande mit 54 zu 46 Prozent vorn, drei mit 55 zu 45 Prozent und eine mit 54,5 zu 45,5 Prozent.

Die "große Debatte" zwischen Sarkozy und Hollande findet am Mittwoch, dem 2. Mai auf den Sendern TF1 und France 2 (vergleichbar ARD und ZDF) statt. Es wird Sarkozy nicht leicht werden, sich angesichts seiner sicheren Niederlage für diesen Auftritt zu motivieren. Er dürfte sehr erleichtert sein, wenn er am 6. Mai das Tal der Tränen durchschritten haben wird.



Noch ein Wort zu François Bayrou, der, könnte ich in Frankreich wählen, meine Stimme bekommen hätte (wie auch schon 2007; siehe meine damalige hommage: Gedanken zu Frankreich (5): Die Rechte, die Linke - und François Bayrou; ZR vom 21. 2. 2007).

Man kann, wie ich es oben getan habe, die politische Erfolglosigkeit seiner aufrechten Haltung hervorheben. Man kann es aber auch so sehen, daß er mit seiner Sachlichkeit und Ehrlichkeit und der Wirkung, die er damit auf die politische Diskussion ausübt, mehr leistet, als wenn er mit Hilfe von Kompromissen ein paar Prozent mehr einfahren würde.

Auch sein Brief an Sarkozy und Hollande, so wenig taktischen Erfolg er mit sich bringen wird, ist in diesem Kontext zu sehen. Ich werde auf ihn in einem eigenen Artikel dieser Serie eingehen, der sich mit den aktuellen Problemen Frankreichs befassen wird. ­
Zettel



© Zettel. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Für Kommentare bitte hier klicken. Fotos vom Autor Guillaume Paumier unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic-Lizenz freigegeben. Beide Fotos wurden während des Wahlkampfs 2007 aufgenommen.