18. Juli 2012

Marginalie: Aus eins mach zwei, mach drei, mach vier: Sollte es in Deutschland Parallelwährungen zum Euro geben?

Hin und wieder liest man das: Die Idee, den Euro nicht abzuschaffen, sondern durch Parallelwährungen in Gestalt der alten nationalen Währungen zu ergänzen. Also nicht Euro oder D-Mark, sondern Euro und D-Mark; nicht Euro oder Drachme, sondern Euro und Drachme. Beispielsweise.

Jetzt bin ich auf den Text eines Autors aufmerksam gemacht worden, den ich schätze und der diese Lösung befürwortet, Sascha Tamm von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Im kleinen Zimmer hat Erling Plaethe auf zwei Artikel beim Antibürokratieteam und beim amerikanischen Competetive Enterprise Institute hingewiesen, von denen man zu Tamms Aufsatz "Freeing Europe from the Euro" gelangt.

Dort entwickelt Tamm die (wohl wesentlich auf Friedrich August Hayek zurückgehende) Idee, daß Währungen ebenso miteinander konkurrieren könnten (und sollten) wie auf dem Markt angebotene Waren. So könnte jeder selbst entscheiden, welche Währung er verwendet. Diejenigen Institutionen, die Währungen ausgeben, hätten wie jeder Anbieter am Markt ein Interesse daran, diese möglichst attraktiv - also beispielsweise möglichst stabil - zu machen. Kurz, alle Vorteile eines freien Marktes kämen dann auch Währungen zugute.

In einem ersten Schritt, meint Tamm, sollten nur Regierungen das Recht haben, neben dem Euro eigene Währungen auszugeben. In Deutschland könnte man dann also, nach freier Wahl, in Euro zahlen oder in D-Mark; könnte - so vermute ich es; Tamm sagt es nicht ausdrücklich - jeder Arbeitgeber entscheiden, ob er seine Mitarbeiter in Euro oder in D-Mark entlohnt.

Aber das ist aus der Sicht Sascha Tamms erst der Anfang. Im nächsten Schritt sollte jeder Bank erlaubt werden, ihre eigene Währung auszugeben. In dem damit entstehenden Wettbewerb würden alle beteiligten Banken, so Tamm, sich zwangsläufig bemühen müssen, Vertrauen in ihre Währung aufzubauen, ohne daß sie - wie jetzt die Zentralbanken - auf Monopol und Zwang bauen könnten.

Würde sich so die jetzige Schuldenkrise lösen lassen? Nicht kurzfristig, meint Tamm. Aber auf Dauer würde ein solches System Schuldenkrisen verhindern. Die Geldmenge würde nicht mehr wachsen wie jetzt, denn wer zuviel Geld in Umlauf bringt, der zerstört das Vertrauen in seine Währung; und der Bürger hat ja Alternativen. Regierungen könnten nicht mehr unbegrenzt Schulden machen, denn der Markt würde sie dafür mit immer höheren Zinsen bestrafen.



Das Ei des Kolumbus? Eine Utopie, die nicht funktionieren würde, vielleicht im Chaos enden? Ich kann das nicht beurteilen. In einem Punkt allerdings scheint mir Sascha Tamm zum Understatement zu neigen:
The use of different currencies would be common in many places. Would that pose a problem? Not at all. It might be a little bit inconvenient at first, but markets would adapt. Moreover, many countries that suffer from high inflation already have experience with multiple currencies — foreign currencies(usually the U.S. dollar) circulate there alongside local ones. In addition, people could decide to use only one currency if they so chose.

Die Verwendung verschiedener Währungen wäre vielerorts die Regel. Würde das ein Problem aufwerfen? Keineswegs. Es mag zuerst ein wenig unbequem sein, aber die Märkte würden sich anpassen. Des weiteren haben viele Länder, die unter einer hohen Inflation leiden, schon Erfahrungen mit mehreren Währungen - fremde Währungen (meist der US-Dollar) sind dort zusammen mit den örtlichen im Umlauf. Außerdem könnte jeder, wenn er das will, sich für die Verwendung nur einer Währung entscheiden.
Könnte er das wirklich? Er braucht ja bei jeder Transaktion einen Partner, der dieselbe Währung nutzt. Und wie würde ein System mit, sagen wir, einem Dutzend Währungen im selben Land denn in der Praxis funktionieren?

Bei zwei Währungen kann ich mir das gut vorstellen; wie bei der Umstellung auf den Euro, als die D-Mark in der Übergangszeit als Zweitwährung fungierte. In Grenzgebieten war das vor der Einführung des Euro ebenfalls oft üblich - Deutsche, die nach Holland zum Einkaufen fuhren, konnten zum Beispiel auf Wunsch auch in D-Mark zahlen.

Aber zum einen war schon das eine Belastung; mehr als nur eine Unbequemlichkeit. Ich hatte zur Zeit der Euro-Umstellung zum Beispiel zwei Portemonnaies. Die Verkäuferinnen herrschten über zwei Kassen an ihrem Arbeitsplatz; griffen mal in die eine und mal in die andere. Und das bei festen Wechselkursen zwischen Euro und D-Mark, früher an der Grenze zwischen D-Mark und Gulden.

Die meisten Deutschen dürften, wie ich, heilfroh gewesen sein, als es damit vorbei war und man nur noch in Euro zahlte.

Und nun das bei vielleicht einem Dutzend Währungen! Und das mit - darin soll ja der Charme dieses Systems liegen - freien, sich also täglich ändernden Wechselkursen!

Mag sein, daß es einfacher werden würde, wenn das Bargeld abgeschafft wäre und man, wenn nicht über Kreditkarte oder Eurocard, überall mit der aufladbaren Geldkarte zahlt. Dann täte der Verbraucher gut daran, jeden Morgen die Wechselkurstabelle zu studieren, um zu wissen, in welcher Währung er heute am Vorteilhaftesten zahlt. Und die Geschäfte würden sich umgekehrt überlegen, in welcher Währung sie heute ihre Waren zum eigenen Vorteil auspreisen.

Also selbst bei Abschaffung des Bargelds bliebe, scheint mir, ein beträchtliches Chaos; erinnernd an das 18. und 19. Jahrhundert, als in Deutschland jeder Kleinstaat seine eigenen Münzen prägte. Man hat das 1857 durch die Einführung des Vereinstalers halbwegs in den Griff zu bekommen versucht; aber auch danach war die monetäre Welt alles andere als einfach:
30 einfache Vereinstaler wurden aus einem Zoll- oder Neu-Pfund Feinsilber zu 500 g geprägt. Bei einem Feingehalt von 900/1000 betrug das Feingewicht 16,666 g oder in damaligem Gewicht 1 Neu-Lot. 1 Taler entsprach in Preußen 30 Silbergroschen à 12 Pfennigen, in Sachsen 30 Neu-Groschen à 10 (Neu-)Pfennigen, in Hessen-Kassel 30 Silbergroschen à 12 Heller. In den süddeutschen Staaten, wo der Gulden die Basiswährung war, war der Taler in die Gulden-Untereinheiten schlecht umrechenbar – was auch umgekehrt galt, z. B. Bayern: 1 Vereinstaler = 1¾ Gulden = 105 Kreuzer, der Gulden zu 60 Kreuzern à 4 Pfennig oder 8 Heller; Österreich-Ungarn: 1 Vereinstaler = 1½ Gulden, der Gulden zu 60 Kreuzer und später ab 1857 100 Neu-Kreuzer.
Wollen wir wirklich zu solchen Zuständen zurück; nur daß jetzt Banken statt deutsche Königreiche und Kleinstaaten ihre eigenen Währungen ausgeben?

Ich würde das eher nicht wollen. Der Gedanke nationaler - aber eben nur nationaler - Parallelwährungen zum Euro scheint mir hingegen eine genauere Befassung wert zu sein. Sollte der Euro abgeschafft werden, dann müßte dies für eine Übergangszeit ja ohnehin eintreten. Welches die Folgen, welches Vor- und Nachteile einer dauerhaften Einführung von zwei Parallelwährungen in jedem Land der Eurozone wären, das mögen die Fachleute beurteilen.­
Zettel



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