9. Juli 2012

Marginalie: Sturm im Wasserglas. Die Aufgeregtheit um das Meldegesetz ist unbegründet. Aber der Ruf nach Schutz braust wie Donnerhall

So funktioniert die Mediendemokratie:

Im Bundestag wird ein Gesetz in dritter Lesung verabschiedet. Einem Internet-Nachrichtenportal fällt anhand eines Videos etwas auf - wie schnell das ging; wie wenige Abgeordnete anwesend waren; daß es sich um das Aufreger-Thema Datenschutz handelte. In "Welt-Online" greift das ein Journalist auf und skandalisiert es:
Dieses Video ist eine Groteske und eines der wertvollsten Dokumente unserer Demokratie zugleich. Es zeigt, wie der Bundestag eines der folgenschwersten und umstrittensten Gesetze der letzten Jahre beschließt, nämlich das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens.

Dieses Gesetz betrifft jeden Bürger, es nimmt ihm das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es ist, wie viele Politiker heute zu Recht feststellen, ein Skandal.
Und so weiter, und so fort. Die Aufregung breitet sich aus, erfaßt andere Medien, dann Politiker der Opposition, die einen Knüller gegen die Regierung wittern. Das wird dann wieder zurückgefüttert in die Medien.

Ob es überhaupt einen Grund zu dieser Aufgeregtheit, für Empörtheit gab, ging aus den Meldungen, soweit ich sie gestern und heute Vormittag verfolgte, nicht hervor.

Schnell zeigte sich, daß es ein wenig Zeit brauchen würde, sich durch die Sachverhalte zu arbeiten, sie zu verstehen und zu bewerten.

Hier sind die Texte, die durchzugehen ich mir vorgenommen hatte:
  • Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG) vom 16. 11. 2011

  • Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Gesetz­entwurf der Bundesregierung - Drucksache 17/7746 - Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG) vom 27. 6. 2012

  • Die Mitteilung des Innenministeriums Ausblick: Entwurf eines Bundesmeldegesetzes

  • Die Analyse des Gesetzes im Blog der Anwaltskanzlei Ferner
  • Dazu natürlich den einschlägigen Artikel der Wikipedia und Berichte in der Presse, etwa in "Welt-Online" und in der FAZ.

    Bevor ich dazu kam, diese Leseliste abzuarbeiten, ergab sich der erfreuliche Umstand, daß das gar nicht nötig war. In B.L.O.G. hatte da nämlich Rayson bereits einen ausgezeichneten Artikel zu diesem Thema publiziert. Ich kann seine Analyse nur empfehlen; auch wenn ich im Einzelnen nicht alles identisch sehe.



    Was ist da los? Wir haben es mit einem Problem der Mediendemokratie zu tun, mit ihren Mechanismen ständiger Rückkopplung zwischen Medien und Politikern. Wir haben es hier aber auch mit der nachgerade magischen Bedeutung zu tun, die sich in Deutschland heutzutage mit dem Wort "Schutz" verbindet.

    Ob Klimaschutz, Verbraucherschutz, Umweltschutz, Gesundheitsschutz und Schutz vor einem atomaren GAU; ob Schutz vor Gentechnik und Nanotechnik, oder eben Datenschutz - wo immer dieses Zauberwort gemurmelt wird, entsteht sofortige Aufmerksamkeit, nicht selten sodann Empörtheit.

    Wir leben im Deutschland der Gegenwart so gesichert vor realen Gefahren - vor Krieg und Hungersnot, vor Seuchen und Verlust der wirtschaftlichen Existenz - wie kaum je in unserer Geschichte. Wir sind so ge- und beschützt wie die Angehörigen nur weniger anderer, ähnlich privilegierter Nationen.

    Das scheint aber das Rufen nach Schutz keineswegs zu erübrigen; im Gegenteil - er braust, in bester deutscher Tradition: Ein Ruf wie Donnerhall.
    Zettel


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