4. August 2012

Marginalie: Habermas, Bofinger, Nida-Rümelin. Die Quadratur des Kreises, zum zweiten

Der Essay der drei Autoren Habermas, Bofinger und Nida-Rümelin, dessen Ankündigung ich das heutige Zitat des Tages entnommen habe, ist schneller aus der gedruckten FAZ in FAZ.Net übernommen worden, als ich es erwartet hatte. Deshalb dieser kurze Nachtrag.

Der Artikel enthält bemerkenswert wenig, das über die Ankündigung hinausgehen würde. Der Widerspruch, den ich als die Quadratur des Kreises bezeichnet habe, tritt in dieser Langfassung noch deutlicher zutage:

Einerseits sollen in der zentralen Frage der Fiskalpolitik - also der Erhebung von Steuern und ihrer Verwendung - die Staaten des Euroraums ihre Souveränität an Brüssel abgeben (und andere, Polen zum Beispiel, werden zum Mitmachen eingeladen). Andererseits will man dieses neue Europa mit Zustimmung der Bevölkerung schaffen, nämlich abgesegnet durch Referenden.

Das Einerseits klingt so:
Eine Souveränitätsübertragung auf Europäische Institutionen ist ... jedoch unvermeidlich, um Fiskaldisziplin wirksam durchzusetzen und zudem ein stabiles Finanzsystem zu garantieren. (...) ... das für eine Gemeinschaftshaftung erforderliche Maß an fiskalischer Kontrolle wird nicht mehr im Rahmen der nationalen Souveränität über vertragliche vereinbarte Regeln zu realisieren sein.
Und das Andererseits:
Allerdings sollte die historische Erinnerung an die Einigung des Deutschen Reiches, die vielen Landesteilen dynastisch oktroyiert wurde, gerade uns eine Warnung sein. Die Finanzmärkte dürfen jetzt nicht mit komplizierten und schwer durchschaubaren Konstruktionen befriedigt werden, während die Regierungen stillschweigend in Kauf nehmen, dass ihren Völkern eine zentralisierte, aber über deren Köpfen verselbständigte Exekutivgewalt übergestülpt wird. An dieser Schwelle müssen die Völker selbst zu Worte kommen.
Läßt man sie zu Wort kommen, die Völker, dann werden sie nicht ausgerechnet beim Herzstück des Parlamentarismus, dem Budgetrecht, die nationale Souveränität nach Brüssel abgeben.

Die Deutschen nicht, weil sie berechtigte Angst haben, daß dann die vom deutschen Steuerzahler gefüllten Kassen von den anderen geleert werden. Nach dem Trommelfeuer fiskalischer Begehrlichkeiten anderer Länder, das seit Monaten auf Deutschland niederprasselt, müßten die Deutschen mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn sie bereit wären, die Kontrolle über die Fiskalpolitik nach Brüssel abzugeben.

Die Franzosen nicht, weil sie wissen, daß sie mit dem Budgetrecht auch andere Teile ihrer Souveränität opfern müßten. Was zum Beispiel, wenn Frankreich für seine nationale Machtentfaltung einen neuen Flugzeugträger braucht, eine Runderneuerung der Force de frappe? Und dann ihrer Großen Nation die Entscheidungsträger in Brüssel das Geld dafür nicht bewilligen? Darauf werden sich die Franzosen gewiß nicht einlassen.

Dieser Schritt der Abgabe nationaler Souveränitätsrechte kann nur über den Kopf der Europäer hinweg getan werden. Der Ökonom Bofinger dürfte das wissen. Der Gesellschafts­philosoph Habermas mag sich Illusionen machen. Vielleicht stammt die erste zitierte Passage von Bofinger, die zweite von Habermas.

Und was mag von Nida-Rümelin sein? Vielleicht hat er ein paar geschmeidige Wörter eingefügt, wie "marktkonforme Fassadendemokratie", "finalité" (zu deutsch: das Angestrebte) und "Thematisierungsschub". Vielleicht stammt von ihm auch die aparte Idee einer "von SPD, CDU und Grünen getragene Initiative zur Einsetzung eines Verfassungskonvents". Ohne die FDP. Ohne die CSU.­
Zettel



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