2. Oktober 2012

Marginalie: Das Papier des "Spiegel". Griff in die Vergangenheit, ein wenig zu tief. Friedrich der Große im Bärenfell

Wer sich diese Woche den "Spiegel" gekauft oder ihn als Abonnent am Montag in seinem Briefkasten vorgefunden hat, dem fiel daraus eine Beilage entgegen: Sozusagen ein "Spiegel" im "Spiegel"; ein kleineres, im gewohnten Rot umrandetes Heftchen, das die beiden Artikel "Bedingt abwehrbereit" und "Sie kamen in der Nacht" aus dem Jahr 1962 enthält, dazu ein wenig weiteres Material zur "Spiegel"-Affäre (siehe Die "Spiegel-Affäre" vor fünfzig Jahren. Eine persönliche Erinnerung. Teil 1; ZR vom 25. 9. 2012, Teil 2; ZR vom 27. 9. 2012 und Teil 3; ZR vom 27. 9. 2012).

Das Auffällige an diesem Heft im Heft ist das schlechte Papier, auf dem es gedruckt ist. Offenbar soll das eine besondere Authentizität signalisieren; ungefähr so, wie man alte Fotos manchmal mit einem leichten Braunton einfärbt, damit sie richtig schön alt aussehen.

Aber in diesem Fall ist das doch ein wenig danebengegangen. Denn der "Spiegel" wurde im Jahr 1962 keineswegs auf solchem schlechten, rauhen Papier gedruckt. Dieses verwendete man nur in den ersten Nachkriegsjahren, als es von der britischen Besatzungsmacht zugeteilt wurde. (Die Auflage des "Spiegel" bestimmte sich damals nicht nach der Nachfrage, sondern nach der ihm von den Briten gewährten Papiermenge).

1962, im Jahr der "Spiegel"-Affäre, wurde das Blatt längst, wie alle großen Wochenschriften im Heftformat auch - neben dem "Stern" gab es damals noch viele davon, die "Quick", die "Revue", die "Neue Illustrierte", die "Frankfurter" und die "Münchner" Illustrierte - auf gutem Papier gedruckt.

Es war freilich nicht das Hochglanzpapier, das man für brillanten Farbdruck braucht; denn abgesehen von gelegentlichen farbigen Titelbildern und einzelnen Farbseiten (die dann auf ihrem eigenen Papier gedruckt wurden) war der "Spiegel" damals noch schwarzweiß. Und dafür genügte die verwendete Papierqualität - vor mir liegt der 16. Jahrgang; dritter Jahresband 1962 meiner gebundenen Hefte - durchaus. Keineswegs sahen die Fotos so mickrig-verwaschen aus wie jetzt in dem Reprint.

Derart anzusehen, wie der "Spiegel" das jetzt seinen nichtsahnenden jüngeren Lesern präsentiert, war das Blatt im Jahr 1962 also längst nicht mehr. Es ist ungefähr so, als hätte man Friedrich den Großen auf einem Porträt authentisch kleiden wollen und ihm zu diesem Zweck ein Bärenfell angelegt.

Was mag die Redaktion sich dabei gedacht haben? Ein wenig Übertreibung kann doch nicht schaden? Oder hatte man vielleicht noch von diesem schlechten, holzhaltigen Papier übrig? Das hatte man nämlich im Jahr 1978 für den Reprint des ersten Hefts vom 26. Juni 1948 verwendet. Damals, um der Authentizität willen, auf diesem miserablen Papier, das, so die damalige Erläuterung, "sich nach Reichsmark-Qualität anfühlen" sollte. 1962 freilich, auf dem Höhepunkt des Wirtschaftswunders, war die Reichsmark doch schon recht in Vergessenheit geraten.
Zettel



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