4. November 2012

Marginalie: Die Türkei stößt an den Golf von Aden vor

Bei seinem Besuch in Berlin Anfang der Woche hat der Ministerpräsident Erdogan sich zum EU-Beitritt der Türkei geäußert; aber nicht in der Rolle dessen, der um Aufnahme bittet, sondern eher als einer, der es der EU gnädig erlauben möchte, sein Land aufzunehmen. Wie Günter Bannas in der FAZ am Ende des zweiten Besuchstags schrieb:
Am Vorabend hatte Erdogan die EU davor gewarnt, eine Entscheidung über einen Beitritt seines Landes auf die lange Bank zu schieben. Sollte eine Mitgliedschaft nicht bis zum 100. Jubiläum der türkischen Staatsgründung im Jahr 2023 beschlossen werden, könne die EU die Türkei verlieren, sagte er.
Der Zeitpunkt für dieses faktische Ultimatum ist interessant, denn bis zu diesem Jahr soll die Türkei, so hat es Erdogan verkündet, eine der zehn führende Mächte der Welt geworden sein; wäre dann also auch zwangsläufig eine Vormacht in der EU (siehe Ahmet Davutoglus Ideologie und die aufstrebende islamistische Großmacht Türkei; ZR vom 16. 12. 2011).

Ob Erdogan ernsthaft damit rechnet, daß sich die EU darauf einläßt oder nicht - jedenfalls arbeiten er und sein alter Freund und islamistisch-nationalistischer Ideologe Ahmet Davutoglu, seit 2009 auch Außenminister, emsig daran, die Türkei als Vormacht des Nahen Ostens zu etablieren.

Anfangs konzentrierten sich diese Bemühungen auf das geografische Umfeld der Türkei, insbesondere Syrien und den Iran. Anfang vergangenen Jahres aber hat Erdogan bei einem Besuch in Kuweit deutlich gemacht, daß sich die türkischen Ambitionen auf die gesamte arabische Halbinsel erstrecken (siehe "Diese Region hat das Potential, die Welt zu gestalten". Erdogan über die imperialen Pläne der Türkei; ZR vom 13. 1. 2011).

Wie das konkret aussieht, hat vorgestern Stratfor am Beispiel des Golfs von Aden berichtet. Dessen strategische Bedeutung können Sie dieser Karte entnehmen:


Alle Schiffe, die durch den Suezkanal und das Rote Meer fahren, kommen vom oder fahren in den Golf von Aden und müssen die Meerenge Bab el-Mandeb passieren. Im Norden wird der Golf von Aden vom Jemen, im Süden von Somalia begrenzt.

Und just dort verstärkt die Türkei gegenwärtig ihren Einfluß und ihre militärische Präsenz. Beide Länder haben wie die Türkei eine sunnitische Bevölkerung; und beides sind gegenwärtig Unruhegebiete. Da ist die Hilfe der Türkei hochwillkommen.

In der jemenitischen Haupststadt Sanaa hat Außenminister Davutoglu kürzlich eine "Türkische Agentur für Zusammen­arbeit und Entwicklung" eröffnet und dem Jemen gemeinsame Projekte im Umfang von 100 Millionen Dollar versprochen. Diese Agentur ist mit der islamistischen Gülen-Bewegung (gegründet von dem fundamentalistischen Prediger Fethullah Gülen) verbunden, welcher Davutoglu nahesteht und die auch Schulen und lokale Unternehmen betreibt.

Ähnliche Aktivitäten entfaltet die Türkei in Somalia. Sie finanziert dort Schulen und Energieprojekte und organisiert politische Konferenzen. Sie ist am Aufbau einer Polizei in dem von Fraktionskämpfen erschütterten Land beteiligt, modernisiert den Flughafen von Mogadischu und tritt als Vermittler zwischen der Regierung und den islamistischen Rebellen auf. Kinder der somalischen Elite werden zum Studium in der Türkei eingeladen.

Von besonderem Interesse für die Türkei ist die halbautonome Provinz Somaliland (auf der Karte rechts unten dort, wo "Somalia" steht). Sie gehörte jahrhundertelang zum Osmanischen Reich; die Hauptstadt Berbera ist noch immer osmanisch geprägt. In Somaliland hat die Türkei jetzt Lizenzen für Ölbohrungen erworben.

Diese ökonomischen Aktivitäten der Türkei in der Region des Golfs von Aden werden militärisch flankiert. Die Türkei baut gegenwärtig zügig ihre Flotte aus, die bereits die stärkste im Bereich Naher Osten/Nordafrika ist. Seit 2009 hat die türkische Marine permanent Fregatten vor der Küste Somalias stationiert; und zwar im Rahmen der internationalen Task Force 151, die der Piratenbekämpfung dient.

Mittelfristig könnte die türkische Marine dort die US-Marine ersetzen. Noch hat sie keine Marinestützpunkte, aber im Rahmen der Kooperation mit dem Jemen und mit Somalia könnte sie Hafenrechte im jemenitischen Aden und im somalischen Berbera aushandeln.

Diese Aktivitäten der Türkei, wirtschaftlich wie militärisch, treffen in der Region auf die Interessen von zwei anderen Mächten, die sich um die Vormachtstellung im Nahen Osten bemühen: Des Iran und Ägyptens. Persien war zu Zeiten des Osmanischen Reichs einer von dessen Hauptkonkurrenten; um Ägypten rang es im 19. Jahrhundert mit dem Britischen Empire.
Zettel



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