16. November 2012

Marginalie: Die Vorgeschichte der jetzigen Eskalation in Gaza begann im Sudan. Eine Zusammenfassung der gestrigen Analysen von Stratfor

Stratfor hat gestern mit einer Serie von Analysen auf die Entwicklung im Gazastreifen reagiert; sie befassen sich mit dem Beschuß Israels mit Raketen - so gut wie sicher Fajr-5 -, deren Reichweite bis Tel Aviv reicht; mit der Lage im Gazastreifen, den momentanen Zielen der Hamas, der Reaktion Ägyptens.

In einem frei zugänglichen Artikel analysiert Stratfor den Verlauf, den eine Bodenoperation wahrschein­lich nehmen würde; in einem weiteren Artikel die Vorgeschichte der jetzigen Eskalation.

Diese Vorgeschichte geht, so Stratfor, zurück auf den 23. Oktober. In der Nacht zum 24. Oktober wurde die Waffenfabrik Yarmouk in der Nähe der sudanesischen Hauptstadt Khartum aus der Luft angegriffen. Vermutlich handelte es sich um ein israelisches Kommandounternehmen.

Diese Anlage nämlich diente - so die Quellen von Stratfor - als Lager und möglicherweise auch zur Endfertigung von Waffen, die der Iran an die Hamas liefert. Sie werden in den Sudan gebracht und gelangen dann über Ägypten an die Hamas.

Dazu gehören Luft- und Panzerabwehrrakten; vor allem aber Fajr-5-Raketen. Diese Raketen haben eine erheblich größere Reichweite als die Raketen, die der Hamas und den anderen terroristischen Organisationen im Gaza-Streifen bisher zur Verfügung gestanden hatten.

Mit der Fajr-5 kann von Gaza aus Tel Aviv und Jerusalem erreicht werden; eine für Israel vollkommen inakzeptable Bedrohung.



Bis gestern waren diese Raketen nicht eingesetzt worden. Die Hamas wollte Israel wohl im Unklaren darüber lassen, ob sie über sie verfügt. Nach dem Angriff auf Yarmouk aber mußte der Hamas klar sein, daß die Israelis Bescheid wußten; und sie mußte einen Militärschlag Israels fürchten.

Bereits zwei Tage später, am 25. Oktober, schloß die Hamas einen durch Ägypten vermittelten Waffenstillstand mit Israel. Aber während sich die Hamas selbst daraufhin zurückhielt, intensivierten andere terroristische Organisationen um den 10. November herum den Beschuß Israels (siehe Aufruhr in Arabien (34): Vor einer israelischen Intervention im Gazastreifen? Hintergründe und mögliche Konsequenzen; ZR vom 5. 11. 2012).

Am 12. November rief die Hamas nach den Quellen von Stratfor diese Gruppen (die iranisch gesteuerte PIJ und salafistische Terroristen) zusammen, um wieder einen Waffenstillstand zu erreichen. Aber da liefen die Vorbereitungen für Israels Reaktion auf die Bedrohung durch die Fajr-5 schon.

Der Schlag gegen die Fabrik Yarmouk am 23. Oktober war eine erste Reaktion gewesen. Die zweite war die gezielte Tötung von Ahmad Dschabari, der als Chef der Militärorganisation der Hamas das Fajr-5-Programm initiiert und geleitet hatte. Die Luftschläge danach waren gezielt gegen die Stellungen von Fajr-5-Raketen gerichtet.

Als Anwort auf die Tötung Dschabaris hat die Hamas nun von diesem Arsenal erstmals Gebrauch gemacht. Zwei Fajr-5 wurden gestern abgefeuert. Die eine ging knapp südlich der Stadtgrenze von Tel Aviv nieder; die zweite etwas außerhalb des südlichen Vororts Bat Yam. Zwar scheint es keine Verletzte gegeben zu haben; aber dieser Angriff zeigt dennoch, wie konkret die Bedrohung des zentralen Siedlungsgebiets Israels jetzt ist.

Wie wird sich der Konflikt weiter entwickeln? Der Hamas muß klar sein, daß sie mit dem Beschuß von Tel Aviv Israel zu einer massiven Reaktion herausfordert. Die Jerusalem Post (JP) meinte gestern, daß sie keine andere Wahl hatte, wenn sie nach der Tötung ihres Militärchefs nicht ihr Ansehen verlieren wollte. Die Hamas sei überzeugt, schreibt die JP, daß Israel keine ausgedehnte Operation und keinen Einsatz von Bodentruppen wolle.

Stratfor sieht das anders als die Hamas. Die jetzige Operation "Pfeiler der Verteidigung" begann wie die Operation "Gegossenes Blei" Ende 2008/Anfang 2009. Damals gab es zunächst eine Woche Luftkrieg. Erst dann begann der Einsatz von Bodentruppen, die Raketenstellungen zerstörten.

Daß gestern trotz der vorausgegangenen Luftschläge Israels die beiden Raketen auf Tel Aviv abgeschossen werden konnten, zeigt, wie schwer es ist, solche Stellungen allein aus der Luft auszuschalten. Stratfor hält es für wahr­schein­lich, daß auch diesmal der Einsatz von Boden­truppen unumgänglich sein wird.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Dieser Artikel ist Teil der Serie "Krieg in Nahost". Links zu allen Folgen finden Sie hier.