19. Dezember 2012

Zitat des Tages: "Wir sind die Verlierer. Der Druck auf Frau Merkel kommt von allen Seiten". Hans-Werner Sinn über die europäische Finanzkrise und ihre gegenwärtige Beruhigung

Hans-Werner Sinn: Im Grunde geht es hier in der Krise um einen Verteilungsstreit zwischen drei Gruppen: Es gibt die Länder Südeuropas, die sich stark verschuldet haben, privat und öffentlich. Es gibt ihre Gläubiger; das sind die Finanzanleger aus aller Welt, aber natürlich auch unsere deutschen Banken, sehr stark die französischen Banken. Und es sind die Steuerzahler und Rentner der noch gesunden Länder, die man jetzt mit reinholt.

Gläubiger und Schuldner haben ein Problem miteinander. Der Schuldner kann nicht zurückzahlen und die bisherigen Gläubiger suchen jetzt jemanden anderen, der an Stelle der Schuldner zurückzahlt. Und das sind letztlich wir, die Steuerzahler Deutschlands.

Interviewer Alfred Schier: Also wir sind die Verlierer?

Sinn: Das würde ich sagen. Wir sind die Verlierer.
Aus einem Interview mit dem Ökonomen Hans-Werner Sinn, das der Sender "Phoenix" am vergangenen Samstag und Sonntag ausstrahlte.

Kommentar: Zum Jahresende faßt Sinn in diesem Interview noch einmal - konzis, druckreif sprechend, anschaulich und auch für den Laien verständlich wie immer - zusammen, was sich in dieser Krise abgespielt hat und wie die jetzt stattfindende Rettung beschaffen ist; auf wessen Kosten sich die Krise jetzt beruhigt hat:

Griechenland, das sich weit über seine Möglichkeiten hinaus verschuldet hatte, kam seinen Verpflichtungen zunächst dadurch nach, daß es immer neuer Schulden aufnahm, um alte Verbindlichkeiten zu bedienen. Seit 2007 spielten aber die Finanzmärkte nicht mehr mit. Es blieben und bleiben nur öffentliche Rettungskredite.

Zurückzahlen kann Griechenland sie aber nur, wenn es wieder wettbewerbsfähig wird. Versucht man das wie jetzt über eine rigorose Sparpolitik zu erreichen, dann führt dies zur Massenarbeitslosigkeit und Verarmung, zu unzumutbaren Härten für die Bevölkerung. Schon jetzt liegt die Jugend­arbeits­losigkeit in Griechenland bei 50 Prozent.

Würde Griechenland hingegen - vorübergehend - die Drachme wieder einführen, dann könnte diese so bewertet werden, daß das Land wieder wettbewerbsfähig werden würde.

Griechenland würde dann wieder ein günstiges Reiseland werden und die Touristen zurückgewinnen, die jetzt beispielsweise in die Türkei fahren. Griechische Produkte würden wieder auf den Exportmärkten ihre Chance haben. Die Griechen würden mindestens ihre eigenen Erzeugnisse wieder kaufen (was sie jetzt kaum tun, weil sie zu teuer sind; selbst Tomaten importiert Griechenland aus Holland).

Eine Sanierung wäre möglich, so wie sie andere Länder mit Abwertungen ihrer Währungen hinbekommen haben.

Wenn das so offensichtlich die richtige Lösung wäre - warum will dann Angela Merkel Griechenland unbedingt im Euro halten? Das fragt der Interviewer, naheliegenderweise.

Sinn verweist auf die Interessen der Finanzmärkte, auf die Interessen Frankreichs mit seinen Banken und faßt das so zusammen:
Daß Frau Merkel das will? Nun gut, sie will es ja nicht wirklich. Sie wird stark bedrängt, und der Druck kommt von allen Seiten. Der Druck kommt von den Vertretern der südlichen Länder. Er kommt insbesondere von Frankreich.
Er kommt, so könnte man hinzufügen, von einem sozialistisch regierten Frankreich, dessen Regierung etatistische Lösungen allemal den marktwirtschaftlichen vorzieht. Unter Präsident Sarkozy hatte Frankreich überwiegend an der Seite Deutschlands gestanden.



Soweit die Kerngedanken aus den ersten zehn Minuten des Interviews. Nehmen Sie sich die Zeit und hören Sie sich die ganze halbe Stunde an.

Vielleicht geht es Ihnen dann wie mir - wirklich neu war mir wenig von dem, was Sinn sagt. Aber es in dieser klaren, so gar nicht professoral-abgehobenen Sprache Sinns noch einmal zusammengefaßt zu hören, die Zusammenhänge noch einmal vor Augen geführt zu bekommen - das war mir diese halbe Stunde allemal wert.

Zur europäischen Finanzkrise siehe auch:
Zitat des Tages: "Frau Merkel macht jetzt genau die richtige Politik". Hans-Werner Sinn über den Euro und die Irlandkrise; ZR vom 26. 11. 2010

Zitat des Tages: "Wir sind wirklich ziemlich blöd. Das ist ein Vermögenspoker". Hans-Werner Sinn über den Euro-Rettungsschirm. Nebst einem Nachtrag; ZR vom 29. 9. 2011

Marginalie: Warum funktioniert die Einheitswährung Dollar, aber nicht die Einheitswährung Euro? Drei Faktoren; ZR vom l6. 12. 2011

Marginalie: Volkswirtschaft, verständlich erklärt: Hans-Werner Sinn zur Eurokrise; ZR vom 7. 7. 2012

Marginalie: Bankenunion - sind die Professoren sich wirkich uneinig? Nicht in ihrer Analyse. Nur im Grad ihrer Skepsis; ZR vom 10. 7. 2012

Zitat des Tages: "Wie Goethes Zauberlehrling". Thilo Sarrazin erklärt die Euro-Krise. Und nennt einen schlitzohrigen Ausweg ...; ZR vom 17. 7. 2012

Marginalie: Zu wenige Migranten sind ein wesentlicher Grund für die Euro-Krise; ZR vom l5. 8. 2012

Zitat des Tages: "Das hat mit einer Marktwirtschaft wenig zu tun". Hans-Werner Sinn erklärt, worum es in der Eurokrise geht; ZR vom 18. 11. 2012
Zettel



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