20. April 2013

Zitat des Tages: Demokratische Vorbilder

"Wir bekommen den Saal trotzdem voll."

Ludwig Theodor Heuss, Enkel des ersten Staatsoberhauptes der Bundesrepublik Deutschland und Vorstand der Theodor Heuss Stiftung, bemerkte dies zur erklärten Nichtteilnahme mehrerer Gäste an der heutigen Verleihung des Theodor Heuss Preises an Daniel Cohn-Bendit. Auf der Internetpräsenz der  Stiftung findet sich folgende Erläuterung zum alljährlich vergebenen Preis:
 
Der Theodor Heuss Preis und die ihm ebenbürtigen Theodor Heuss Medaillen werden seit 1965 in regelmäßigen Abständen für Beispiele und Vorbilder demokratischen Verhaltens und freiheitlicher Gestaltung des Zusammenlebens verliehen.

In einer kurzen Begründung der heute erfolgenden Vergabe des diesjährigen Preises an Daniel Cohn-Bendit heißt es ebenda:
Vorstand und Kuratorium der Theodor Heuss Stiftung haben beschlossen, den Politiker und Publizisten Daniel Cohn-Bendit mit dem 48. Theodor Heuss Preis auszuzeichnen. Er erhält die Auszeichnung angesichts seines langjährigen außerordentlichen Engagements, als Ideengeber und Politiker immer wieder auf Veränderung einzugehen, Lösungen zu suchen und dadurch stets neue Wege in der Demokratie zu beschreiten.
­Bereits im Vorfeld hatte es der Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, abgelehnt, die Laudatio für den diesjährigen Preisträger zu halten. Hintergrund sind Pädophilievorwürfe gegen Cohn-Bendit, die sich auf sein 1975 erschienenes Buch "Der große Basar" beziehen, in dem er u. a. Erfahrungen aus seiner Zeit als Erzieher in einem Frankfurter Kindergarten schildert. Dort heißt es im Kapitel "Little big men" auf Seite 139ff:

Mein ständiger Flirt mit allen Kindern nahm bald erotische Züge an. Ich konnte richtig fühlen, wie die kleinen Mädchen von fünf Jahren schon gelernt hatten, mich anzumachen. Es ist kaum zu glauben. Meist war ich ziemlich entwaffnet. 
Und weiter:

Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. Ich habe je nach den Umständen unterschiedlich reagiert, aber ihr Wunsch stellte mich vor Probleme. Ich habe sie gefragt: "Warum spielt ihr nicht untereinander, warum habt ihr mich ausgewählt und nicht andere Kinder?" Aber wenn sie darauf bestanden, habe ich sie dennoch gestreichelt.

Bereits 2001 hatte es hierzu eine Kontroverse gegeben, die Vorwürfe sind also weder neu, noch dürften sie  dem Kuratorium oder dem Vorstand der Stiftung unbekannt gewesen sein.

Cohn-Bendit hat sich inzwischen mehrfach von seinen damaligen Äußerungen distanziert, sie als Provokation bezeichnet. Das mag man ihm abnehmen oder auch nicht. Zumindest gibt aktuell eine der "Entlastungszeuginnen" der Diskussion von 2001 zu, aus politischen Gründen gelogen zu haben.

Man muß wohl bei mancher Verirrung und Spinnerei der "Sexuellen Revolution"  und linker Gesellschaftsarchitektur der 60er und 70er Jahre mildernde Umstände gelten lassen, indem man die Dinge im zeitgeschichtlichen Kontext bewertet. Es war eben die Zeit vor den großen Mißbrauchsskandalen und einer breiten gesellschaftlichen Debatte über Sexuellen Mißbrauch Minderjähriger.

Gleichwohl fragt es sich, wie das "Beschreiten neuer Wege in der Demokratie" und das "außerordentliche Engagement als Ideengeber", bezogen auf das Lebenswerk Cohn-Bendits, wohl hier zu verstehen sein soll. Vielleicht wird der Ersatzlaudator Winfried Kretschmann dies in seiner heutigen Rede ja präzisieren. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig.

Hauptsache, der Saal ist voll.

Andreas Döding


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