8. August 2013

Kartellparteien und Parteienkartelle


Für Wähler, die mit sozialliberaler Politik fremdeln, war es in Deutschland von jeher schwer eine Wahlentscheidung zu treffen. Für viele war sie vermutlich taktischer Natur; von wechselnden Entscheidungen geprägt und Zufriedenheit mit der eigenen Wahl stellte sich selten ein.
In diesem Jahr wird es, wie immer, besonders schwer. Es droht mal wieder eine Große Koalition, eine Beteiligung der eher kommunistisch als sozialdemokratisch orientierten Partei „Die Linke“ oder eine Fortsetzung der Politik, die diese Wähler vor vier Jahren schon nicht gewählt hatten, obgleich sie den jetzigen Regierungspartei(en) ihre Stimme gaben.

In dieser Situation kommen dann regelmäßig neue Parteien in den Focus dieser Wähler. Parteien, die nicht Bestandteil des, wie es immer öfter heißt, herrschenden Parteienkartells sind.

Woher kommt dieser Begriff und ist das Phänomen neu, das ihn hervorbrachte?


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Der Begriff des Parteienkartells oder Kartell-Parteien-Systems wurde von Richard S. Katz und Peter Mair etabliert.
Er steht für eine Zustandsbeschreibung der heutigen Parteien, nachdem sie eine vierstufige Entwicklung durchliefen. Vor allem in Bezug auf ihre Mitglieder, die Gesellschaft und auf den Staat.

Während zu Beginn die Mitglieder vor allem aus der Elite der Gesellschaft kamen, waren ihre Beziehungen zum Staat recht eng. In der zweiten Phase entwickelten sich die Parteien zu Massenbewegungen, welche ihre Mitglieder organisierten und deren Interessen wahrnahmen. Die Gesellschaft wurde breiter und die Parteien bildeten eine Brücke zum Staat.
Die dritte Phase war gekennzeichnet von Massenparteien, für die nicht mehr der soziale Status ihrer Mitglieder, sondern politische Übereinstimmungen die Basis für eine Mitgliedschaft bildeten.
Die Parteien übernahmen die Funktion von Agenten des Staates, wie auch der Gesellschaft. In ihnen verschwand der Unterschied zwischen Staat und Gesellschaft immer mehr.
Diese Entwicklung verstärkte sich in der vierten Phase durch die zunehmenden Subventionen des Staates an die Parteien. Gleichzeitig gingen die Mitgliederzahlen zurück, weil  die persönlichen Interessen und Ansprüche von einer Massenpartei immer ungenügender zufrieden gestellt werden konnten. Dieser Rückgang verstärkte die Abhängigkeit der Parteien von staatlichen Subventionen.

Die Behauptung, dass die in der Gesellschaft etablierten Parteien als Kartell agieren, bezieht sich vor allem in deren angenommener Ausgrenzung gegenüber neuen und anfangs oft kleinen Parteien. 
In Deutschland gibt es gleich zwei Beispiele die gegen diese Theorie sprechen:
Die Grünen und die Partei „Die Linke“.
Und auch die Piratenpartei hatte schon zweistellige Wahlergebnisse in Landtagswahlen erzielt. Wenn diese bei der kommenden Bundestagswahl nicht zu erwarten sind, ist das keineswegs einem Parteienkartell geschuldet, sondern innerparteilicher Querelen. Ähnlich verhält es sich mit der AfD, nur dass ihr Auf- und Abstieg in den Umfragen zu beobachten war.
Über den normalen Konkurrenzkampf hinaus, ist keine Ausgrenzung erkennbar.

Würde man die Charakterisierung des Kartells bezüglich der Parteien an der engen Verknüpfung mit dem Staat festmachen wollen, stellte sich die Frage nach Alternativen der Parteienfinanzierung. Und die nach den Anfängen.
Parteien finanzierten sich bis zu den 70er Jahren hauptsächlich aus (Groß-) Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Letztere sind nach wie vor eine wichtige Einnahmequelle, nur die Spenden sind in Deutschland zugunsten der staatlichen Finanzierung erheblich zurückgegangen.
Würde dies geändert werden und stiege der Einfluss privater Geldgeber, gingen die staatlichen Subventionen zurück. Denn diese dürfen nicht höher sein als die selbst erwirtschafteten Eigeneinnahmen des Vorjahres einer Partei.

Mal abgesehen davon, dass sich die Parteien, ob klein oder groß, gemütlich eingerichtet haben in der staatlichen Versorgung, muss man sich nur mal den Aufschrei der Öffentlichkeit noch einmal vor Augen halten, als die FDP eine Umsatzsteuersenkung für das Hotel-und Gaststättengewerbe durchsetzte und  dies mit einer Wahlkampfspende durch eine Hotelkette in Verbindung gebracht wurde.

Haben wir es also mit Kartellparteien zu tun? In einem Kartell der Versorgung?
Oder sind es auch die Wähler, welche unbedingt den Staat als Finanzier sehen möchten und alles was nach privatem und staatlich unabhängigem Engagement aussieht, einem unredlichen Anstrich verleihen. Die solch einer Partei einfach ihre Gunst verweigern? 
Die FDP verlor seinerzeit innerhalb von Monaten zwei Drittel ihrer Wähler – nachhaltig sozusagen.

Was allerdings auffällt, ganz besonders seit Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, ist, dass neben der sozialen Herkunft auch die politische Übereinstimmung innerhalb einer Partei kaum noch eine Rolle zu spielen scheint. Stattdessen rücken Gefühle und Sympathien in den Vordergrund. 
Die Politik der Parteien gleicht sich immer mehr an. Themen, welche früher Alleinstellungsmerkmale einer Partei waren, finden sich auch im politisch einst gegnerischen Lager wieder und werden zu Gesetzen. Mitunter sogar unter Zustimmung und Hilfe der Opposition.

Verstärkte sich dieser Trend, wäre das dann die vollständige Verschmelzung von Parteien und Staat. Trifft diese Entwicklung auf ein Parlament, welches als Arbeitsparlament funktioniert, ist die Legislative weitestgehend paralysiert. Wie ohnmächtig der Deutsche Bundestag agieren kann, wurde zuletzt bei der Verabschiedung von Rettungspaketen und ESM deutlich.

Auf der einen Seite ist die Bezeichnung Parteienkartell, und erst recht Kartellparteien, wenig zutreffend, denn es gab bisher keine Partei welche auf die Subventionen des Staates verzichtet hätte, um ihre Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen.
Was ist das für ein Kartell in dem alle möglichen Parteien eines Parlaments vertreten sind und gegen wen richtet es sich?
Auf der anderen Seite charakterisieren die Begriffe eine Konstellation, die in der Schwächung der Gewaltenteilung ihren Ausdruck findet und durchaus als Kartell bezeichnet werden kann, wenn dies ein gewünschtes Ziel sein sollte. 

Erling Plaethe


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