3. März 2014

Der Schatten von München

Manche fühlen sich aktuell, noch unter dem frischen Eindruck des 100-Jahre-Gedenkens, an den Ausbruch des ersten Weltkriegs erinnert. Aber das paßt eigentlich überhaupt nicht - es stehen sich keine kriegsbereiten Großmächte gegenüber, denen nur ein Zündfunke fehlt.

Beklemmend sind dagegen die Parallelen zum März 1939. Hitler läßt die Wehrmacht in tschechisches Gebiet einrücken und annektiert das Land. Obwohl er im Münchner Abkommen von 1938 Frieden versprochen und den Bestand des Nachbarlands zugesagt hatte. Die westlichen Großmächte hatten auf Appeasement gesetzt und müssen ohnmächtig zuschauen, wie der Diktator sich über alle völkerrechtlichen Abmachungen hinwegsetzt und sie zum Gespött macht.

Auch Putins Angriff auf die Ukraine ist ein klarer Bruch der Vereinbarungen, in denen Rußland 1994 in Budapest die Grenzen des Nachbarlands garantiert hatte. Und wieder müssen die westlichen Großmächte, die auf Abrüstung gesetzt hatten, der Skrupellosigkeit des Diktators ohnmächtig zuschauen.

Man kann noch einige Parallelen mehr finden. Der verletzte Stolz einer Großmacht, die wesentliche Einbußen hinnehmen mußte und die neue Friedensordnung wieder zu ihren Gunsten revidieren möchte. Die Ausnutzung von Minderheitenproblemen in den Nachbarländern. Und sogar der Versuch, mit einer prachtvollen Olympiade internationalen Ruhm zu gewinnen. Um dann die Panzer rollen zu lassen.

Aber Geschichte wiederholt sich nie mit völlig gleichen Ergebnissen. Putin ist nicht Hitler, obwohl seine Fixierung auf außenpolitische Machtpolitik fast ähnlich dominant ist. Und die Ukraine ist trotz ihrer internen Zerrissenheit kein hilfloses Opfer. Noch ist völlig offen, wie die Krise ausgeht.
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Auch die beiden aggressiven Großmächte sind überaus unterschiedlich.
Deutschland war in den 30ern die modernste und dynamischste Großmacht. Es war in gewisser Weise Vorbild für viele kleinere Länder, fand begeisterte Anhänger auch bei den Völkern, die es besiegt und besetzt hatte.
Dagegen hinkt das reformbedürftige und gehemmte Rußland der internationalen Entwicklung in allem hinterher, was nicht mit Militär zu tun hat. Etwas Unterstützung findet es nur bei den russischen Minderheiten der ehemaligen Sowjetrepubliken, oder wo es mit Druck oder Geld Regierungen kontrolliert. Aber es ist überhaupt nicht attraktiv, weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich. Die Nachbarvölker und auch große Teile der russischen Minderheiten wenden sich mit Abscheu von Putins Rußland ab.

Der Bruch des Münchner Abkommens führte nicht zum Krieg. England und Frankreich waren zu schwach, vor allem zu unvorbereitet, um auf Hitlers Angriff zu reagieren.
Aber das Grundvertrauen in die Möglichkeit einer auf Verträgen aufbauenden Friedensordnung in Europa war zerstört. Zur großen Überraschung Hitlers erklärten sie ihm den Krieg, als er mit dem Überfall auf Polen seine nächste Expansion versuchte.

Und mit hoher Wahrscheinlichkeit wird auch die aktuelle Krise nicht zum Krieg führen. Weder EU noch Obamas USA sind konfliktfähig, werden wohl nicht einmal echte Sanktionen hinbekommen. Putin wird die restliche Ukraine derzeit nicht angreifen - die Ukrainer werden nicht wagen können, die Krim zurückzuerobern.
Es wird sich irgendein Status Quo einpendeln.

Aber das Vertrauen in die Möglichkeit einer partnerschaftlichen Entwicklung mit Rußland ist weg. Gasprom-Schröders Politik ist erledigt wie das Appeasement Chamberlains. Die EU wird sich - massiv gedrängt von ihren östlichen Mitgliedern - sehr viel stärker Gedanken über ihre Sicherheit machen müssen. Obamas Zeit ist bald vorbei, die USA werden ihre Prioritäten neu sortieren. Die gerade verkündete drastische Verkleinerung der Armee wird wohl nicht stattfinden.

Und auf der anderen Seite gibt es einen Politiker, der von alter Größe träumt und wieder einmal mit skrupelloser Machtpolitik Erfolg gehabt hat. Der inzwischen glaubt darauf vertrauen zu können, daß der Westen hilflos und feige ist. Und der seinen nächsten Expansionsschritt schon in Planung hat.

Diese Kombination ist gefährlich. Auf der einen Seite eine Großmacht, die nichts kann außer Militär und die nun bestärkt ist im Glauben, daß sie sich fast alles erlauben kann.
Und auf der anderen Seite ein unberechenbar gewordener, aber vom Potential her deutlich überlegener Westen. Dem seine naive Weltsicht kaputt gemacht wurde - der weiß, daß er etwas anders machen muß. Aber dem die Führung und die Kompetenz fehlen, um einen planvollen Kurswechsel durchzuführen.
Wie wird sich dieser Westen in der nächsten Putin-Krise verhalten?

R.A.

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