24. Juli 2014

Dallas, Schleswig-Holstein


Der wilde, wilde Westen 
Fängt gleich hinter Hamburg an.

Truck Stop, 1980




Die großen Straßenfeger-Seifenopern der 80er Jahre, Dallas und Dynasty, handelten vom Kampf über die Kontrolle großer Ölkonzerne. Millionen deutscher Zuschauer in den Wohnstuben (TM: Harald Schmidt) verfolgten gespannt die fiesen Tricks von J.R. oder Alexis und schliefen mit der wohligen Befriedigung ein, dass das große Geld ja sowieso nur Ärger bringt und den Charakter verdirbt.


Die Seifenoper des Energiewende-Zeitalters erleben wir gerade. Gestern kam es in Hamburg zum Showdown bei der Prokon-Gläubigerversammlung, der zahlenmäßig am stärksten besuchten in der Geschichte des deutschen Insolvenzrechts.
Vorausgegangen (quasi als cliffhanger) war ein mehrwöchiges Tauziehen zwischen den mittlerweile völlig verfeindeten Lagern unter den Anlegern um die Stimmenmehrheiten. Auf der einen Seite steht der Gründer und ehemalige Geschäftsführer Carsten Rodbertus und seine "Prokon für eine Lebenswerte Zukunft AG", auf der anderen Seite der Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin, der die "Freunde von Prokon e.V." sowie mehrere Anlegervertretungen hinter sich weiß. 

Wie es sich gehört, gab es den großen Paukenschlag

Die zuständige Rechtspflegerin des Landgerichts Itzehoe hatte 15.000 Vollmachten, also Stimmen für Prokon-Gründer Carsten Rodbertus, für ungültig erklärt. Rodbertus hatte die Vollmachten über Alfons Sattler gesammelt – für Rodbertus ist er ein Vertrauter, Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin bezeichnet ihn als „Strohmann“. Die Vollmachten seien ungültig, weil Sattler nur ein „willfähriges Mittel für Rodbertus sei“, sagte die Rechtspflegerin. Für Rodbertus soll sich dadurch ein nicht zulässiger Interessenkonflikt als Geschäftsführungsorgan und Vertreter von Genussrechten ergeben haben. Die drei Anwälte, auf die die 15.000 Stimmen vereinigt sind, hatten Befangenheitsanträge gestellt. Die Anträge wurden abgelehnt, nach dem turbulenten Auftakt wurde die Gläubigerversammlung fortgesetzt.
Damit war die Zustimmung zu Penzlins Insolvenzplan nur noch eine Formsache, und unter wütenden Protesten der Unterlegenen endete der vorläufige Höhepunkt einer Geschichte, die sich kein Autor der großen Sagas besser hätte ausdenken können.

Eine klassische Seifenopernhandlung, geschickt eingeflochten in die Lebenswelt post Fukushima. Sie ist basisdemokratisch, unamerikanisch, antikapitalistisch und kommt ohne fossile Brennstoffe aus, wie es der postmaterielle Anleger gerne hat. Aber sonst ist alles geboten: Undurchsichtige Geldgeschäfte, faule Tricks, der Kampf gegen finstere Mächte und die kurze Strecke zwischen Reichtum und Ruin.

Die Protagonisten sind wie aus dem Bilderbuch. Der häufig barfuß auftretende Visionär Rodbertus - ein römisch-germanischer Held mit dem unbesiegbar machenden Gallierzopf. Sein ganzes Auftreten macht klar: Dem geht es nicht ums Geld, dem geht es um nicht weniger als um die Rettung des Planeten. Wer braucht so etwas wie Buchhaltung, wenn es um alles geht? Ich bitte Sie.


Umgekehrt der Insolvenzverwalter - schon in seinem Auftreten eine wandelnde Exceltabelle. Der Mann hat keine Visionen, kein Charisma - allein der Name Penzlin klingt irgendwie nach preußisch-korrekter Erbsenzählermentalität; kurz: nach Uckermark.

Nun hat die Bürokratie über die Utopie gesiegt, klarer als erwartet, da die Rodbertus-Unterstützer nicht zur Abstimmung zugelassen worden sind. Dennoch ruft der Mann, dem schwere Pflichtverletzungen und Gesetzesverstöße vorgeworfen werden, nach wie vor noch Begeisterung bei Teilen der Anleger hervor. Um das nachzuvollziehen, muss man die ganze Geschichte betrachten, sozusagen mit dem Piloten der Serie beginnen. Der liest sich so:
Als Mitte der 80er-Jahre in Tschernobyl ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt, beschließt ein junger Buchhalter aus Hamburg, die Welt zu verändern.
Und er verspricht, was wie ein Märchen klingt - natürlich nur, weil es auch eines ist: Die Welt zu verändern und dabei reich zu werden. Deswegen wendet er sich nicht an institutionelle Anleger, sondern an Privatleute. Die Umweltbewegten gewinnt er mit der Verheißung, Teil der Energiewende zu sein, und die Schnäppchenjäger mit einem hohen Renditeversprechen.

Nicht nur 1,4 Mrd. Euro von 75.000 Personen sammelt er ein, sondern auch das Vertrauen seiner Anleger. Dass Prokon nicht nur ein hochriskantes Investment ist, sondern auch die Geschäftspraktiken zweifelhaft sind, war schon 2008 zu vermuten, als die Kommanditbeteiligung - unter massivem Druck - in Genussscheine umgewandelt wurde. Damit waren die Anleger nicht mehr am Unternehmen beteiligt. 2011 und 2012 folgten Verurteilungen wegen irreführender Werbung. 

Es liegt nahe, dass die Schnäppchenjäger unter den Anlegern bis zum Jahr 2013 vermehrt Land gewonnen haben. Um deren Forderungen zu bedienen sowie die Zinsen der verbliebenen Anleger, muss das Unternehmen zum einen die Vertriebsmaschine noch weiter befeuern - Prokon wird zum Schneeballsystem. Zum anderen müssen die bestehenden Anleger um jeden Preis gehalten werden. Und das ist auf beeindruckende Weise gelungen. Noch am Tag der Insolvenzanmeldung kündigten 41.000 von 75.000 Anlegern an, 800 von 1.400 Mio Euro auf jeden Fall im Unternehmen zu belassen. Das ist oscarreif und ein Lehrstück für den Handel mit Emotionen und gutem Gewissen. 


Als die Insolvenz sich abzeichnete (Ende 2013), waren die verbliebenen Anlieger völlig im Unklaren über die Lage des Unternehmens. Ein testierter Jahresabschluss für 2012 lag nach wie vor nicht vor. Rodbertus sammelte weiter monatlich zweistellige Millionenbeträge ein und drohte kündigungswilligen Anlegern mit der Insolvenz und dem Verlust ihres Geldes.


Soweit, so gut und ein Fall von unternehmerischer Schieflage wie viele mit überschaubarem dramaturgischen Potenzial. Das ändert sich mit der Gründung der "Freunde von Prokon" (FvP) am 28.12.2013. Die Gründer der FvP sehen sich nicht als Investoren

Ob die Gegner sich wohl vorstellen können, dass wir Besitzer von erspartem Geld nicht wie sie nur an Geldvermehrung denken, sondern Ökologie und ein gutes soziales Miteinander fördern wollen? Dass wir darin zufriedener sind und uns wohlfühlen in der Gemeinschaft Prokon? Ich beweise es ihnen gern zusammen mit vielen anderen Genussrechtsinhabern.
Also: Hier geht es nicht um Geld retten oder gar Geld verdienen, sondern um "Wir gegen die", "Gut gegen böse", "Ökologie gegen Profit".

Und natürlich im Felde unbesiegt. Die Schuldigen sind Banken, Journalisten, Großkonzerne; kurz: "Geldmenschen" und - zu einem geringen Teil und erst nach dem Bruch mit den FvP - Carsten Rodbertus. 
Ich will nicht, dass die rücksichtslosen Profitmacher, die am offensichtlichsten im Bankwesen, aber nicht nur dort, zu Hause sind, es schaffen, Prokon in die Insolvenz zu treiben. Ich habe die Wölfe im Schafspelz, die sich als „Schützer der Genussrechtinhaber“ ausgeben, erkannt und ihren uralten Trick, Menschen durch Angst zu steuern, durchschaut. Sie selbst sind es, die in Angst leben, nicht genug zu kriegen, wenn Prokon Schule macht. Und sie meinen, sie könnten uns mit ihrer Angst um das Geld anstecken, so dass wir Prokon mit dem Entzug unseres Kapitals ruinieren und unser Geld wieder ihnen anvertrauen.
In der ZEIT fiel das auf höchst fruchtbaren Boden. Denn im Grunde genommen weiß man in der wichtigsten deutschen Wochenzeitung schon, was richtig und falsch ist. Und als die Nebelkerze der "Stillen Reserven" geworfen wurde (bei denen es sich um die Annahme von durch Anleger thesaurierter Zinszahlungen handelte) leistete man bedauernd Abbitte. Sogar ein böses Wort habe man gebraucht.
In zahlreichen Berichten wurden im vergangenen Jahr die Gefahren einer Anlage bei Prokon beschrieben – und übertrieben. Sicher, es gab Ungereimtheiten und unbeantwortete Fragen. Aber allzu oft (auch in der ZEIT) wurde ein Wort verwendet, das viele Geldanleger in Alarm versetzt: Schneeballsystem. Dabei liegt es auf der Hand, dass Prokon kein Schneeballsystem ist. In einem solchen System werden die Gewinne der frühen Anleger mit dem Geld der späteren bezahlt. Ein reales Geschäft, in dem Werte geschaffen werden, gibt es nicht. Anders ist es bei Prokon. Niemand bestreitet, dass das Unternehmen mehr als 300 Windanlagen betreibt und Hunderte weitere baut und plant. (...) Anleger haben also keine Dummheit begangen, als sie bei Prokon investiert haben, einer Firma mit Erfahrung, eigener Produktion und Betriebskindergarten.
Ein Betriebskindergarten, na also!! Dann kann es ja nur ein topseriöses Investment sein.

Woran man aber merkt, dass man es bei den FvP nicht mit Unternehmern, sondern mit Ideologen reinsten Wassers zu tun hat, ist die Abteilung, die man in kundenorientierten Unternehmen "Beschwerdemanagement" nennt. Eine Freundin von Prokon wendet sich mit einem Aufruf an diejenigen Abweichler, die im Rahmen der Insolvenz nur ihr Geld wiederhaben wollen:
Oder wollt Ihr weiter wie bisher Medien-hörige, ja -Süchtige sein, Sklaven von Kameras, die Euer Leben bestimmen? Euch abhängig machen, und - Ihr merkt es noch nicht einmal. Seid Ihr frei zu entscheiden - oder fremdbestimmte Primaten, die aus Existenzangst wild um sich schlagen? Gehört Ihr zu denen, die, wenn ein Schreihals laut Feuer brüllt, nur noch laufen und andere zu Tode trampeln und letztlich Euch selbst? 
Seid Ihr Teil einer trampelnden Hammelherde, die dem schreienden Papageien folgt oder - ein selbstbestimmter Mensch? Seid Ihr Opfer oder - Schöpfer? 
Ja, ich bekenne: ich lege meinen Holzscheit in das Feuer, auf dass es einen Flächenbrand entfache. 
Ja ich gebe nicht nur meine Unterschrift oder das Geld, ich stehe mit meiner ganzen Persönlichkeit, mit meiner Existenz, meiner Überzeugung dafür ein, für die Welt von - MENSCHEN. Und der Welt von morgen. 
Und DU?
Starker Tobak, nicht wahr? Und es kommt noch besser. Im Forum der FvP wird anscheinend recht fleißig moderiert, was natürlich zwangsläufig Zensurvorwürfe zur Folge hat. Das sieht man aber entspannt, denn wie bei Rosa Luxemburg ist die Freiheit des Andersdenkenden engen Grenzen unterworfen:
Diese Webseite der Freunde von Prokon haben wir aufgebaut, um unser Geld bei PROKON zu schützen und um das Unternehmenskonzept PROKON zu erhalten. Die Webseite dient nicht dazu, PROKON und uns selbst Schaden zuzufügen. Deshalb lassen wir keine Beiträge zu, die unserem Anliegen schaden. Das mag jemand, der Negatives gegen PROKON hier nicht mehr los wird, als Zensur beklagen. Dies ist aber nicht unser Problem. 
PROKON hat Fehler gemacht, darüber muss gesprochen werden. Da darf nichts unter den Teppich gekehrt werden. Aber wie erörtern wir die Fehler von PROKON? In feindseliger Weise, um PROKON zu schaden oder in freundschaftlich-kritischer Art, um Fehler zu korrigieren, damit PROKON sich wieder stabilisiert? Aus der Art, wie Beiträge geschrieben sind, lässt sich meistens leicht erkennen, was die Absicht des Schreibers ist. Wer anders soll dies beurteilen als wir selbst, die wir diese Webseite zum Schutz von PROKON und von unserem Geld aufgebaut haben.
Auch hier wird also nicht um den heißen Brei herumgeredet. Überhaupt erinnert die aktuelle Kommunikation der Freunde an die Endzeit des real existierenden Ostblocksozialismus. Die alleinseligmachende Idee wurde nur fehlerhaft umgesetzt.

Es wird spannend zu verfolgen, wie der hochseriöse Zahlenmensch Penzlin mit den Freunden von Prokon klarkommt. Die nächste Staffel der Soap scheint jedenfalls finanziert zu sein: durch crowdfunding:
Ab sofort können Sie die Perspektiven von Prokon durch eine Geldanlage stärken - mit einem Konto bei der GLS-Bank! Zahlreiche FvP haben in den vergangenen Wochen nachgefragt, wie sie über zusätzlich angelegtes Geld einen Beitrag zur Stabilisierung des Unternehmens in der aktuell schwierigen Situation leisten können.

Nachtrag: Auch Wolfgang Röhl hat sich auf der Achse des Guten mit der Fernsehtauglichkeit von Prokon beschäftigt und erläutert, warum die öffentlich-rechtlichen Sender das Thema wohl nicht produzieren werden. Lesenswert!!

Meister Petz

© Meister Petz. Mit Dank an Forumsmitglied patzer für den Hinweis auf Wolfgang Röhl. Titelvignette: Windmills and a Vestas V47 660 kW wind turbine at the American Wind Power Center in Lubbock, Texas. Vom Autor Billy Hathorn unter CC-BY-SA-3.0 auf en.wikipedia.com bereitgestellt. Für Kommentare bitte hier klicken.