24. September 2014

Plädoyer für eine Anpassung des Lebkuchenangebotes gemäß den Gepflogenheiten vor dem Dreißigjährigen Krieg

Es ist Ende September. Der Altweibersommer oder Somst, wie ihn Zettel nannte, geht vorüber. Die Heizung läuft noch nicht, aber der Kamin wird jeden Abend angefeuert. 
Es ist in der Tat eine schöne Zeit, überall Farben und auch in der Kleidung schwingt noch der Sommer.
Es heißt Abschied nehmen von den warmen Jahreszeiten.
Um es sich leichter zu machen, kauft man wieder mehr Süßes. Gebäck zum Beispiel. Oder Marzipan. Ginge es nach mir, wäre das ganze Jahr über Marzipan-Zeit.
Und Lebkuchen-Zeit. 
Die gab es vor dem Dreißigjährigen Krieg in Nürnberg tatsächlich das ganze Jahr. Entbehrungen danach machten es notwendig die Zeit einzuschränken, in der das leckere Gebäck angeboten werden konnte.  
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Durch die Verknappung der Ressourcen nach dem nicht enden wollenden Krieg wurde aus einem Alltags-Gebäck und Nahrung zur Fastenzeit, eine Besonderheit. Eine Delikatesse. 
Das kam dann zu besonderen Anlässen auf den Tisch. Wegen des Mangels.

Nun gibt es Leute die der Ansicht sind, Entbehrungen machen glücklich. Ich habe da erhebliche Zweifel. Die Entbehrungen die ich kennengelernt habe,  verlangten von mir, mich mit ihnen zu arrangieren. 
Machten sie mich glücklich? Nein, kann ich nicht sagen.
Die Weisheit wird wohl auf das Glück oder die Vorfreude abstellen, die sich einstellt, wenn eine langersehnte Gaumenfreude vor einem liegt und man zugreifen darf. Klar, in diesem Fall hätte die Entbehrung einen Wunsch, eine Begierde nach etwas ausgelöst, die befriedigt werden will.

Wir hatten damals hinterm Mond nicht allzu oft Gelegenheit ein Westpaket von der Post abzuholen, aber jedes mal war eine Packung Kinderschokolade drin. Ich bekam davon immer mal wieder einen Riegel.
Einen. Nicht mehr.
Das hat mich sehr genervt.
Keine Vorfreude, nicht die Spur. Nur unbefriedigte Lust auf Schokolade.
Ich hab damals als Lösung dieses Problems abzuschätzen versucht, wie viel Riegel ich essen muss, damit dieses Verlangen endlich aufhört.
Also fing ich an die zugeteilten Riegel zu sammeln, bis ich so an die 20 Stück zusammenhatte. Die habe ich dann mit einem Mal gegessen. 
Dann war der Heißhunger endlich weg und ich für längere Zeit befriedigt, weil einige der Riegel schon ein gewisses Alter erreicht hatten und nicht mehr soo  frisch waren.

Ehrlich gesagt habe ich ja den Verdacht, die Theorie von dem Glück durch Entbehrung kommt von Entbehrungen weitestgehend entbehrten Menschen mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein. 
Aber es gibt auch andere Sichtweisen, wie zum Beispiel von Richard Wagner:
Durch freiwilliges Entsagen und Leiden ist praktisch der Egoismus aufgehoben, und wer sie erwählt, ist hierdurch in Wahrheit der in Raum und Zeit befangenen Vorstellung enthoben; denn er kann unmöglich dann ein in Raum und Zeit liegendes Glück suchen.
Oder von August von Kotzebuhe:
Nur Entbehrung leiht den Dingen um uns her einen eingebildeten Wert, und man erkauft zuweilen eine armselige Täuschung durch ein wahres Glück.
Diese Aphorismen kommt meiner Beobachtung schon näher. 

Und dem, worauf ich hinaus will. 

Die FAZ hat gestern nämlich geschrieben:
Eine deutliche Mehrheit von von fast zwei Dritteln (63 Prozent) erklärte sich genervt von Festtagsgebäck und -naschereien schon im September.  
Genervt. So wie ich, wenn mir nach Marzipan ist und ich im Supermarkt zu hören bekomme, es doch mal zu Ostern oder Weihnachten zu versuchen. Horten  brauche ich in der Zeit des globalen Marktes ja nichts mehr, obgleich sich dafür Lebkuchen wesentlich besser eignen als Kinderschokolade. Aber offenbar ist dieser Markt der auf Nachfragen reagiert, für manche Mitbürger zu einem Problem geworden.
Denn 31% sind derart genervt, dass sie ein Verbot gegen "frühzeitige Weihnachtsangebote" befürworten.

Dabei nehmen sie es großzügig in Kauf, meine Handlungsfreiheit und die der Lebkuchenproduzenten einzuschränken. Diese Opfer sollen es wohl wert sein, damit meine selbstlosen Mitbürger nicht mehr so genervt sind, wenn sie im Somst durch den Supermarkt schlendern und nach Angeboten Ausschau halten.

Weil sie sich ihre armselige Täuschung erhalten wollen? Oder sollte ich sagen: müssen? 

Weil Weihnachten nicht von den Supermärkten sondern von genervten Volkserziehern auf Lebkuchen und Schokoladenweihnachtsmänner reduziert wird?

Wir sollten in der brennend akuten Lebkuchen-Frage zur Normalität vor dem Dreißigjährigen Krieg zurückkehren. 

In dieser Zeit gab's auch schon Weihnachten. 




Erling Plaethe

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