5. November 2014

Meckerecke: Das geistige Herz

In seinen großartigen Philippiken "Jedem das Seine" und "Vergesst Auschwitz" findet Henryk M. Broder scharfzüngige Worte gegen die "Erinnerungskultur". Schonungslos zeigt er auf, dass das Gedenken häufig zum Selbstzweck verkommt: 
Was das Gedenken an Auschwitz angeht, so ist längst der deutsche "Sündenstolz" (Hermann Lübbe) an die Stelle der deutschen Scham getreten – wenn es die je gegeben hat. Wir waren die größten Schurken, jetzt sind wir die größten Büßer.(...)
Ginge es nach mir, würde ich Auschwitz dem Erdboden gleichmachen. Auschwitz ist zu einem Disneyland der Gruselkultur verkommen. Zuletzt hat die Bundesrepublik 60 Millionen Euro zugesagt, um die Baracken vor dem Verfall zu retten und den verrosteten Stacheldraht zu ersetzen. Mich interessiert der letzte Holocaust so sehr wie der Auszug aus Ägypten. Mich interessiert, wie wir die Gegenwart meistern, den nächsten Holocaust verhindern. (...) 
Das Gedenken an die toten Juden hat sich vollkommen von den Opfern gelöst und dient nur noch dazu, den Tätern und deren Nachkommen ein gutes Gefühl zu verschaffen.
Nun ist in der Nacht von Samstag auf Sonntag aus der KZ-Gedenkstätte Dachau die Tür mit dem berühmten Schriftzug "Arbeit macht frei" in einem aufwendigen Raubzug abmontiert und entwendet worden. Im Verdacht stehen entweder Neonazis (die eine ähnliche Aktion vor fünf Jahren in Auschwitz verübt haben) oder - als Auftraggeber - Sammler von Artefakten mit mehr als makabrer Historie. Schtonk lässt grüßen. 

Der polizeiliche Staatsschutz nahm die Ermittlungen auf, und die Behörden gaben prompt eine Erklärung ab, man ermittle "in alle Richtungen". Nicht auszudenken, wenn nach dem NSU-Fiasko auch noch der "dreiste Klau" (taz) der KZ-Tür unbemerkterweise auf den Deckel von Nazis gehen würde. Denn es handelt sich hier um ein Symbol von nationaler Bedeutung.

Deshalb begab sich der bayerische Staatsminister für "Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst" - so der Titel des Ministeriums in offizieller Interpunktion - Dr. Ludwig Spaenle gleich am nächsten Werktag persönlich an den Ort des Geschehens. Gemeinsam mit der Leiterin der Gedenkstätte, einer Frau Dr. Hammermann, gab er eine Pressekonferenz, die allein für ein Paradekapitel in Broders Büchern gut gewesen wäre. Denn wie so oft führte auch hier die institutionalisierte Betroffenheit zu Aussagen von absurder Peinlichkeit und peinlicher Absurdität.  

Spaenle, der sich bislang hauptsächlich als Rekordhalter in der "Verwandtenaffäre" des Bayerischen Landtages einen eher unrühmlichen Namen gemacht hat (600.000 Euro aus Steuermitteln an die werte Gattin), ließ auch in Sachen Pathos nichts anbrennen. Er sprach von einer "infamen Attacke auf das geistige Herz der KZ-Gedenkstätte" und einer „perfide(n) Form, die Gedenkstätte zu besudeln“. Und da im Zusammenhang mit dem Holocaust Singularitäten immer gut passen: "Die Schwere des Anschlags ist einmalig."

In deutlich professionellerem, aber inhaltlich nicht konsistenterem Betroffenheitssprech sekundiert die Gedenkstättenleiterin Hammermann: Es handle sich um einen 
 „bewussten und abscheulichen Akt der Verleugnung und der Auslöschung der Erinnerung an die an diesem Ort begangenen Verbrechen. An dem Angriff auf dieses besonders symbolträchtige Relikt des Konzentrationslagers zeigt sich eine neue Dimension: hier sollte der Ort in seinem Kern zerstört werden. Und das alles geschieht nicht zufällig zu einem Zeitpunkt, in dem die Überlebenden, die ihr Vertrauen in die deutsche Geschichts- und Aufarbeitungskultur gesetzt haben, nicht mehr lange unter uns sein werden. Deutlich wird, dass wir noch lange nicht am Ende der Aufarbeitung angekommen sind, sondern dass uns gerade vor dem Hintergrund der NSU-Morde und anderen Phänomenen der Radikalisierung die Aufgabe zukommt, diese Orte der Aufklärung zu schützen und zu bewahren.“
Spaenles Aussagen zu kommentieren lohnt sich nicht - sie faseln für sich selbst; und dass seiner Meinung nach ausgerechnet eine Tür mit dem "Arbeit macht frei"-Schriftzug und nicht das Mahnmal oder die umfangreichen historischen Bildungseinrichtungen das "geistige Herz der Gedenkstätte" sei, sollte eher der neben ihm stehenden Gedenkstättenleiterin zu denken geben.

Interessanter ist schon die Aussage von Frau Dr. Hammermann. Zum einen weiß sie als Leiterin ganz genau, dass die Tür zwar symbolträchtig, aber in ihrer jetzigen Form alles andere als ein Relikt ist. Denn der Originalschriftzug war bei der Befreiung verschwunden und wurde erst 1965 rekonstruiert. Zum zweiten ist der Hinweis auf die NSU-Morde in dem Zusammenhang äußerst fragwürdig. Wer sich mit der Vorgeschichte des Trios beschäftigt hat, weiß auch, dass Böhnhardt und Mundlos nicht aus Unkenntnis der Geschichte des Holocausts zu Neonazis wurden. Im Gegenteil - sie sind 1996 mal aus der Gedenkstätte Buchenwald rausgeflogen, weil sie dort in SA-ähnlichen Uniformen aufgetreten sind. KZ-Gedenkstätten können also nicht nur nicht garantieren, dass einer nicht zum Nazi wird, sie haben sogar eine makabre Anziehungskraft auf Nazis.

Aber das zuzugeben würde natürlich nicht so kräftig auf die eigene Unverzichtbarkeit einzahlen, die in Anwesenheit des obersten Dienstherrn (Kultusminister) durchaus mal betont werden kann.

Durch den hergestellten Zusammenhang mit den NSU-Morden verschwindet die Relation. Aus einer Schweinerei wird eine Staatsaffäre, und Terrorismus entspricht gerade noch dem Diebstahl von ein paar Kilo Metall.

Wir leben in einer Zeit, in der Juden in Deutschland mit dem Tod bedroht werden und sich dann auch noch rechtfertigen müssen (die ganze Affäre Bonifer ist ein Lehrbeispiel für verschobene Wahrnehmungen und Realitätsverlust in diss'm unser'm Land'; kein Wunder, dass der Kerl mit dem Gedanken spielt, seine Koffer zu packen).

Wir leben in einer Zeit, in der das Polizeiprotokoll einer Veranstaltung, auf der "Juden ins Gas" gerufen wurde, "keine besonderen Vorkommnisse" vermerkt.

Aber anstatt gegen offenkundigen Antisemitismus vorzugehen, empfehlen wir unseren jüdischen Mitbürgern lieber, "ihr Vertrauen in die deutsche Geschichts- und Aufarbeitungskultur zu setzen". 

Würde ich dem Judentum angehören, müsste ich zum unerfreulichen Fazit kommen: In Deutschland könnte ich mich besser beschützt fühlen, wenn ich kein Jude, sondern eine KZ-Tür wäre.


Meister Petz

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