18. April 2015

Großmutti for President?

Bei erfahrenen Politikern, die seit Jahrzehnten in den verschiedensten Rollen im politischen Geschäft unterwegs sind, sollte man eigentlich meinen, genau zu wissen, wofür sie stehen, und was man von ihnen erwarten kann, wenn sie sich anschicken, ein neues Amt zu übernehmen. Mal stillschweigend vorausgesetzt, es handelt sich nicht um Horst Seehofer. Oder um Hillary Clinton. 

Hillary Diane Rodham Clinton als erfahrene Politikerin zu bezeichnen, ist schon untertrieben. Sie war jahrelang demokratische US-Senatorin für den Bundesstaat New York, dann Secretary of State - und zwar die deutlich kompetentere der beiden Amtsinhaber in der außenpolitisch allgemein recht chaotischen Ära Obama. Glaubt man ihrem aktuellen Buch, wäre den USA unter einer Präsidentin Clinton im Vergleich zu Obama einiges erspart geblieben.

Und für ihren anstehenden Präsidentschaftswahlkampf bringt sie nicht nur die Erfahrung mit, schon einmal an einer primary teilgenommen zu haben, sondern ist auch als ehemalige first lady bestimmt die Einzige, die schon acht Jahre lang den berühmten west wing bewohnt hat, noch bevor sie selbst in ein Amt gewählt wurde.

Darauf fokussiert sich auch die erste Berichterstattung seit ihrer Kandidatur. Spielel Online titelt "Die große Bekannte" und führt schon mal fünf Gründe an, warum es diesmal endlich klappen muss. Die ZEIT spricht sogar von der "Unvermeidlichen". Nun kennen wir die deutschen Medien und wissen, dass es ihnen vor allem darum geht, dass nicht einer aus den Reihen der gefürchteten Republikaner ins Weiße Haus einzieht - womöglich noch dazu ein weiterer Sprössling des verhassten Clans aus Texas. Deshalb werden auch vorsichtig mögliche Gefahren genannt - zuvorderst natürlich die Macht des militärisch-industriellen Komplexes, die Fiesheit der Republikaner und die Dummheit des amerikanischen Wahlvolks im Allgemeinen. Aber auch Hindernisse, die von der Kandidatin ausgehen - zu siegessicher, ebenfalls dynastiebegründend. Deshalb fordert die Tagesschau:
Hillary Clinton muss sich neu erfinden 
Hillary Cliton [sic] ist profiliert und gut vorbereitet auf das Weiße Haus. Dass sie jeder kennt, hilft bei der Präsidentschaftskandidatur - ist aber auch ein Problem. Sie muss mit neuen Ideen gegen das Bild ankämpfen, das viele von ihr haben. (...) 
Bisher fragen sich viele: Wie will sie die Zukunft der USA konkret gestalten? Wofür steht Hillary Clinton? Es ist die letzte Chance der 67-Jährigen, ihren Traumjob zu bekommen. Sie muss die Wähler überzeugen, dass sie eine Zukunftsvision für die USA hat, sympathisch und trotz des Namens Clinton die Richtige ist fürs Weiße Haus. Dafür muss sie jetzt ganz schnell den Reset-Knopf finden und feste drauf drücken. 
Dass die Kommentatorin sich fragt, ob die Kandidatin in der Lage ist, sich neu zu erfinden, zeigt, dass sie sich mit ihrer Person anscheinend überhaupt nicht beschäftigt hat. Denn wenn es eine Konstante in ihrer Biografie gibt, ist es die, sich ständig neu zu erfinden. 

Das beginnt schon an dem Punkt, der am meisten für die Identität einer Person steht - bei ihrem Namen. Er lautet amtlich bis heute Hillary Diane Rodham. Dass eine Frau bei der Heirat ihren Mädchennamen behält, ist für eine feministische Juristin aus Yale nicht verwunderlich, aber problematisch für eine First Lady in Arkansas, weshalb sie sich dort nach einer gewissen Zeit ganz traditionell als Mrs Bill Clinton auswies. Als Präsidentengattin legte sie wieder mehr Wert auf ihre Unabhängigkeit und nannte sich Hillary Rodham Clinton (ebenso als Secretary). In ihren beiden Präsidentschaftswahlkämpfen verzichtete sie wiederum auf ihren Geburtsnamen und ließ "Hillary Clinton" plakatieren.

Doch nicht nur ihre amtliche, auch ihre politische Identität weist kaum einen Punkt auf, an dem ihre Position über die Jahre hinweg konstant geblieben wäre. Ihr Selbstverständnis als "im Herzen (links-)liberal, im Geiste konservativ" lässt da ja auch jede Menge Spielraum. Vor allem aber gibt zu denken, dass sie diese Kurswechsel gerade bei den Themen vorgenommen hat, die in den USA kontrovers sind und oft für wahlentscheidend gehalten werden:
Gun rights groups have long considered Mrs. Clinton their foe. Her 2000 Senate campaign centered on a push to keep guns off the streets, and she was a forceful advocate of creating a national gun registry. But eight years later, as she faced off against then-Sen. Barack Obama in the Democratic primary, she positioned herself as more conservative than him on gun control. She backed off the proposal for a national registry and publicly recounted how her father had taught her how to shoot as a little girl (...) 
Waffenlobbygruppen haben Mrs. Clinton lange Zeit als Feind betrachtet. Ihr Senatswahlkampf 2000 konzentrierte sich darauf, durchzusetzen, dass die Waffen von der Straße verschwinden, und sie war eine mächtige Fürsprecherin eines bundesweiten Waffenregisters. Doch acht Jahre später, als sie gegen den damaligen Senator Barack Obama in der Vorwahl der Demokraten antrat, stellte sie sich konservativer auf als er. Sie nahm den Vorschlag des nationalen Registers zurück und berichtete öffentlich davon, wie ihr Vater ihr als kleines Mädchen das Schießen beigebracht hat. (Quelle)
Ähnliches gilt für die gleichgeschlechtliche Ehe. Hier war Clinton bis vor kurzem ablehnender eingestellt als mancher Republikaner, kann sich das aber jetzt nicht mehr leisten und wirkt äußerst unsouverän, wenn die mit dem Widerspruch konfrontiert wird.

Da bei den Anhängern der Demokraten nicht nur die Position, sondern vor allem die Gesinnung eine Rolle spielt, kann sie sich hier durchaus Sympathien verspielen. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es ihnen auch auffällt - hier ein schönes Beispiel - unbedingt ansehen!

Natürlich ist auch die Frage interessant, welche Bedeutung ihr Geschlecht hat. Nicht in dem schon zu Tode diskutierten Sinne, ob Amerika reif für eine Frau an der Spitze ist. Sondern wie es im Wahlkampf thematisiert wird. Auch hier ist nämlich ein Strategiewechsel offensichtlich.
After spending much of her 2008 campaign seemingly running away from the fact that she is a woman, Hillary Clinton is showing signs that 2016 is going to be a different story. It seems that Hillary has found her outer woman, which is to say, she's found the person that she wants to present on the campaign trail, and that person is resolutely female. This time she seems to have decided to fully embrace her womanhood as an asset in her quest for the White House and to trust that the voters will do the same. 
Nachdem sie im Wahlkampf 2008 die Tatsache, dass sie eine Frau ist, scheinbar großteils verdrängt hat, lässt Hillary Clinton durchblicken, dass es 2016 anders laufen wird. Es wirkt so, als ob Hillary zu ihrem weiblichen Erscheinungsbild gefunden hat, d.h. sie hat die Person entdeckt, als die sie sich im Wahlkampf präsentieren will, und diese Person ist ganz Frau. Diesmal hat sie sich wohl dafür entschieden, ihre Weiblichkeit ausschließlich als Vorteil auf ihrem Weg ins Weiße Haus zu betrachten und darauf zu bauen, dass die Wähler es ebenso sehen.  
Diese Weiblichkeit hat aber nichts mit der einer Katja Suding zu tun, die im Hamburger Wahlkampf von der Tagesschau so ausgeschlachtet wurde. Als mind conservative schwebt ihr etwas anderes vor. Unter dem Twitter-Hashtag #GrandmothersKnowBest schwingt sich die Großmutter einer gerade mal gut sechs Monate alten Enkeltochter zum altersweisen Familienoberhaupt der amerikanischen Nation auf, und ihr Wahlkampfvideo spricht eine eindeutige Sprache. Keine Inhalte, bei denen man sich widersprechen könnte oder Position beziehen müsste. Die Botschaft ist: "Hey folks, macht euch keine Sorgen und lasst erst mal die Omma ran, die kümmert sich schon drum".


Klingt allzu vertraut, nicht wahr? Aber es könnte Erfolg haben. Denn was eine Mutti kann, ist doch für die Großmutti ein Kinderspiel, oder?


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Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Hillary Clinton at 10 March 2015 press conference about her use of personal email while in office as United States Secretary of State. Von Voice of America gemeinfrei gestellt. Für Kommentare bitte hier klicken.