16. Juni 2006

Zettels Meckerecke
Der Mann am Pult

Fußballübertragungen brauchen, wie jede TV-Sendung, einen Regisseur. Genauer: Einen Bildregisseur. Einen eigentlichen Regisseur (den Director, den Metteur en Scene) braucht die Übertragung nicht, denn die Regisseure agieren ja auf dem Spielfeld, die Bälle verteilend, die Mitspieler dirigierend; und auf dem Trainerbänkchen, Anweisungen erteilend.

Aber welches der zahlreichen Bilder, die von den Kameraleuten angeboten werden, jeweils den Bildschirm erreicht, das entscheidet der Bildregisseur an seinem Regiepult. Er hat alle angebotenen Kameraeinstellungen auf einer Videowand vor sich und bestimmt durch, sagen wir, Knopfdruck, Mausklick oder das Tippen auf eine Touchscreen darüber, was "auf Sender geht".

Er ist, mit anderen Worten, derjenige, der für uns das leisten soll, was unsere selektive Aufmerksamkeit tut, wenn wir ein Spiel als Zuschauer auf dem Platz verfolgen: Den Wechsel zwischen dem Beachten des ganzen Felds, eines einzelnen Ausschnitts, einer bestimmten Aktion wie einem Steilpaß (siehe Warum ist Fußball so schön?).

Das sollte er simulieren, der Mann am Pult, indem er uns mal die Totale zeigt, mal eine Teiltotale, mal einen Zweikampf oder gar das lädierte Knie eines Spielers in Großaufnahme.



Das sollte er, der Mann am Pult, aber er tut es nicht. Genauer gesagt: Er begnügt sich nicht damit.

Es scheint, daß er seine Aufgabe nicht nur darin sieht, uns das Spiel darzubieten, sondern daß er uns mit allerlei Schnickschnack zu unterhalten trachtet. Also wird der plaudernde Beckenbauer, ein grimassierender und seine Flasche massierender Trainer, ein als Paradiesvogel aufgeputzter Zuschauer, ein Pulk feiernder Fans gezeigt.

Mit einer gewissen Berechtigung geschieht das dann, wenn das Spiel unterbrochen ist - die betreffenden Herrschaften werden dann sozusagen in der Funktion des Pausenclowns eingesetzt. The show must go on. Die kleine Erholungspause, die dem Zuschauer auf dem Platz durch solche Spielunterbrechungen gewährt wird, darf es im Medium Fernsehen nicht geben, dessen Prinzip die im Wortsinn ununterbrochene Unterhaltung ist (siehe Daily Soap).



Aber er begnügt sich ja nicht mit dem Pausenfüllen, der Mann am Pult. Irgendwann, man weiß nicht warum, überkommt es ihn, einen solchen Firlefanz in die Übertragung hineinzuschneiden. Während das Spiel läuft. Nicht selten, während es sogar auf Hochtouren läuft.

Heute gab es wieder ein krasses Beispiel gegen Ende der Übertragung des Spiels Mexico-Angola. Plötzlich hatte der Herr am Pult die Eingebung, eine Fahne bildschirmfüllend zu zeigen; ich glaube, es war die mexikanische. Und während die wehte und wehte, verriet uns immerhin der Kommentar, daß Dramatisches im Gang war: Ein plazierter Schuß aufs Tor, eine Glanzparade von Ricardo.



Und sowas ist keine Ausnahme. Was zum Teufel denken sich diese Bildregisseure dabei? Sind das Ästheten, die sich mit dem schlichten Übertragen des Spiels künstlerisch unterfordert fühlen? Halten sie das Spiel für so langweilig, daß sie es durch optische Aufrüstung aufzupeppen versuchen?

Ich weiß es nicht. Vielleicht weiß es ein Leser und verrät es uns.