6. August 2006

Rambo

Gestern lief im TV wieder einmal "Rambo". Ein Film, der so viel - im Wortsinn - Furore gemacht hat wie kaum ein anderer. "In Rambo-Manier" ist eine deutsche Redensart geworden. Wer jemandem Grobheit, Brutalität und - ach ja, nicht zu vergessen - ein "macho-haftes" Verhalten vorwerfen möchte, der ist schnell mit "Rambo" zur Hand.

Der Film nun allerdings heißt überhaupt nicht "Rambo", schon gar nicht "Rambo I". Sondern er heißt "First Blood", wurde später allerdings auch unter dem Titel: "Rambo - First Blood" vermarktet.

Warum "First Blood"? Weil Rambo an einer Stelle sagt, daß nicht er es gewesen sei, der als erster Blut vergossen habe. Wie überhaupt dieser Rambo (in diesem ersten Film; später war es anders) alles andere als "ein Rambo" ist.



Der Rambo des Films ist ein armes Schwein. Ein Vietnam-Veteran, der - so schildert er es gegen Ende des Films in dem Monolog, in dem er dem Colonel Trautman sein Herz ausschüttet - nach seiner Heimkehr Anerkennung für seinen Dienst am Vaterland erhoffte und stattdessen von Kriegsgegnern verunglimpft wurde. Ein Mann, so sagt er, der im Krieg die Verantwortung für Menschen und für Gerät im Millionenwert hatte, und den man jetzt nicht einmal als Parkwächter einstellen will.

Also zieht er umher. Am Anfang des Films auf der Suche nach einem Kameraden aus seiner Kompanie, der aber, wie er erfährt, inzwischen an Krebs gestorben ist. Er zieht also weiter, wird von einem Sheriff für einen Landstreicher gehalten, bekommt Ärger mit diesem bulligen Ordnungshüter, wird auf die Polizeiwache gebracht und dort schlecht, teilweise brutal behandelt - und erlebt in diesen Situationen der Demütigung Traumata wieder, die sadistische Gegner ihm in Vietnam angetan hatten. Er reagiert panisch, befreit sich und flieht.

Und damit beginnt die eigentliche Handlung: Die Flucht des John Rambo, verfolgt von zunächst ein paar Polizisten, dann den Freizeitsoldaten der Nationalgarde, schließlich einer veritablen kleinen Armee. Er ist das gejagte Wild, entkommt aber immer wieder, dank seiner Ausbildung als Einzelkämpfer. Mehrfach macht er seinen Jägern ein Friedensangebot; sie gehen nicht darauf ein. Schließlich sprengt er mit Maschinengewehrbeschuß eine Tankstelle in die Luft, liefert sich mit dem Sheriff ein Showdown - und verwandelt sich.



Ja, dieser wortkarge, fast stumme Mensch, der sich, gleich einem modernen Harpo Marx, lediglich im Umgang mit Dingen, mit Geräten ausdrücken hatte können, der wie ein Steinzeitjäger durch düstere Wälder und Schluchten gehetzt war - dieser Mann fängt an zu reden. Reflektierend, emotional. Gewissermaßen eine Talking Cure im Stakkato.

Am Ende dieses Monologs klappt er zusammen; erschöpft, verzweifelt, hilflos - ein Geschlagener. Lethargisch läßt er sich festnehmen und abtransportieren.



Man kann das, wie jeden guten Film, sehr unterschiedlich interpretieren:
  • Es ist die alte Geschichte vom Einzelgänger, vom Lonely Wolf, der von der Meute gejagt und am Ende zur Strecke gebracht wird. Wortkarg wie Ringo; der scheinbar Eiskalte, der in Wahrheit tiefe Verletzungen mit sich herumträgt.

  • Es ist die uralte Geschichte von der Gewalt, die aus erlittenem Unrecht entsteht. Rambo ist der moderne Michael Kohlhaas. Wie diesen treibt ihn dieses Unrecht in einen Krieg gegen die Gesellschaft; wie Kohlhaas verliert John Rambo jedes Maß, wird zu einem der "entsetzlichsten Menschen", wie Kleist das von Kohlhaas schreibt.

  • Es ist auch die sehr amerikanische Geschichte von den bigotten Rednecks, die den Andersartigen nicht ertragen. Rednecks wie aus "In the Heat of the Night", wie in "Easy Rider". (Es ist ja kein Zufall, daß die Figur den Latino-Namen Rambo trägt und von dem Italoamerikaner Stallone gespielt wird).


  • Und es ist, auf einer anderen Ebene, ein Zeitfilm; aus heutiger Sicht schon ein historischer Film. Gedreht in einem Land, das sich damals (1982) von den Verletzungen zu befreien versuchte, die der Vietnam-Krieg hinterlassen hatte.

    Verletzungen ja nicht nur bei denjenigen, die diesen Krieg nicht gewollt hatten und in ihm ein Unrecht sahen; sondern ebenso - oft viel tiefer - bei denen, die in ihm ihr Leben und ihre Gesundheit eingesetzt hatten und dafür den Undank einer Nation ernteten, die nur eines wollte - dieses Trauma eines schmutzigen Kriegs und einer demütigenden Niederlage vergessen, austilgen. Dem heimkehrenden Krieger wurde das verweigert, worauf er seit Jahrtausenden Anrecht hat: Wenn schon nicht Ruhm, dann doch wenigstens Dank des Vaterlands.


    Das also sind einige der Themen und Motive dieses Films. Keiner der ganz großen Filme, gewiß. Aber ein bemerkenswerter Film. Wie kommt es, daß er, daß die Figur des Rambo, so ein negatives Image bekommen hat? Einiges kann man vermuten.
  • Die achtziger Jahre waren eine politisch unruhige Zeit, in der der Antiamerikanismus, der heute in Deutschland so viel Terrain gewonnen hat, sich zu formieren begann; vor allem in der "Friedensbewegung". Vielleicht kam da die Figur des Rambo als Feindbild gerade recht. Der brutale Ami, der sich rücksichtslos durchsetzt. Noch heute wird ja in unzähligen Kommentaren und Karikaturen Präsident Bush von denjenigen mit Rambo in Verbindung gebracht, die seine Politik für aggressiv halten.

  • Ähnlich dürfte es in Bezug auf die "Frauenbewegung" gewesen sein, deren Feindbild des "Macho" sich in Rambo zu verkörpern schien. Das Wilde, das Tierhafte dieser Figur mag nachgerade als archetypisch männlich gesehen worden sein. Als Ausdruck derjeniger Virilität, die man bekämpfte und aus der Welt schaffen wollte.

  • Und "Vietnamkrieg" - das war ja im Jahrzehnt zuvor ein zentrales politisches Thema gewesen. Viele Achtundsechziger sagen im Rückblick, daß sie damals "durch den Vietnamkrieg politisiert" worden seien. Daß "First Blood" alles andere als eine Verherrlichung des Vietnamkriegs ist, scheint kaum bemerkt worden zu sein. John Rambo hatte in dem Film als Elitesoldat gegen den Vietcong gekämpft - das genügte, um dieser Figur ihr Negativ-Image zu verpassen.



  • Sicher kein ganz großer Film, wie gesagt. Sehenswert aber nicht nur, weil er nachdenklich macht, was seine Rezeption angeht. Sondern vor allem deshalb, weil er, während man ihn sieht, gerade keine Zeit zum Nachdenken läßt.

    Es ist ein schneller Film, ein schnörkelloser Film. Ein Film auch mit viel Atmosphäre. Er spielt im amerikanischen Nordwesten, vermutlich in Oregon. Düstere Wälder, felsige Schluchten, die Stollen eines aufgelassenen Bergwerks sind meist die Kulisse, in der Rambo agiert wie ein Steinzeit-Mensch mit modernen Waffen. Als Kontrast dazu das grelle Licht einer nächtlichen Stadt, das Tohuwabohu eines Polizei-Aufmarschs.

    Vor allem aber ist er ein spannender Film, ein sehr gut gemachter Action-Thriller.

    Und Sylvester Stallone ist eine Wucht. Seit Buster Keaton hat niemand mit so wenig Mimik, mit so wenig sprachlichem Ausdruck die Zuschauer fasziniert. Und wie Keaton tut Stallone das durch eine Körpersprache, die manchmal an Ballett erinnert.



    © Zettel. Titelvignette: Sylvester Stallone. Vom Autor Towpilot unter Creative Commons Attribution ShareAlike 3.0 License freigegeben.