2. November 2006

Ein Gnadenakt? - Nein: Die Aufhebung eines Skandalurteils

Es war eine Entscheidung wie bei einem Patienten, dem eine lebenserhaltende Therapie genehmigt oder verweigert werden kann. Aber nicht Ärzte hatten sie zu treffen, sondern Administratoren, Techniker, Politiker. Und nicht um Leben oder Tod eines Menschen ging es, sondern um ein technisches Objekt.

Aber was für eines: Hubble. Wird das Raumteleskop Hubble durch einen Shuttle-Flug, bei dem verbrauchte Batterien ersetzt, Gyroskope erneuert und neue Instrumente installiert werden, für weitere Jahre funktionsfähig gehalten, oder läßt man es sterben?

Die gestrige New York Times fand das Thema wichtig genug für ein Editorial, also einen nicht namentlich gezeichneten Kommentar, der die Meinung der Redaktion insgesamt zum Ausdruck bringt.

Kürzlich hatte ich Anlaß, gleich zweimal in kurzem Abstand ein solches Editorial der NYT heftig zu kritisieren. Umso mehr freue ich mich, der NYT (die ich immer noch für die beste Zeitung der Welt halte) jetzt wieder einmal aus voller Überzeugung zustimmen zu können.



Hubble ist seit 1990 im All, dh es kreist als Satellit um die Erde und guckt ins All - ungleich schärfer als irdische Teleskope, weil die elektromagnetischen Wellen, die es einfängt, nicht durch Luftschichten hindurch müssen, die sie ablenken und mannigfach verderben. Es hat, schreibt die NYT in ihrem Editorial, nach dem Urteil eines Ausschusses aus hervorragenden Astronomen, "... arguably (...) a greater impact on astronomy than any instrument since the original astronomical telescope of Galileo." Es hat sich auf die Astronomie stärker ausgewirkt als irgendein Instrument, seit Galilei das erste astronomische Teleskop erfand.

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, daß ein so ungeheuer wichtiges Gerät - wissenschaftlich sicher weitaus wichtiger als die ganze Raumstation ISS - solange funktionsfähig gehalten wird, wie es nur irgend geht. Aber dazu muß es eben im Abstand einiger Jahre gewartet werden, was einen Shuttle-Flug verlangt.

Shuttle-Flüge nun sind knapp geworden, wegen der beiden Unfälle mit Challenger und Columbia und der an ihnen offenbar gewordenen technischen Probleme. Einerseits. Und andererseits beginnt gerade eine neue Space Race, ein Wettlauf der USA mit China um die erste (erneute) Mondlandung. Und des weiteren kann man dem US-Kongreß und den Wählern die Raumfahrt und ihre immensen Kosten nur schmackhaft machen, indem man ein Riesenziel ansteuert, den Mars.

Also entschied der vergangene NASA-Chef O'Keefe im Jahr 2004, daß es keinen Flug zu Hubble mehr geben würde; daß man dieses also seinem Schicksal überlassen werde. Die Shuttle-Flüge sollten ganz auf die ISS, den Mond, den Mars gerichtet werden.



Und nun gab es, durch den heutigen NASA-Chef Griffith, die Begnadigung - oder, besser gesagt, die Revision dieses skandalösen Todesurteils. Es wird einen Shuttle-Flug zu Hubble geben.

Wieso? Weil interveniert wurde. Nicht nur von der National Academy of Sciences, sondern - schreibt die NYT - auch aus dem Kongreß heraus.

Sie sind also gar nicht so populistisch, die amerikanischen Politiker. Jedenfalls nicht alle.