11. November 2006

Eine "diplomatische Lösung" für den Irak? Wie damals in Vietnam?

James Webb, dessen knapper Sieg über den Republikaner George Allen in Virginia den Demokraten die Mehrheit im Senat gebracht hat, äußerte sich unmittelbar nach seinem Sieg zum Irak-Krieg. In ein Rede in Arlington versprach er, so berichtete es gestern die Washington Post, a new approach to the war that he said will lead to a diplomatic solution, ein neues Vorgehen im Irak-Krieg, das, wie er sagte, zu einer diplomatischen Lösung führen wird.

Bei mir weckt das schlimme Erinnerungen. Erinnerungen an das Ende des Vietnam-Kriegs.



In letzter Zeit häufen sich Stimmen von Kommentatoren, die eine Parallele zwischen dem Irak- und dem Vietnam-Krieg ziehen. Repräsentativ dafür ist ein Kommentar von Colbert I. King in der Washington Post, in dem er von ghostly similarities, von schaurigen Ähnlichkeiten zwischen dem Irak- und dem Vietnamkrieg spricht und fragt: How in the world could we be reliving a nightmare like Vietnam? Wie in aller Welt habe es geschehen können, daß dieser Alptraum zurückgekehrt sei.

Ich will nicht untersuchen, inwieweit die aktuelle Situation im Irak mit der in Vietnam während des dortigen Kriegs vergleichbar ist; vielleicht einmal später in einem anderen Blog (ein paar vorläufige Gedanken dazu hier). Jetzt will ich mich mit der diplomatic solution befassen, die Webb ins Auge fassen möchte. Denn dazu gibt es eine unmittelbare, eine beklemmende Parallele im Vietnam-Krieg.



Die letzte Phase dieses Kriegs begann mit der Tet-Offensive Ende Januar 1968, einer großangelegten gemeinsamen Offensive des Vietcong und nordvietnamesischer Truppen gegen vietnamesische Großstädte wie Saigon und Hue und gegen US-Militärbasen.

Diese Offensive wurde für die Angreifer zum Desaster. Keine einzige Stadt oder Militärbasis konnte erobert und gehalten werden. Die Zahl der gefallenen Vietcong und Nordvietnamesen wird auf 45 000 geschätzt, das Zehnfache der US- und südvietnamesischen Verluste. Nach dieser Offensive hatten die Kommunisten keine Chance mehr, diesen Krieg militärisch zu gewinnen. Dennoch schuf die Tet-Offensive die Grundlage für ihren triumphalen Sieg sechs Jahre später.

Denn mit den Bildern von der Offensive, mit Fotos wie dem berühmten Bild, auf dem der Polizeichef von Saigon einen Gefangenen erschießt, kippte die Stimmung in den USA. Bis dahin hatte in den Umfragen eine Mehrheit der Amerikaner das US-Engagement in Vietnam befürwortet; das änderte sich nun. In seiner eigenen Demokratischen Partei geriet Präsident Johnson unter heftige Kritik; zwei Gegenkandidaten für die im November 1968 bevorstehenden Wahl des Präsidenten, Eugene McCarthy und Robert F. Kennedy, erhielten großen Zulauf. Johnson hatte keine Alternative, als auf eine erneute Kandidatur zu verzichten und anzukündigen, er werde bis zum Ende seiner Amtszeit versuchen, den Vietnam-Krieg zu beenden.



Man suchte also, so wie Webb das jetzt für den Irak vorschlägt, die diplomatic solution. In Paris starteten im Mai 1968 Friedensgespräche. Sie dauerten fünf Jahre, während denen sich der Krieg dahinschleppte, ohne Siegeswillen auf amerikanischer und ohne Siegesaussicht auf der kommunistischen Seite. Am 27. Januar 1973 wurde ein Friedensvertrag unterzeichnet, der einen Waffenstillstand, den Rückzug der US-Truppen, Verhandlungen zwischen den beiden vietnamesischen Seiten und eine Wiedervereinigung mit "friedlichen Mitteln" vorsah.

Es war faktisch die Kapitulation der USA gegenüber einem Gegner, der ihnen zu keiner Zeit militärisch gewachsen gewesen war. Die südvietnamesische Regierung wehrte sich verzweifelt gegen diesen "Frieden", aber sie hatte keine Chance mehr.

Die USA begannen den Truppenabzug, doch die versprochene Hilfe für die südvietnamesische Regierung wurde immer dürftiger. Im Kongreß herrschten die Demokraten, die im Dezember 1974 die Militärhilfe für Südvietnam kurzerhand ganz strichen. Damit war das Ende besiegelt. Im April 1975 rückten die kommunistischen Truppen in Saigon ein.



Danach begann eine Schreckensherrschaft der Kommunisten, der Hundertausende zum Opfer fielen. Hier ist eine Zusammenstellung von Quellen zu den Opferzahlen. Geschätzt wird, daß
  • 65 000 Menschen von den Kommunisten hingerichtet wurden (Quellen: The Washington Quarterly und US-Außenministerium)

  • eine Million Menschen in Konzentrations- (sogenannte "Umerziehungs-") lager eingeliefert wurden, von denen 165 000 umkamen (Quellen: Orange County Register und Northwest Asian Weekly)

  • 250 000 Menschen bei dem Versuch, über das Meer zu fliehen, ums Leben kamen. 929 600 wurden als Asylsuchende registriert (Quelle: UN-Hochkommissar für Flüchtlingsfragen)


  • R.J. Rummel, emeritierter Professor für Politische Wissenschaft an der Universität von Hawai, der sich in einer Monographie mit den Kriegen in Indochina befaßt hat und mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert wurde, schrieb im April 2005 zum dreißigsten Jahrestag des Falls von Saigon unter der Überschrift "An ihren Händen klebt das Blut von Millionen" (Auszüge; meine Übersetzung):
    Am 30. April ist der Fall von Saigon 30 Jahre her, eine Horrorgeschichte des Verrats amerikanischer Linker und Kommunisten, und des Bluts an ihren Händen. (...) Obwohl der Krieg faktisch militärisch gewonnen war, erzwang die Allianz zwischen der Linken, Kommunisten, der Demokratischen Partei und wichtigen Medien den militärischen Rückzug aus Vietnam und eine massive Reduktion der Hilfe für Südvietnam. Ohne hinreichende amerikanische Hilfe und Unterstützung brach der Süden unter der der Offensive der Nordvietnamesen mit regulären Truppen zusammen, und der Norden besetzte und annektierte ein zuvor souveränes Land. (...) Hunderttausende wurden ermordet - einfach hingerichtet, oder sie starben in "Umerziehungslagern" und in den "neuen Wirtschaftszonen". Und man vergesse nie die mehr als eine Million Vietnamesen, die einen entsetzlichen Tod auf dem Meer riskierten, um der kommunistischen Versklavung zu entkommen (die Boat People), von denen schätzungsweise 500 000 nie mehr Land sahen.
    Das war das Ergebnis der "diplomatischen Lösung". Und diejenigen, die diese "Lösung" ausgehandelt hatten - Henry Kissinger und Le Duc Tho - erhielten dafür den Friedensnobelpreis. Eine "diplomatische Lösung" für den Irak - man kann nur hoffen, daß sie dem irakischen Volk erspart bleibt.


    Dank an Reader für die vielen ausgezeichneten Beiträge in der Sektion "Aus der heutigen amerikanischen Presse" in Zettels kleinem Zimmer, denen auch dieser Blog wieder viele Hinweise und Einsichten verdankt. Herzlichen Dank, auch wenn wir sicherlich vieles unterschiedlich beurteilen; gerade beim jetzigen Thema.