23. Februar 2007

Randbemerkung: Vance Packard und die Öko-Tomaten

Heute habe ich für ein geplantes Pasta- Gericht unter anderem die Tomaten eingekauft. Ich brauchte ungefähr ein Pfund ziemlich große Tomaten, also, sagen wir, vier. Geeignetes fiel mir alsbald im Supermarkt ins Auge - vier große Tomaten, abgepackt, 500 g.

Ich hatte sie schon fast in den Warenkorb getan, als mein Blick auf den Preis fiel: 2.99 Euro.



Moment mal. Zwei Euro neunundneunzig, also rund sechs Mark, für vier Tomaten? Da habe ich dann doch noch mal hingeguckt.

Und siehe, es waren nicht einfach Tomaten, sondern Öko- Tomaten aus ich weiß nicht was für einem wie zertifizierten Bio- Anbau. Aus Israel.

Ich habe die Packung erst mal zurückgelegt und mich nach anderen Tomaten umgesehen. Nebenan wurden schöne, wohlriechende, lose Rispentomaten angeboten, für 1.99 das Kilo. Zwei Mark also statt sechs Mark für 500 Gramm.

Die habe ich genommen. Inzwischen kann ich dem Leser nach einer Geschmacksprobe mitteilen, daß sie ausgezeichnet schmecken.



Was ist da los? Vermutlich hätte kein Autobauer eine Chance, der einen Mittelklassewagen zum dreifachen Preis seiner Mitbewerber anbieten würde. Niemand würde einen Computer kaufen, der bei vergleichbarer Leistung dreimal so viel kostet wie die Computer der Konkurrenz.

Aber bei Lebensmitteln ist es offenbar anders. Sobald das Zauberwort "Öko" draufsteht, ist der Verbraucher - nein, nicht der, aber doch ein Segment der Verbraucher - bereit, Preise zu zahlen, die weit jenseits jedes vernünftigen Marktpreises liegen.



Was bekommt er dafür, der Konsument, der sich diesen Luxus leistet? Naja, Tomaten, Eier, Kartoffeln.

Meine Frau und ich haben gelegentlich den doppelten Blindversuch gemacht: Öko- Ei gegen Normalo- Ei. Öko- Kartoffel gegen Normalo- Kartoffel.

Es fand sich nicht die Spur eines Hinweises darauf, daß die Öko-Produkte besser schmecken als die anderen. Mal die einen, mal die anderen. Wie es halt im Wesen zufälliger Unterschiede liegt.



Ja, aber, sie sind doch gesünder, die Bio- Öko- Produkte. Sind sie?

"Gesund" sind eigentlich Menschen und Tiere, nicht Äpfel und geschlachtete Hähnchen. Gemeint ist mit "gesund" wohl so etwas wie "gesundheitsfördernd". Oder "nicht krankmachend".

Ja, stimmt das denn? Ich kenne keine Daten, die belegen oder es auch nur wahrscheinlich machen, daß Konsumenten von Bio- Produkten weniger krankheitsanfällig sind, daß ihre Lebenserwartung höher ist als die der Normalos.

Vielleicht sind mir diese Daten entgangen - wenn jemand solche Untersuchungen kennt, wäre ich für einen Hinweis dankbar.



Vorläufig, bis zum Beleg oder wenigstens Hinweisen auf das Gegenteil, bin ich der Meinung, daß diese Öko- und Bio- Produkte genauso gut oder schlecht schmecken wie die anderen auch; daß sie genauso gesund erhalten oder krank machen wie die anderen auch.

Warum also geben so viele Menschen so viel mehr Geld dafür aus, sie zu erwerben? Ich versuche mir das mit Rückgriff auf einen Klassiker der Werbepsychologie zu erklären, den guten alten Vance Packard.

Der publizierte 1957 den Bestseller The Hidden Persuaders. Darin vertrat er die - aus Sicht der heutigen Werbepsychologie vielleicht ein wenig naive - These, daß der Verbraucher nicht Kosmetika kauft, sondern Schönheit; nicht einen Straßenkreuzer, sondern sozialen Status; nicht den Staubsauger, sondern die Wohlanständigkeit der Wohnung.



Das war sicher ein wenig simpel gedacht. Aber in unserem jetzigen Fall, bei der Bereitschaft, Bio- Produkte zu Wahnsinnspreisen zu kaufen, hilft seine These vielleicht in der Tat zum Verständnis:

Man gibt - so will es mir scheinen - viel Geld aus: Nicht, damit es besser schmeckt; nicht, weil man dadurch seltener krank wird oder länger lebt.

Sondern weil man damit das schöne Gefühl kauft, gesünder zu leben als die anderen, progressiv zu sein, umweltbewußt.

It simply feels better. Und dafür zahlen diejenigen, die sich das leisten können.




Um diesen Beitrag mit etwas Positivem zu beenden: Man bereite zur Pasta, z.B. Spaghetti, ein kaltes Sugo aus frischen Tomaten, Thunfisch, Knoblauch, abgeriebener Zitrone, gehackten Kapern, gehackten Chilischoten, Basilikum, Olivenöl. Abschmecken mit Salz und Pfeffer, das versteht sich ja.

Auf die Mengen kommt es nicht so an, das ist Geschmackssache. Nur sollten Thunfisch und Olivenöl erste Qualität sein. Und die Tomaten auf Geschmack statt auf Rundheit oder "Schnittfestigkeit" gezüchtet. Öko ist nicht erforderlich.

Das ist ein Rezept meiner Lieblings- Fernsehköche Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer