20. März 2007

Neues zum Fall Kurnaz. Oder: Die Mär vom blauäugigen Parzival, dem bösen Riesen und den schnöden Rittern

Wir ordnen uns die Welt mit Hilfe von Schemata, Scripts, Frames; wie immer man das genannt hat. Das tun wir spontan, aber wenn es um Politisches geht, dann helfen die Medien uns oft dabei.

Das Script, das uns fast alle deutschen Medien zu dem Fall Murat Kurnaz angeboten haben und anbieten, ist die Geschichte vom blauäugigen Parzival Murat Kurnaz, der auszog, um in Pakistan wenn auch nicht seinen Gral, so doch spirituelle Erleuchtung zu finden.

Aber oh weh, da kam der Böse Riese USA, raubte und mißhandelte ihn und verschleppte unseren armen Helden in die finstere Höhle Guantánamo. Dort schmachtete er Jahr um Jahr, unser blauäugiger Parzival.

Und kein Ritter kam, ihn zu befreien. Insbesondere die deutschen Ritter, allen voran der Truchseß Steinmeier, machten sich schuldig, indem sie dem armen Parzival schnöde die Befreiung versagten.

Also werden sie jetzt vor die Ritterschaft geladen, die säumigen Ritter, und sollen sich rechtfertigen. Was sie aber, so wissen wir, gar nicht können, denn ihre Pflichtvergessenheit ist ja längst ans Licht gekommen.

So denken wir. So sollten wir jedenfalls denken, wenn wir der Berichterstattung der meisten deutschen Medien folgen.

Man könnte auch sagen, wenn wir ihr auf den Leim gegangen sind. Wenn wir das Script, das sie uns anbieten, in unsere Sicht der Welt eingebaut haben.



Im Januar und zu Beginn dieses Monats habe ich auf ein paar Fakten hingewiesen, die nicht so recht in dieses Script passen:

Murat Kurnaz wurde in Pakistan in einer Einrichtung einer Organisation namens Tablighi Jamaat festgenommen, die als Rekrutierungs- Organisation für Dschihadisten gilt.

Was die angeblichen Folterungen angeht, ist er Zeuge in eigener Sache, und das Handbuch der El Kaida weist festgenommene und dann freigelassene Dschihadisten an, stets zu behaupten, sie seien gefoltert worden.

Daß ein Türke, um spirituelle Erleuchtung zu erlangen, ausgerechnet nach Pakistan zieht, ist zumindest dann unplausibel, wenn man weiß, daß seine Familie in der Türkei lebt. Er also dort jede Möglichkeit gehabt hätte, sich in einem islamischen Zentrum spirituell weiterzubilden. Was zog ihn ausgerechnet nach Pakistan?



Nun berichtet der Tagesspiegel in seiner morgigen Ausgabe Neues zum Fall Kurnaz, sehr Interessantes:
Der Verdacht, dass sich Murat Kurnaz in islamistischen Kreisen bewegt hat, hat sich erhärtet. (...)

Kurnaz war im Herbst 2001 nach Pakistan gereist, dort festgenommen und von den USA über vier Jahre in Guantanamo festgehalten worden. Sein Gefährte Selcuk Bilgin (...) sagte ein Jahr später einem Deutsch-Libanesen namens Ali T. in der Bremer Abu-Bakr-Moschee, Kurnaz "nach Afghanistan geschickt" zu haben. (...) Laut Vernehmungsprotokoll der Polizei sagte der Entführer: "Selcuk erzählte mir auch, dass er schon einmal einen jungen Mann in den Dschihad nach Afghanistan geschickt hatte. Es war der Murat Kurnaz." (...)

Laut T. spielte bei seiner Radikalisierung auch der islamistische Vorbeter der Abu-Bakr-Moschee, Ali Miri, eine zentrale Rolle. Miri hatte zudem nach Aussagen von Kurnaz' Mutter starken Einfluss auf ihren Sohn.
Natürlich sind auch solche Zeugenaussagen kritisch zu würdigen.

Nur - was in aller Welt veranlaßt die deutsche Öffentlichkeit, die Zeugenaussagen des Murat Kurnaz in eigener Sache nicht kritisch zu würdigen?

Wie kommen die meisten deutschen Medien dazu, diesem Mann die unglaubwürdige Behauptung, er habe sich ausgerechnet nach Pakistan aufgemacht, um dort spirituelle Erleuchtung zu finden, abzunehmen?

Mir scheint, da hat diesen Medien, da hat den meisten von uns das Script vom blauäugigen Parzival, dem Übles widerfährt, ganz schön den klaren Blick getrübt.