29. April 2007

Randbemerkung: Putins Krisentaktik - erst die Raketen, jetzt Tallinn

Für einen scheidenden Staatsmann benimmt sich Wladimir Putin seltsam, ja geradezu skurril.

Ein Staatsmann, der weiß, daß er definitiv in weniger als einem Jahr sein Amt übergeben muß, wird alles tun, um internationale Krisen zum vermeiden, um bestehende zu entschärfen. Zum einen, weil ein Amtswechsel mitten in einer Krise schwierig ist. Zum anderen, weil jeder Staatsmann ein bestelltes Haus hinterlassen möchte; weil er in der Geschichte nicht als einer dastehen möchte, der seine Aufgaben nicht zu Ende brachte.

Putin aber hat vor einem Vierteljahr, Anfang Februar, begonnen, das Verhältnis zwischen Rußland und dem Westen geradezu mutwillig zu verschlechtern. Seine damalige, mit einer gewissen Fassungslosigkeit aufgenommene Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde von einem Artikel seines damaligen Verteidigungsministers Iwanow flankiert - offenbar mit Vorbedacht in eine Münchner Zeitung plaziert, die SZ.

Ich habe damals diesen sehr eigenartigen Artikel kommentiert und unter anderem auf diese Passagen hingewiesen:
Die Errichtung eines Raketenabwehr-Abschnitts nahe der russischen Grenze ist ein unfreundliches Signal. Es belastet die Beziehungen zwischen Russland und den USA, Russland und den Nato-Staaten sowie Russland und Polen (oder jedem anderen Land, das seinem Beispiel folgt). (...)

Estland und Lettland können als Präzedenzfälle dienen. (...) Selbst die "Demokratisierung" in diesen baltischen Staaten hat einen verdrehten Charakter angenommen. (...) In absurder Weise werden faschistische und nationalistische Ideen propagiert, wird die russischsprachige und insbesondere die ethnisch- russische Bevölkerung diskriminiert. Die politische "Blindheit" der Allianz in dieser Frage ruft bei uns, gelinde gesagt, Unverständnis hervor.


Iwanow hatte also zwei Konfliktfelder benannt - die Raketenabwehr und die Situation der russischen Minderheit in den baltischen Staaten. Und just diese beiden Konflikte werden im Augenblick vom Kreml geschürt mit dem offensichtlichen Ziel, parallel zwei internationale Krisen auszulösen.

Bei den Raketen meinen manche Kommentatoren (wie der SPD- Linke Gernot Erler, jetzt immerhin Staatsminister im AA) ja mal wieder ein Sich- bedroht- Fühlen der Sensibelchen im Kreml zu erkennen; obwohl diese Raketen Rußland ungefähr so sehr bedrohen wie die Raketen, die die Tschechen und Polen zu Neujahr in den Himmel schießen.

Aber nun gut, man mag das anders sehen. Daß aber Moskau den Konflikt in Estland ganz bewußt schürt, liegt auf der Hand. Mag sein, daß der russische Geheimdienst bei den Unruhen selbst nicht die Hand im Spiel hatte (obwohl das Gegenteil naheliegend ist) - aber wenn ein paar angeblich "aufgebrachte" Jugendliche in Tallinn randalieren, dann hätte das der Kreml, wäre er an Ruhe auf dem Baltikum interessiert, ignorieren und auf die Randalierer mäßigend einwirken können.

Stattdessen wird ein diplomatischer Zirkus veranstaltet, der in keinem Verhältnis zum Anlaß steht. Putin telefoniert eigens mit der Eu-Ratsvorsitzenden Merkel und spricht dabei von einer "Krisensituation". Der russische Föderationsrat verlangt auf Antrag des Putin-Intimus Mironow den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Estland. Der Moskauer Bürgermeister Luschkow, auch er ein Putin- Getreuer, fordert gar den Boykott estnischer Waren.



Das erinnert schon ein wenig an die Art, wie Hitler Ende der dreißiger Jahre die ethnischen Konflikte in Polen und der Tschechoslowakei schürte und propagandistisch ausnutzte. Wenn Minderheiten des eigenen Volks in anderen Ländern angeblich oder tatsächlich benachteiligt oder verfolgt werden, dann ist das immer ein erstklassiges Mittel, um das Volk hinter seiner Regierung zu versammeln.

Aus meiner Sicht macht das alles nur Sinn, wenn man annimmt, daß Putin das Szenario zu schaffen im Begriff ist, in dem das russische Volk,angesichts der "Bedrohungen", die ihm eingeredet werden, den Starken Mann bitten wird, es doch bitte nicht im Stich zu lassen.