12. April 2007

Randbemerkung: Die Scharia, Günther Oettinger und der Hut des Landvogts Geßler

Ich bin ein Gegner des Totalitarismus in allen seinen Spielarten. Also bin ich ein Antinazi (und auch ein Antifaschist, was ja nicht dasselbe ist). Ich bin ein Antiislamist und ein Antikommunist. Ich bin ein radikaler und überzeugter Gegner des Antisemitismus, auch wenn er sich als Antizionimus oder Antiimperialismus oder Fürsorge für die Palästinenser oder sonstwie tarnt.

Muß ich deshalb dann, wenn jemandem vorgeworfen wird, er sei ein Nazi gewesen, sofort zustimmen? Muß ich dann, wenn einer Richterin vorgeworfen wird, sie habe nach der Scharia geurteilt, sofort zustimmen?

Muß ich Jeden, sozusagen reflexhaft, für einen Kommunisten halten, dem das vorgeworfen wird? Muß ich jeden, der sich kritisch über einen israelischen Politiker und seine Politik geäußert hat (wie zum Beispiel seinerzeit Rudolf Augstein über die Groß- Israel- Politik der israelischen Rechten), für einen Antisemiten halten?

Muß ich Martin Walser, der sich sein Leben lang mit der deutschen Schuld gegenüber den Juden auseinandergesetzt und daran gelitten hat, für einen Antisemiten halten, nur weil er in einer Rede ehrlich seine Zweifel und Überlegungen zur Instrumentalisierung von Auschwitz mitgeteilt hat? Und weil ein Kritiker, der ihn schlecht behandelt und den er schlecht behandelt hat, zufällig Jude ist?

Natürlich muß ich das alles nicht. Aber ich habe zunehmend den Eindruck, daß viele das erwarten. Daß sie es von uns Skeptikern verlangen. Bei Strafe des Vorwurfs, wir seien in Wahrheit gar nicht gegen den Nazismus, den Kommunismus, den Islamismus, den Antisemitismus. Der Geßler- Hut, so kommt es mir manchmal vor, muß gegrüßt werden.

Zwei aktuelle Beispiele sind der Fall der Frankfurter Familienrichterin und heute der Fall Filbinger, der dabei ist, zu einem Fall Oettinger zu werden.



Ich bin entschieden und massiv dagegen, in irgendeiner Weise, auch indirekt, dem Islam einen Einfluß auf unsere Rechtsordnung einzuräumen.

Wer einen "Ehrenmord" begeht, der sollte wegen dieses Motivs nicht milder, sondern im Zweifelsfall härter bestraft werden. Denn es liegt auf der Hand, daß er aus einem niedrigen Motiv handelte; er nämlich sein soziales Ansehen höher stellte als ein Menschenleben. Daß in irgend einer Weise die Scharia unsere Rechtsordnung beeinflußen könnte, ist nach meiner Überzeugung inakzeptabel

Nur hat die Frankfurter Richterin, die so massiv unter Kritik geriet, das ja nicht getan, auch nicht ansatzweise. Sondern sie hatte bei der Entscheidung, ob ein Härtefall vorlag, der eine Scheidung vor Ablauf der gesetzlichen Trennungsfrist gerechtfertigt hätte, mit berücksichtigt, daß die klagende Frau einen frommen Moslem geheiratet hatte, über dessen Eheverständnis sie sich hätte klar sein können.

Mag sein, daß das juristisch falsch gewesen war; das kann ich nicht beurteilen. Mit der Verwendung der Scharia als Rechtsquelle hat es jedenfalls nichts zu tun.



Ich bin entschieden dagegen, Verbrechen milder zu bestrafen oder in einem freundlicheren Licht zu sehen, nur weil die Täter politisch motiviert waren. Das gilt für NS-Verbrecher, es gilt für Dschihadisten, es gilt für die RAF und andere kommunistische Verbrecher.

KZ-Mörder, Mauermörder, RAF-Mörder, islamistische Mörder werden durch ihre Motive nicht gerechtfertigt; sondern sie sollten nach meiner Überzeugung besonders hart bestraft werden, weil sie ihre Taten auch noch ideologisch zu bemänteln versuchten und versuchen. Sie sind in der Regel uneinsichtig; ein klassischer Grund für die Ausschöpfung des jeweiligen Strafrahmens.

Ich war, obwohl ich Gegner der Todesstrafe bin, damit einverstanden, daß 1962 Adolf Eichmann hingerichtet wurde; denn es gibt so etwas wie einen Anspruch der Opfer, daß an einem so exorbitant schuldigen Täter Gerechtigkeit geübt wird. Ich war und bin der Meinung, daß viele Nazi-Verbrecher zu milde bestraft wurden.

Nur war Hans Filbinger kein Nazi-Verbrecher. Er war kein Nazi, und er hat keine Verbrechen begangen. Er war das Opfer einer Kampagne der Abteilung X der HVA des MfS und eines eitlen Dramatikers, der später dadurch hervortrat, daß er ein Theater erwarb und als Eigentümer verfügte, daß Stücke von ihm zu spielen seien; so jedenfalls der "Tagesspiegel".

Der Ministerpräsident Oettinger hat in seiner gestrigen Trauerrede das gesagt, was die Wahrheit ist. Wer das nicht glaubt, den bitte ich, den penibel recherchierten Artikel von Günther Gillessen zu lesen. Soweit mir bekannt ist, ist in keinem einzigen Punkt bisher Gillessen eine Ungenauigkeit nachgewiesen worden.



Noch eine allgemeine Überlegung. Natürlich haben Politiker sich nach anderen Gesichtspunkten zu richten als ein Journalist oder ein Blogger, der sine ira et studio das schreiben kann, von dessen Richtigkeit er nach bestem Wissen und Gewissen überzeugt ist. Nur gebe ich dies zu bedenken:

Wenn man einen nachdenklichen und ehrenwerten Mann wie Martin Walser als Antisemiten brandmarkt - wird das nicht bei vielen die Überlegung auslösen, dann könne der Antisemitismus doch gar nicht so schlimm sein, wenn jemand wie Walser zu den Antisemiten gehört?

Wenn man den anständigen, katholisch- konservativen Hans Filbinger (von Verschwörern des 20. Juni bekanntlich für ein Amt vorgesehen) als Nazi, gar als "sadistischen Nazi" tituliert - wird das nicht zu der Überlegung führen, daß die Nazis dann so schlimm doch nicht gewesen sein können?



Am Ende zahlt sich auch in der Politik Augenmaß aus. Wer bei jedem Knacken im Gebüsch "Der Wolf!, der Wolf" ruft, dem glaubt man auch dann nicht mehr, wenn wirklich ein Rudel Wölfe im Anmarsch ist.