22. Mai 2007

Wie der Sozialismus die französischen Restaurants verändert hat. Und warum es das Bistrot von Madame Cornut nicht mehr gibt

Als ich das "Chez Clovis" betrat, kam alles mir irgendwie fremd vor. Gewiß, der Tisch links an der Wand, an dem ich immer esse, war noch da. Aber am Tresen konnte ich Madama Cornut nicht entdecken. Und der schöne alte Garderobe- Ständer neben der Treppe zur oberen Etage war verschwunden.

Es erschien eine, wie ich dachte, junge Kellnerin, die ich nicht kannte. Ich fragte sie, wo ich denn meinen Mantel hinhängen könnte. Antwort: Ich solle ihn doch einfach über einen Stuhl legen.

Da schwante mir Böses.



Die Kellnerin war keine Kellnerin, sondern die Frau oder Freundin des neuen Pächters, eines Nordafrikaners.

Monsieur und Madame Cornut hatten das "Chez Clovis" aufgegeben. Vor genau einer Woche, wie ich dann erfuhr.

Es heißt jetzt auch gar nicht mehr "Chez Clovis", sondern "Café Clovis"; das hatte ich übersehen. Und statt der köstlichen Gerichte aus der Auvergne wie der Cassolette de Rognons de Veau à la Moutarde stehen nun Allerweltsspeisen wie Rillette und Saumon Fumé auf der Speisekarte.



Ein altes Bistrot aus der Zeit der Halles weniger; eines der letzten. Gewiß niederkonkurriert von den Großen, von den Restaurant- Ketten wie dem Hippopotamus, das gleich nebenan eine Filiale hat?

Nein, jedenfalls nicht hauptsächlich. Madame Cornut hat es mir letztes Jahr erzählt, warum sie mit dem Gedanken spielte, aufzugeben. Ich hatte damals allerdings gedacht, es sei nur ein Gedankenspiel gewesen.

Sie hatte Angst, den Kampf gegen die Gesetze der Sozialisten zu verlieren. Sie erzählte mir das damals, am 30. April, als ich mich darüber gewundert hatte, daß der 1. Mai nun in Frankreich gesetzlicher Feiertag geworden war. Das war er dort nämlich traditionell nicht gewesen. (In Deutschland haben ihn bekanntlich die Nazis dazu gemacht).

Und da meinte sie, Madame Cornut, sarkastisch: Zum Ausgleich für die 35- Stunden- Woche hätte man jetzt den 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag gemacht.

Ein Gesetz der sozialistisch- kommunistischen Regierung, das die rechten Regierungen der letzten fünf Jahre nicht zu kippen gewagt hatten, schreibt in Frankreich die 35-Stunden-Woche vor. Bei vollem Lohnausgleich.

Das hat unzählige mittelständische Unternehmen in den Ruin getrieben, kleine Handwerker mit wenigen Beschäftigten, und eben viele Restaurants. Kleine Unternehmen, bei denen die Lohnkosten einen großen Teil der Kosten ausmachen.



Sie haben sich dagegen gewehrt, und dabei hat sich das Angebot der kleinen und mittleren Restaurants radikal verändert.

Noch vor einem, zwei Jahrzehnten wurden überall Ménus angeboten, oft La Formule genannt. Sie bestanden aus Hors d'Ouevre, Entrée, Plat, Fromage, Dessert. Manchmal war auch der Tischwein inbegriffen, gelegentlich auch der Café.

Fünf Gänge also, die Portionen entsprechend klein. Das bedeutete fünfmal Servieren, fünfmal Abräumen. Es war also lohnintensiv. Auch, was die Küche anging.

Als Reaktion auf die 35-Stunden-Woche - so erklärte es mir Madame Cornut vor einem Jahr - wurden die Portionen größer und die Zahl der Gänge entsprechend kleiner. Heute besteht die Formule in den meisten kleinen und mittleren Restaurants nur noch aus zwei Gängen - entweder Entrée und Plat oder, alternativ, Plat und Dessert. Man kann auch, gegen Aufpreis, beides haben. Aber das wird selten gewählt, weil heutzutage schon zwei Gänge satt machen.

Manche Bistrots, wie mein zweites Stamm- Bistrot, Le Béarn, bieten noch nicht einmal das mehr an, sondern nur noch, wie in Deutschland, ein simples Hauptgericht. Das aber mit Riesenportionen, wie in Deutschland.

Damit kann jetzt ein Kellner soviele Gäste bedienen wie zuvor zwei. So hat man sich vor den Folgen des Sozialismus gerettet, schlecht und recht. Arbeitsplätze wurden durch die 35-Stundenwoche vernichtet, aber die Restaurants konnten überleben.



Wie immer trifft der Sozialismus nicht die großen Firmen und nicht die reichen Kunden. In den Restaurants, in denen ein Abendessen ab 150 Euro kostet, wird nach wie vor ein vollständiges Menü serviert; es kostet jetzt halt statt 150 vielleicht 180 Euro. Dort mag die 35- Stunden- Woche sogar neue Arbeitsplätze geschaffen haben, denn den reichen Kunden kann man keine Verminderung des Service zumuten. Sie zahlen ja auch gern mehr.

Den französischen Mittelstand aber haben die Jahre des Sozialismus hart getroffen. Wie es Jacques Julliard, der stellvertretende Chefredakteur des linken Nouvel Observateur richtig schrieb: Die Sozialisten reichen dem Lumpenproletariat die Hand, über die Köpfe der kleinen Leute hinweg.



Wird Sarkozy es schaffen, die 35-Stundenwoche, ebenso wie den sonstigen sozialistischen Wahnwitz, zu kippen? Er ist augenscheinlich dazu entschlossen.

Einfach wird es nicht werden; die Gewerkschaften rüsten sich schon zur Verteidigung der "Errungenschaften" des Sozialismus. Paris wird, das schien nach meinem Eindruck die einhellige Meinung zu sein, nach der Rentrée, der Rückkehr aus den Ferien, einen heißen Herbst erleben.