31. Mai 2007

Zettels Meckerecke: Der Unfug des "Schnell-Lesens"

Günter Jauch ist ein intelligenter und - aus meiner subjektiven Sicht - sympathischer Journalist.

Er ist mit den Formaten, die er im Augenblick für RTL versorgt, sicherlich unterfordert. Bei der lustigen und informativen Sendung "Wer wird Millionär?" finde ich das nicht schlimm - es ist schließlich eine auf ihre Art perfekte, weltweit funktionierende Sendung.

Anders "Stern-TV". Fast immer, wenn ich diese Sendung einmal einschalte, ärgere ich mich.

Da hat man beispielsweise vor ein paar Jahren den Taschenspieler Uri Geller, dessen Tricks jedem professionellen Magier ein Gähnen entlocken, so auftreten lassen, als verfüge er über paranormale Fähigkeiten. (Er zieht zu Recht den Zorn der Magier- Gilde auf sich, weil er mit dieser Lüge ein Einkommen erzielt, von dem die meisten professionellen Magier, die weitaus besser sind, nur träumen können).



Und heute nun also das Schnell- Lesen. Speed Reading. Vorbereitet schon in einer vorausgehenden Sendung, in der es irgendwie um Erstaunliches ging.

Am Ende dieses Blocks waren vermutlich viele Zuschauer davon überzeugt, daß man es lernen kann, immer mehr Wörter pro Minute zu lesen.

Was schlicht Unfug ist. Das Lesen läuft so ab, daß das Auge einen Ort fixiert und dann zum nächsten Fixationsort springt. Eine Fixation dauert ungefähr 200 bis 300 Millisekunden, ein Sprung ("Sakkade") zwischen 50 und 100 Millisekunden, je nach Amplitude.

Das sind physiologische Konstanten, die niemand ändern kann. Pro Sekunde sind aufgrund dieser Konstanten nicht mehr als drei bis vier Fixationen möglich. Kurze Wörter können mit einer einzigen Fixation gelesen werden, lange benötigen zwei oder drei Fixationen.

Nehmen wir vier Wörter pro Sekunde als oberen Grenzwert an. Dann kommt man auf eine maximale Lesegeschwindigkeit von 240 Wörtern pro Minute. Mehr geht nicht. Weniger ist die Regel.



Was lernt man also in diesen Kursen zum "Schnell-Lesen"? Sehr einfach: Man lernt, nicht zu lesen.

Die Behauptung, jemand könne tausend oder mehr Wörter pro Minute lesen, ist Scharlatanerie. Aber um einen Text so ungefähr zu verstehen, muß man nicht jedes Wort lesen.

Das ganze Geheimnis dieser Schnell-Leserei ist es, daß die Teilnehmer solcher Kurse darin trainiert werden, einen Text zu überfliegen. Also nicht Wort für Wort zu lesen, sondern die vermutlich informationshaltigen Wörter herauszupicken und sich einen Reim auf das zu machen, was sie damit an Information aufnehmen.



Belletristische Texte sind meist hochgradig redundant. Es ist also kein Kunststück, einen Roman auf eine solche Weise zu "lesen" und ungefähr zu wissen, was sich darin zuträgt.

Was der Sinn eines solchen Unterfangens sein soll, weiß ich nicht. Man könnte ebensogut eine Inhaltsangabe lesen; das ginge noch schneller.

Woody Allan hat das alles auf seine Art auf den Begriff gebracht, ungefähr so: "Ich habe einen Schnell- Lesekurs absolviert und konnte danach 'Krieg und Frieden' in einer Stunde lesen. Es spielt in Rußland".