6. Juni 2007

Wir Achtundsechziger (3): Die Zeit der Pausenclowns

Der Pausenclown im Zirkus überbrückt, wie sein Name sagt, die Pausen. Während die Manege neu hergerichtet, während das Hochtrapez aufgebaut wird, unterhält er das Publikum. Er lenkt es ab von dem, was nun mal getan werden muß, was aber nicht sehr ansehnlich ist.

In einer etwas anderen Bedeutung des Worts gab es ein solches Zwischen- Spiel mit Pausenclowns auch in der Geschichte der Bewegung der "Achtundsechziger".

Es war die Zeit zwischen dem Auftreten der sympathischen, unbefangenen, neugierigen Studenten, die mir - in der Provinz mit Zeitverzögerung zu Berlin - 1967 zuerst begegnet waren, und der Zeit, in der ganz andere "Typen" (dieses Wort begann damals populär zu werden) in den Vordergrund traten.



Mein Schlüsselerlebnis war eine der sich damals - es mag im Sommer 1967 gewesen sein - häufenden "Versammlungen". Professoren waren eingeladen worden. Einer versuchte seine Position zu erläutern (es ging, glaube ich, um eine "Institutsverfassung"; irgend so etwas jedenfalls). Dabei schritt er auf und ab, vor dem Publikum.

Und ein Student - ich kannte ihn gut, er war Kommunist geworden und ging später konsequenterweise ans Fließband, um die Arbeiter zu agitieren - setzte sich sozusagen auf seine Fersen. Lief hinter ihm her, schnitt Faxen, versuchte ihm etwas anzuheften.

Das Publikum johlte. Der Mann war der Held des Tages.

Natürlich hatte er sich von Fritz Teufel und Rainer Langhans inspirieren lassen, die damals in Berlin vor Gericht standen und dort die Clowns spielten.



Es war auch die Zeit der "Wandzeitungen". Ich habe damals eine solche Wandzeitung verfaßt, in der stand, daß ich mit diesen Leuten nichts zu tun haben wollte; daß ich ihre Kindereien für inakzeptabel hielt.

Es war das Ende meines Flirts mit den "Antiautoritären". Mit diesen Leuten, von denen nicht wenige seelische Probleme hatten ("Orgasmus- Schwierigkeiten" hatte Kunzelmann stolz der Welt mitgeteilt), die sie nun auf "die Gesellschaft" projizierten.

Derjenige, der die Faxen hinter dem Professor aufgeführt hatte, war ein Stotterer; einer, der in den Seminaren rot wurde, wenn er etwas zu sagen versuchte.

Aber als Mitglied der "Bewegung" fühlte er sich offenbar gut. Sich zu "engagieren" war für viele gleichbedeutend damit, sich ein Korsett anzulegen, das ihnen Halt gab.

Mir kam das alles - das Wort war damals noch nicht so geläufig wie heute - peinlich vor. Ich hatte eine tiefe Abneigung gegen diese Leute, die sich gehenließen, die andere mit ihren Problemen behelligten.



Ihre Nachfolger wurden sehr bald die Kiffer und LSD- Schlucker, die Heroinsüchtigen. Diese sich ständig gegenseitig "analysierenden" und bedrängenden "kaputten Typen". Die "umherschweifenden Hasch- Rebellen"; das "sozialistische Patienten- Kollektiv".

Mir war klar, daß aus diesem ganzen Psycho- Sumpf das hervorgehen würde, was immer aus solchen Phasen einer brodelnden Aufgeregtheit hervorgeht: Terror. Damals war es glücklicherweise, anders als bei richtigen Revolutionen, nur Psycho- Terror. Und er war auf diejenigen beschränkt, die sich ihm freiwiilig überantworteten.

Denn es dauerte nur ein paar Jahre, und aus den Libertären waren Stalinisten geworden. Aus den Clowns wurden Kommissare.



Aus den fröhlichen Anarchisten wurden Leute, die sich widerspruchslos der Herrschaft von selbsternannten Führern unterordneten. Die ihrer "K-Partei" nicht nur einen großen Teil ihres Lohns zufließen ließen, wie das viele Sektenmitglieder tun. Sondern die sogar, falls sie ein ererbtes Vermögen hatten, es ihren Führern überantworteten.

Es konnte diesen Leuten, die ja gerade erst für größtmögliche Freiheit eingetreten waren, nun gar nicht mehr autoritär genug zugehen. Ihre Häuptlinge, wie Christian Semler und Joscha Schmierer, hatten nun ihre Kaderparteien. Sie reisten nach Nordkorea und nach Albanien und ließen sich von den dortigen Diktatoren Geld zustecken. Verbrecher und Tyrannen wie wie Mao, Ho Tschi Minh, Enver Hodscha, selbst Pol Pot waren ihre Vorbilder.

Ich fand das widerlich. Meine heutige ausgeprägte Abneigung gegen jede Variante des Sozialismus ist damals entstanden.