18. August 2007

Randbemerkung: Rußland - drei Meldungen (und ein Zusammenhang?)

Die Meldung Nummer eins steht in "Spiegel-Online". Sie liegt erheblich über dessen üblichem Niveau.

Aus Moskau schreibt Simone Schlindwein über Rußlands massive Aufrüstung:
Tauchboote am Nordpol, Kampfflugzeuge über dem Atlantik und dem Pazifik: Russland hat in den vergangenen Wochen mit einer Serie von aggressiven Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. Jetzt hat Präsident Wladimir Putin auch die leisesten Hoffnungen zerstreut, dass es sich dabei um Zufälle gehandelt haben könnte: Am heutigen Freitag kündigte er an, dass russische Langstreckenbomber demnächst wieder regelmäßig außerhalb des eigenen Luftraums fliegen werden.
Weiter berichtet der Artikel von einer modernisierten Variante des Langstrecken- Bombers Tu-160, die gerade getestet wird; von neu entwickelten unbemannten Flugkörpern mit bis zu 400 km Reichweite; von dem Raketen- Abwehr- System "S-400 Triumph"; von einer neuen Generation von Atom- U-Booten mit neuen Raketen "Bulawa-M" mit 12.000 Kilometern Reichweite.

Und schließlich ist, schreibt Simone Schlindwein, der Bau von sechs Flugzeugträgern geplant. (Zum Vergleich: Die USA verfügen über insgesamt elf Flugzeugträger; geplant ist der Bau eines einzigen neuen, der die 2008 zur Ausmusterung anstehende Kitty Hawk ersetzen soll).



Die beiden anderen Meldungen stehen heute in der Übersicht, die die "New York Herald Tribune" regelmäßig über aktuelle Meldungen aus Rußland gibt.

Meldung Nummer zwei referiert einen Artikel der "Vremya Novostei" über eine aktuelle Umfrage des Levada- Zentrums. Darin heißt es, laut dieser Umfrage
... 75 percent of the population said they could not survive without the state paying constant attention to their personal needs. Only 13 percent of those polls said they could rather have independence and self sufficiency than constant government oversight. The poll also found that more than half the population of Russia is satisfied with the current level of freedom in the country.

... äußerten 75 Prozent der Bevölkerung, daß sie nicht existieren könnten, wenn sich der Staat nicht ständig ihrer persönlichen Bedürfnisse annähme. Nur 13 Prozent der Befragten erklärten, daß ihnen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit lieber wären als die fortlaufende Fürsorge des Staats. Die Umfrage ergab des weiteren, daß mehr als die Hälfte der Bevölkerung Rußlands mit dem gegenwärtigen Stand der Freiheit in dem Land zufrieden ist.
Dazu wird ein Politologe zitiert, der meinte, es werde noch mehrere Generationen dauern, bis die Russen verstünden, daß ihre Wohlfahrt vor allem von ihnen selbst abhängt.



Die Quelle von Meldung Nummer drei liegt nicht in Rußland; und doch ist sie die für die russische Innenpolitik vielleicht interessanteste. Es ist eine Meldung aus "Vesti". Zitat aus der Zusammenfassung in der "International Herald Tribune":
Nursultan Nazerbayev, Kazakhstan's president, called on President Vladimir Putin of Russia to remain in office after his second and final legal term expires in March 2008. "I call on all Russians, the leadership of Russia, the Duma and the government: they should do everything to make him extend his presidency to a third term," Mr. Nazerbayev said in an interview (...).

Nursultan Naserbajew, der Präsident von Kasachstan, rief den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu auf, im Amt zu bleiben, wenn seine zweite und nach dem Gesetz letzte Amtszeit im März 2008 endet. "Ich rufe alle Russen, ich rufe die Führung Rußlands, die Duma und die Regierung auf: Sie sollten alles tun, damit er seine Präsidentschaft um eine dritte Amtszeit verlängert" sagte Naserbajew in einem Interview (...).


Vielleicht sind das drei Meldungen ohne Zusammenhang. Die eine stammt ja aus der Militärpolitik, die zweite aus der Gesellschaftspolitik, die dritte aus der aktuellen russischen Innenpolitik, gesehen aus der Perspektive eines ausländischen Staatsmanns.

Ich halte es allerdings für wahrscheinlicher, daß es einen Zusammenhang gibt. Leser dieses Blogs wissen, welchen ich vermute:

Es erscheint mir plausibel, daß jemand, der sich wie Putin als der neue Zar fühlt, der von einer Mehrheit der Russen auch als ein solcher gesehen wird - daß ein solcher Machtmensch nicht nach zwei Amtszeiten sang- und klanglos abtritt, nur weil eine der "zweifelhaften amerikanischen Demokratie" entlehnte Verfassungs- Vorschrift (so der Putin- Intimus Juri Luschkow) das verlangt.



Unter der Hypothese, daß Vieles in der gegenwärtigen Politik Putins primär darauf ausgerichtet ist, eine Situation zu erzeugen, in der das russische Volk nach einer dritten Amtszeit des Großen Zaren ruft, machen die drei Meldungen Sinn:
  • Moskau rüstet nicht mehr, wie in den letzten Jahren, stillschweigend auf, sondern brüstet sich jetzt dieser Aufrüstung. Unter Putin, so das Signal, gewinnt Rußland seine alte Stärke und Würde wieder.

  • Die Russen - das besagt die zweite Meldung - sind es so zufrieden. Sie wollen den starken Staat, wie ihn Putin verkörpert. Sie wollen, so darf man folgern, nicht von ihrem großen Zaren im Stich gelassen werden.

  • Putin selbst hat es bisher strikt abgelehnt, sich darüber zu äußern, was nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit im März 2008 sein wird. Immer wieder treten aber seine Vertrauten mit dem dringenden Vorschlag auf, er möge doch weitermachen. Nicht nur der alte Weggefährte Luschkow, sondern gar der Führer der Opposition in der Duma, Sergej Mironow, hat eine dritte Amtszeit Putins gefordert. Der alte Fuchs Naserbajew springt jetzt, so kann man vermuten, auf diesen fahrenden Zug; es wird der Schaden Kasachstans nach dem März 2008 nicht sein.


  • Wer ein solch getreues Volk hinter sich weiß wie Putin das russische; wer eine solche loyale Opposition sein eigen nennt wie die von Sergej Mironow geführte; wer solche freundlichen Nachbarn hat wie Naserbajew - müßte der nicht mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn er jetzt (in vollem Saft stehend; das Foto war ja gerade zu bewundern) aufs Altenteil ginge, nur weil eine alberne, aus der zweifelhaften amerikanischen Demokratie stammende Verfassungs- Bestimmung das verlangt?

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