6. August 2007

Randbemerkung: Wie schützt man sich gegen streikende Lokomotivführer?

Wie wirksam das Mittel des Streiks ist, hängt davon ab, welcher Schaden durch den Streik bewirkt werden kann.

In vielen Bereichen der Wirtschaft können die Streikenden nur ihrem Arbeitgeber schaden. Sie können ihm schaden, weil er aufgrund des Ausfalls von Produktion oder Verkauf Geld verliert. Die Logik des Streiks besteht darin, daß der Arbeitgeber - so erwarten es die Streikenden - irgendwann zu dem Ergebnis kommt, daß ein Eingehen auf die Forderungen der Streikenden ihn günstiger zu stehen kommt als ein fortdauernder Streik.

Es gibt aber Bereiche, in denen der Schaden woanders liegt: Wenn Ärzte streiken, wenn Fluglotsen streiken, wenn Lokomotiv- Führer streiken, dann mag der wirtschaftliche Schaden für ihre Arbeitgeber gering sein. Aber die Streikenden können einen immensen gesellschaftlichen Schaden anrichten: Patienten, die nicht optimal versorgt werden. Fluggäste, die nicht fliegen können. Urlaubsreisende, die nicht mit der Bahn fahren können.

Die Streikenden vertrauen darauf, daß sie selbst es besser aushalten können als ihr Arbeitgeber, daß dieser Schaden entsteht.



Gerecht oder gar sozial kann ich diese Lage der Dinge nicht finden. Die Druckmittel, die eine Berufsgruppe hat, hängen davon ab, ob ihre Dienste für das Funktionieren der Infrakstruktur, für die Gesundheit der Bürger notwendig sind oder nicht. Die Wirksamkeit der Waffe des Streiks ist, mit anderen Worten, eine Frage des Erpressungs- Potentials gegenüber der Gesellschaft.

Was kann man dagegen tun, wer kann etwas dagegen tun? Wenn die Gesellschaft als Ganzes bedroht ist, dann ist es Aufgabe des Staats, diese Bedrohung abzuwehren.



In Frankreich wurden in diesen Tagen die Weichen dafür gestellt, daß der Staat künftig dieser Aufgabe gerecht werden kann. Dort haben die Bahn- Bediensteten, die cheminots, ihr Erpressungs- Potential traditionell besonders schamlos zur Anwendung gebracht; mit dem Ergebnis, daß Eisenbahner zum Beispiel mit 50 Jahren (!) in Pension gehen dürfen.

Jetzt hat Sarkozy, hat seine Mehrheitspartei UMP sich daran gemacht, diesen Erpressungen einen Riegel vorzuschieben. Und zwar mit einem letzte Woche verabschiedeten Gesetz, das in der öffentlichen Diskussion unter dem Kürzel Service Minimum, Minimal- Versorgung, bekannt geworden ist. Offiziell heißt es "Loi sur le dialogue social et la continuité du service public dans les transports terrestres réguliers de voyageurs"; also "Gesetz über den sozialen Dialog und die Kontinuität des öffentlichen Dienstes bei der fahrplanmäßigen terrestrischen Beförderung von Personen".



Das Verfahren ist, wie zum Beispiel der "Nouvel Observateur" berichtet, zweistufig. Jetzt wurden gewisse Minimal- Anforderungen gesetzlich festgelegt. Zugleich wurden die Tarifpartner und die örtlichen Behörden verpflichtet, über die Einzelheiten der Sicherstellung einer Mindest- Versorgung im Streikfall Vereinbarungen zu treffen, und zwar bis zum 1. Januar 2008. Im März 2008 werden dann die Nationalversammlung und der Senat erneut beraten.

Im Augenblick ist u.a. vorgesehen, daß jeder Bedienstete, der in einem Verkehrsbetrieb zu streiken beabsichtigt, diese Absicht seinem Arbeitgeber 48 Stunden vorher mitteilen muß, damit dieser Gegenmaßnahmen treffen kann.

Die Verkehrsbetriebe ihrerseits sind verpflichtet, mindestens 24 Stunden vor zu erwartenden Störungen dies den Reisenden mitzuteilen. Nach einer Woche Streik ist eine geheime innerbetriebliche Abstimmung darüber durchzuführen, ob der Streik fortgesetzt oder abgebrochen wird.

Ein bescheidener Anfang, aber immerhin ein Anfang. Immerhin ernsthaft genug, daß die linksextreme Gewerkschaft Force Ouvrière - Cheminots das Gesetz als "loi injuste, hypocrite et dangereuse" bezeichnet hat, als ein ungerechtes, heuchlerisches und gefährliches Gesetz.

Vielleicht wird ja das, was uns jetzt durch den Streik der GDL zugemutet werden wird, auch in Deutschland Überlegungen zu einer ähnlichen gesetzlichen Regelung anstoßen. Oder vielleicht zu anderen Regelungen, die aber ähnliche Wirkungen haben.

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