11. Dezember 2007

Die Deutschen und das Atom (6): Seriöse Wissenschaft und ihr Mißbrauch durch Politiker

Zum Thema "AKWs und Leukämie" gibt es seit meinem Artikel vom Wochenende neue Informationen. Fundierter als das, was bis dahin die Agenturen berichtet hatten. Aber in die Schlagzeilen werden sie es wohl nicht schaffen.

Sie sind so fundiert, wie man es sich überhaupt nur wünschen kann, diese Informationen. Denn sie stammen zum einen von der Leiterin der Mainzer Untersuchung, Maria Blettner, die, nachdem sie sich schon kurz im TV geäußert hatte, jetzt dem "Tagesspiegel" ein ausführliches Interview gegeben hat. Das Interview klärt auch einige der Fragen, die ich in dem vorausgehenden Artikel aufgeworfen hatte.

Zum anderen ist die Untersuchung jetzt auf der WebSite des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) zugänglich. Eine Zusammenfassung mit den methodischen Einzelheiten bietet inzwischen auch das "Deutsche Ärzteblatt".

Das Wichtigste aus diesen Quellen:
  • Warum die Begrenzung auf einen Umkreis von 5 km und Kinder unter 5 Jahren? Weil in einer vorausgegangenen Untersuchung in dieser Teilgruppe Auffälligkeiten entdeckt worden waren. Aber wenn man nur genügend Daten analysiert, findet man immer irgendwelche Häufungen, die durch Zufall entstanden sein können. Deshalb hat die Arbeitsgruppe von Prof. Blettner - wie seriöse Wissenschaft es verlangt - nicht auf diese Post- Hoc- Analyse vertraut, sondern in der jetzigen Untersuchung genau diese Hypothese geprüft, daß im Umkreis von 5 km bei Kindern unter 5 Jahren gehäuft Leukämie auftritt.

  • Wie signifikant war der Effekt der Nähe zum AKW? Offenbar auf dem Fünf- Prozent- Niveau. Jedenfalls erwähnt Prof. Blettner dieses Signifikanz- Niveau im Zusammenhang mit der Möglichkeit von Zufalls- Signifikanzen: "Wenn man 100 solche Studien macht, würde man auch fünf bekommen, die signifikant sind. Obwohl nichts dahintersteckt." (In dem ersten Artikel hatte ich als Beispiel hierfür das zweimalige Würfeln einer sechs genannt, - ein Ereignis, dessen Auftreten bereits "auf dem Fünf- Prozent- Niveau signifikant" ist.)

  • Welche Ursachen kommen zur Erklärung der Häufung von Leukämie- Fällen im Umkreis von AKWs in Frage? Daß die die Strahlenbelastung durch die Kernkraftwerke ursächlich sind, hält Prof. Blettner für "nicht plausibel". Die Strahlung aus den AKWs ist, so begründete sie das, um den Faktor 1000 bis 100000 geringer als die natürliche Strahlung, der wir alle ausgesetzt sind. Also, was dann?

    Man kann das, wie könnte es anders sein, nur vermuten. Prof. Blettner stellt ähnliche Überlegungen an, wie sie in meinem ersten Artikel am Beispiel der Moslems illustriert wurden, die gehäuft im Umkreis um Dome wohnen: "... eine solche Häufung könnte es auch um andere Standorte geben, etwa rund um Kohlekraftwerke, um Brückenbauten, Kirchtürme, große Industrieanlagen. Also genau dort, wo es in bisher ländlichen Regionen plötzlich einen großen Zuzug gibt."

  • Was hat der zweite Teil der Untersuchung ergeben, in der durch Telefon- Interviews mögliche konfundierende Faktoren ermittelt werden sollten? - Laut "Deutschem Ärzteblatt" leider nichts Verwertbares, weil zu wenige der Angerufenen (vor allem im unmittelbaren Umkreis des AKW) zu Auskünften bereit gewesen waren.
  • Soviel zum wissenschaftlichen Aspekt. Es handelt sich um eine wissenschaftlich absolut seriöse Untersuchung und nicht um eine "Studie, die Antipathien gegen die Kernkraft schüren soll", wie (siehe meinen ersten Artikel) die CDU- Politikerin Reiche behauptet hatte. Erst recht stützt die Untersuchung keine der Behauptungen aus der linken und grünen Ecke, man habe die Gefahren der Atomkraft unterschätzt, und ähnliches aus der Luft Gegriffenes.



    Womit wir beim politischen Aspekt der Sache sind. Und dieser stellt sich nun, nach dem Interview mit Prof. Blettner, als noch viel skandalöser dar, als es am Wochenende schien.

    Damals war nur zu beanstanden gewesen, daß Politiker sich über ein Thema äußerten, ohne die Fakten zu kennen, geschweige denn sie beurteilen zu können. Jetzt stellt sich heraus, daß - wieder einmal! - das BfS eine peinliche Rolle gespielt hat.

    Dieses Amt hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben und vermutlich (mit)finanziert; aber es war natürlich nicht - wie es fälschlich in der Presse hieß - eine Untersuchung "des Bundesamts für Strahlenschutz".

    Aber wer bezahlt, der entscheidet, wo die Musik spielt. Und so hat dieses Bundesamt sich herausgenommen, herausgepickte Ergebnisse aus dieser Untersuchung an die Presse zu gegeben. Prof. Blettner: "Warum werden Ergebnisse vorab veröffentlicht? Warum gibt es eine Pressekonferenz, bei der die Studie vom Bundesamt für Strahlenschutz präsentiert wird, von der ich als Leiterin der Untersuchung nichts weiß?"

    Nicht nur, daß dieses Bundesamt sich herausnimmt, die Ergebnisse von Wissenschaftlern ohne deren Wissen zu veröffentlichen, statt das diesen selbst zu überlassen, wie es eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist.

    Sondern der Präsident dieses Amts, der von dem Minister Trittin eingesetzte, um nicht zu sagen durchgedrückte Wolfram König liefert gleich auch noch eine Interpretation der Ergebnisse.

    Er und eine "Expertenkommission" maßen sich an, im entscheidenden Punkt den Autoren der Untersuchung zu widersprechen. Aus einer gestrigen Pressemitteilung des BfS: "... enthält die Studie die Aussage dass 'aufgrund des aktuellen strahlenbiologischen und strahlenepidemiologischen Wissens die von deutschen Kernkraftwerken im Normalbetrieb emittierte ionisierende Strahlung grundsätzlich nicht als Ursache interpretiert werden kann.' Im Gegensatz zu den Autoren ist das externe Expertengremium der Überzeugung, dass dieser Zusammenhang keinesfalls ausgeschlossen werden könne."



    Das ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit gegenüber den Autoren.

    Selbstverständlich ist es in einer innerwissenschaftlichen Diskussion erlaubt und sogar häufig der Fall, daß Fachkollegen eine Untersuchung anders bewerten als die Autoren.

    Das ist z.B. oft so, wenn ein Manuskript zur Publikation eingereicht wird. Den Autoren wird dann diese fachliche Kritik zugeschickt, sie haben Gelegenheit, darauf zu antworten, und am Ende entscheiden die Herausgeber oder ggf. weitere Gutachter, ob das Manuskript in der betreffenden Zeitschrift publiziert wird, ob Änderungen verlangt werden, oder ob das Manuskript abgelehnt wird.

    Aber daß ein von einem Bundesamt eingesetztes Gremium sich das Recht herausnimmt, sozusagen ex kathedra einer Untersuchung eine andere Schlußfolgerung überzustülpen als diejenige, die die Autoren für vertretbar halten, und daß das dann öffentlich bekanntgegeben wird wie ein Gerichts- Beschluß, das ist ein dreistes Eingreifen in den Prozeß freier wissenschaftlicher Forschung.

    Frau Blettner hat darauf ebenso trocken wie souverän reagiert. Frage des Interviewers des "Tagesspiegel": "Trotzdem sagt Wolfram König, Präsident des BfS, dass Strahlung als Ursache nicht auszuschließen ist." Antwort von Prof. Blettner: "Wenn er darauf Hinweise hat, dann weiß er mehr als wir."

    Wozu er ja auch jede Qualifikation hat, der Präsident des BfS, Wolfram König. Über seinen Lebenslauf sagt die Wikipedia: "Wolfram König machte einen Gesamthochschulabschluss in Kassel als Diplom-Ingenieur (Fachrichtung Stadtentwicklung). In Sachsen-Anhalt war er von 1994 bis 1998 als Mitglied der Grünen Staatssekretär im Umweltministerium unter der rot-grünen Landesregierung und betrieb dort die Schließung des ehemaligen DDR-Endlagers Morsleben."

    Kein Wunder, daß ein Mann mit dieser Qualifikation im Bereich der Krebs- Epidemiologie sich berufen fühlt, die Untersuchung einer der angesehendsten deutschen Krebs- Epidemiologinnen fachlich zu würdigen.



    Links zu allen Folgen dieser Serie:
  • 1. Der Sonderweg
  • 2. Kampf dem Atomtod
  • 3. Die APO entläßt ihre Kinder
  • 4. Tschernobyl und die Folgen
  • 5. Verursachen AKWs Leukämie bei Kindern?
  • 6. Seriöse Wissenschaft und ihr Mißbrauch durch Politiker

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