14. Februar 2008

Anmerkungen zur Sprache (7): Denglisch aus Dummheit

Mit "Denglisch" meint man meist Anglizismen oder Mischformen aus Deutsch und Englisch; Wörter also wie "Joggen", dessen Wortstamm englisch und dessen Suffix deutsch ist. Auch Neubildungen wie "Handy", die englisch klingen, im Englischen aber gar nicht existieren, werden dem Denglisch zugerechnet.

Aus aktuellem Anlaß möchte ich auf eine andere Form der Sprachverhunzung aufmerksam machen, die im weiteren Sinn auch zum Denglischen gehört. Es handelt sich um Wörter, die urdeutsch klingen und es meist auch sind. Der unheilvolle Einfluß des Englischen macht sich bei ihnen gleichwohl bemerkbar. Nur nicht bei diesen Wörtern selbst, sondern bei ihrer Verwendung.

Dabei nämlich, daß sie falsch verwendet werden. Und sie werden deshalb falsch verwendet, weil sie die deutsche Übersetzung englischer Wörter sind. Genauer: Weil sie deren jeweils trivialste und damit oft dümmste Übersetzung sind.



In "Zettels kleinem Zimmer" hat ein Autor kürzlich auf einen Fall dieser Form des Denglischen aufmerksam gemacht.

Es ging dort um die Berliner und Kölner Äußerungen Erdogans zur Assimilation. Was er genau gesagt hat, wissen ja die meisten von uns nicht, weil sie das Türkische nicht beherrschen. Wir müssen uns an Übersetzungen halten.

Diese Äußerung von Erdogan nun war unterschiedlich übersetzt worden; nämlich als "Nein zur Assimilation", als "Assimilation ist eine Schande für die Menschheit" und als "Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sei, so schrieb dazu im "Kleinen Zimmer" der Autor Herzog, eine
groteske, ekelhaft sentimentalisierende verzerrende Übersetzung des englischen "Crimes against Humanity." Denn im gegebenen Kontext ist "humanity" doch wohl als "Menschheit" und nicht schwächlich als "Menschlichkeit" zu übertragen.
Wohl gesprochen! So ist es. Warum aber hat sich nicht das richtige "Menschheit", sondern das falsche "Menschlichkeit" eingebürgert?

Man kann das nicht beweisen, aber die Antwort scheint mir auf der Hand zu liegen: Weil "Humanität" an "humanity" anklingt; und "Menschlichkeit" ist ein Synonym von "Humanität".

In meiner Antwort an Herzog habe ich auf ein anderes Beispiel dafür hingewiesen, daß die Klangähnlichkeit bestimmt, welche Übersetzung bevorzugt wird. "Boat" kann "Boot" heißen, aber auch "Schiff". Dumme Übersetzer aber wählen stur "Boot"; selbst wenn im Film der Käptn auf seinen Dreimaster zeigt, während er "My boat" murmelt. In der Synchronisierung murmelt er "Mein Boot".



Allgemein handelt es sich um den Fehler, diejenige Übersetzung zu wählen, die als erste in den Sinn kommt. Hier geschah das aufgrund der Klangähnlichkeit. In anderen Fällen stellt sich diese Primär- Assoziation nicht aufgrund des Prinzips der Ähnlichkeit ein, sondern aufgrund des Prinzips der Häufigkeit.

Ein Beispiel dafür ist der aktuelle Anlaß für diesen Beitrag: Die Übersetzung von "Spacewalk" mit "Weltraum- Spaziergang".

Sie hat sich eingebürgert, als es die ersten derartigen Unternehmungen gab: Im März 1965 verließ der Kosmonaut Leonow, im Juni desselben Jahres der US-Astronaut Edward White jeweils für kurze Zeit die Raumkapsel, um ein wenig im All herumzuschweben. Die Techniker nennen das "Extra- vehicular activity", also Außenbord- Tätigkeit. Die amerikanische Presse fand dafür das eingängigere "Spacewalk". Und in Deutschland kam das als "Weltraum- Spaziergang" an.

Warum? Weil wir in der Schule gelernt haben, daß "to take a walk" "spazierengehen" heißt. Weil wir in der Schule nicht gelernt haben, daß ein "walk" aber auch manch anderes sein kann als ein Spaziergang.

Ein "Random Walk" zum Beispiel ist eine zufällige Hin- und- Her- Bewegung; der Begriff wird in bestimmten statistischen Modellen verwendet. Wenn ein Briefbote das macht, was wir seine "Tour" nennen, dann ist das auf Englisch ein "walk", der Zustellgang. Kurz, da "to walk" schlicht "gehen" heißt, kann man als einen "walk" mancherlei bezeichnen, das den Charakter des Gehens hat. Darunter das Spazierengehen, aber eben nicht nur das Spazierengehen.



Wie sollte man "Spacewalk" übersetzen? Natürlich mit "Raumgang". Das ist eine Wort- Neubildung, gewiß. Aber ein Neologismus ist auch "Spacewalk". Das Wort wurde in Analogie zu "Spaceflight" gebildet, so wie "Raumgang" eine Analogie- Bildung zu "Raumfahrt" ist.

"Raumgang" wäre nicht nur treffender und kürzer als "Weltraumspaziergang". Es hätte auch den Vorteil, kostbare Sendezeit in den Nachrichten zu sparen.

Denn "Spaziergang" ist eine so absurde Bezeichnung für zum Beispiel die fast sieben Stunden Schwerarbeit, die gestern der deutsche Astronaut Hans Schlegel geleistet hat, daß stereotyp zu solchen Meldungen hinzugefügt wird: Nein, ein Spaziergang sei das nicht, wahrlich nicht.

Die Zeit, die man bei den Sendern in den kommenden Jahren einsparen wird, wenn sich meine Übersetzung durchsetzt, könnte man als Werbezeit verkaufen. Ich werde mich zu gegebener Zeit darum kümmern, als Erfinder dieses Worts meinen Anteil an dem Erlös zu erhalten.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Johann Gottfried Herder. Gemälde von Johann Ludwig Strecker (1775). In der Public Domain, da das Copyright erloschen ist. Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier.