12. Februar 2008

Obamania: Ein Populist auf dem Weg zur Präsidentschaft der Vereinigten Staaten?

Während der Republikaner John McCain, wie es kürzlich John King in CNN formuliert hat, in Gefahr ist, "zur Nominierung zu hinken" ("limping to his own nomination"), scheint Barack Obama zu der seinigen eher zu fliegen.

In diesem an Überraschungen wahrlich nicht armen Wahlkampfs ist es sicherlich riskant, einen momentanen Trend zu extrapolieren. Aber die Art, wie Obama voraneilt, hat so viel von einem sich selbst tragenden Aufschwung, daß schon unerwartete und sehr große Hindernisse auftreten müßten, wenn er noch zu stoppen sein sollte.

Rollt der Bandwagon erst einmal, der Wagen des Zugs, auf dem die Musik spielt, dann wollen immer mehr (auch aus dem Partei- Establishment; William Kristol hat gestern in der New York Times darauf hingewiesen) mit von der Partie sein. Und je mehr das wollen, umso munterer rollt er, der Bandwagon.

Es ist wie bei einem Lauffeuer, wie bei einem Flächenbrand: Obamas Wahlkampf scheint den kritischen Zustand erreicht zu haben, von dem an jeder Erfolg eine der Ursachen für den nächsten Erfolg ist. Schwung bringt Schwung; nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.



Auf das Potential Barack Obamas bin ich erstmals aufmerksam geworden, als ich mich vor eineinviertel Jahren, im November 2006, damit befaßt habe, nach welchen Kriterien die Amerikaner eigentlich ihre Präsidenten küren.

Damals habe ich argumentiert, die meisten Präsidenten ließen sich einem von zwei Typen zuordnen: Dem des Erben und dem des Helden.

Der Erbe - das sind diejenigen, die sozusagen in die Präsidentschaft hineinwachsen, wie Harry S. Truman, zuvor der Vize Roosevelts, oder George Bush sen., der Ronald Reagan als Vizepräsident zur Seite gestanden hatte. Die Helden sind diejenigen, die die Phantasie beflügeln, die ein neues Amerika, die den Aufbruch zu neuen Ufern versprechen - Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy, Ronald Reagan zum Beispiel.

Als einen, der diesen Archetypen des Helden verkörpern könnte, nannte ich damals eher beiläufig Barack Obama. Nicht ahnend, wie sehr, wie vollkommen er sich zu einem Helden entwickeln würde.

Inzwischen zu mehr als einem Helden: zu einem Erlöser. Das ist mir allmählich klargeworden, als ich die Berichterstattung und Kommentierung zum Wahlkampf von Barack Obama zu verfolgen versucht habe.



Man muß die Auftritte von Barack Obama am Fernsehschirm erlebt haben - CNN überträgt sie des öfteren -, um das Phänomen Obama zu verstehen:
  • Da ist erstens die perfekte Inszenierung.

    Anders als die anderen Kandidaten hält Obama Abstand zum Publikum. Er tritt meist auf wie der klassische Redner, während Clinton und McCain gern mit dem Mikrofon in der Hand auf der Bühne auf und ab gehen, Fragen aus dem Publikum beantwortend.

    Obama dagegen "erscheint", gewinnt das Publikum innerhalb von Minuten, spricht dann mal leise, mal emotional, sich allmählich steigernd. Während er redet, mit sparsamen, aber sorgfältigen Gesten, das Kinn oft energisch vorgereckt, die ganze Gestalt in angespannter Konzentration, ertönen aus dem Publikum Rufe wie "We love you".

    Gegen Ende setzt Obama meist zu dem Slogan an, der zum Schlachtruf seines Wahlkampfs geworden ist: "Yes, we can!" Das Publikum fällt in Sprechchören ein, Obama nimmt das auf, das Publikum antwortet ihm. Hier ist das Wortprotokoll einer solchen Schluß- Apotheose zu lesen.

  • Zweitens hat Obama nicht ein Programm, sondern eine Botschaft. Oder vielmehr: Er ist diese Botschaft. Hier ist eine typische Redepassage; ein Ausschnitt aus seiner Rede nach dem Sieg in South Carolina:
    The choice in this election is not between regions or religions or genders. It's not about rich versus poor, young versus old, and it is not about black versus white.

    This election is about the past versus the future. It's about whether we settle for the same divisions and distractions and drama that passes for politics today or whether we reach for a politics of common sense and innovation, a politics of shared sacrifice and shared prosperity.

    Die Entscheidung bei dieser Wahl ist nicht die zwischen Regionen oder Religionen oder Geschlechtern. Es geht nicht um Arm gegen Reich, Jung gegen Alt, und es geht nicht um Schwarz gegen Weiß.

    In dieser Wahl geht es um die Vergangenheit gegen die Zukunft. Es geht darum, ob wir uns mit diesen Spaltungen und Abirrungen und diesem Theater abfinden, das heute als Politik gilt, oder ob wir nach einer Politik des gesunden Menschenverstands und der Erneuerung streben, einer Politik der Opfer, die wir gemeinsam tragen, und eines Wohlergehens, das wir miteinander teilen.
    Das ist die Botschaft eines Populisten, eines nachgerade exemplarischen Populisten: Beschworen wird die Volksgemeinschaft über alle Grenzen zwischen Gruppen hinweg. Der Gegner ist die gesamte bisherige Politik (die "politische Klasse" sagen europäische Populisten gern; "Washington" ist die Chiffre in den USA). Das Ziel ist das gemeinsame Wohlergehen; der Weg dahin die gemeinsame Anstrengung des ganzen Volks.

  • Das dritte Kennzeichen des Wahlkampfs von Barack Obama - dessen zwiespältigen Inhalt - hat vor einem Monat der Publizist Dennis Prager sehr hellsichtig analysiert: Obamas Botschaft der nationalen Einigkeit trage zwei Merkmale: "First, it is not truly honest. Second, it is childish." Sie sei erstens nicht wirklich ehrlich. Zweitens sei sie kindlich.

    Sie ist nicht wirklich ehrlich, argumentiert Prager, weil Obama zwar ständig von Einigkeit spricht, aber nicht sagt, worin sich denn eigentlich alle Amerikaner nach seiner Vorstellung einig sein sollen.

    Täte er das, schreibt Prager, dann müßte er sagen, daß er sie auffordert, sich seinen linken Auffassungen anzuschließen:

    "Take any important issue that divides Americans and explain exactly how unity can be achieved without one of the two sides giving up its values and embracing the other side's values." Man nehme irgendein Thema - den Irak- Krieg, Steuererhöhungen oder -senkungen, die Homosexuellen- Ehe: Einigkeit kann nur dadurch erreicht werden, daß die eine Seite aufgibt und sich den Werten der anderen unterwirft.

    "Let's all go left" - laßt uns alle nach links schwenken. Das sei die wahre Botschaft Obamas, sagt Dennis Prager. Aber diese ganze Wahrheit, "the total truth" verschweige er. (Ähnlich hat es Charles Krauthammer in der Washington Post formuliert: "The bipartisan uniter who would bring us together by transcending ideology is at every turn on every policy an unwavering, down-the-line, unreconstructed, uninteresting, liberal Democrat". Der parteiübergreifende Vereiniger, der angeblich alle Ideologie überwinden wolle, sei in Wahrheit ein unerschütterlicher und langweiliger Linker.)

    Zweitens sei, so Dennis Prager, Obamas Botschaft der Einigkeit kindlich: "As we mature we understand that decent people will differ politically and theologically. The mature yearn for unity only on a handful of fundamental values. (...) Beyond such basics, we yearn for civil discourse and tolerance, not unity." Indem wir reif werden, kommen wir zu der Einsicht, daß anständige Menschen gleichwohl in politischer und theologischer Hinsicht verschieden sind. Die Reifen streben nach Einigkeit nur über einige fundamentale Werte [wie sie in der amerikanischen Verfassung stehen; es folgt bei Prager ein Zitat aus dieser]. Über diese Grundwerte hinaus streben wir nach einer zivilisierten Auseinandersetzung und nach Toleranz, nicht nach Einigkeit.


  • Ich empfehle sehr, die Analyse Pragers zu lesen. Ich habe ihr, was die inhaltlichen Merkmale von Obamas Wahlkampf angeht, nichts hinzuzufügen. Aber ich möchte eine andere Frage diskutieren:

    Je deutlicher mir wird, wie populistisch, wie irrational (nämlich auf Charisma aufbauend statt auf Programmatik) und wie im Kern unehrlich dieser Wahlkampf Obamas ist, umso mehr frage ich mich, wieso er so erfolgreich sein kann.

    Wie kann jemand, der "Amerika in einen kollektiven Taumel versetzt" (so gestern Hans- Jürgen Jakobs und Barbara Vorsamer in der "Süddeutschen Zeitung"), ausgerechnet unter gebildeten Amerikanern, wie kann er sogar in Deutschland, wie kann er unter deutschen Intellektuellen mit ihrer ausgeprägten Ablehnung jedes Populismus so beliebt sein?

    Er würde jedenfalls in Deutschland diese Zustimmung nicht bekommen, so habe ich vorletzte Woche in einem ironisch- satirischen Artikel argumentiert, wenn er ein rechter und kein linker Populist wäre. Das hat den sehr geschätzten Kollegen Marian Wirth von B.L.O.G. auf den Plan gerufen; mit ebenso scharfer wie kluger Kritk an meiner Position. Einer sehr lesenswerten Kritik. Der betreffende Teil der Diskussion in "Zettels kleinem Zimmer" beginnt hier.



    Überzeugt hat Marian Wirth mich allerdings nicht. Aus meiner Sicht ist der außerordentliche Erfolg von Obama ein eigenartiges, ein sehr erklärungsbedürftiges Phänomen.

    Kürzlich hat ein Kommentator in CNN von Obama gesagt, er verfolge einen "idealist post- partisan approach", einen idealistischen Ansatz jenseits der Parteien.

    Darin ähnle er Eugene McCarthy und George McGovern, die Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre mit ihrer Bewerbung um die Präsidentschaft scheiterten. Aber er habe anders als sie eine Chance, weil er zugleich auf die Stimmen der Schwarzen zählen könne.

    Das mag ein Teil der Erklärung sein. Aber es dürften noch zwei andere Momente hinzukommen: McCarthy und McGovern waren längst nicht so charismatisch wie Obama; beide eher der Typ des nüchternen Professors. Und sie vertraten offen und offensiv ein linkes Programm. Sie begeisterten die akademische Jugend, aber nicht die Massen. Obama ist ein Mann für die Massen, und zugleich vermag er die akademische Jugend für sich einzunehmen.



    Vielleicht war auch vor fast vierzig Jahren die Zeit noch nicht reif für den Erfolg eines Linkspopulisten in den USA. Daß das jetzt anders ist, mag einen strukturellen und, mit ihm zusammenhängend, einen aktuellen Grund haben.

    Der aktuelle könnte sein, daß sich in den letzten Jahrzehnten in den USA ein immer tieferer ideologischer Graben zwischen Konservativen und "Liberals", also Linken aufgetan hat. Diesen Graben hat entgegen einer in Deutschland weit verbreiteten Meinung nicht Präsident Bush zu verantworten; er konnte umgekehrt dank dieser Spaltung überhaupt erst mit seinen konservativen Ansichten gewählt werden. Aber vertieft hat er den Graben gewiß.

    Viele Amerikaner haben davon genug; sie sehnen sich so sehr nach nationaler Einheit wie vielleicht nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Daß noch nicht einmal angesichts der terroristischen Bedrohung, daß noch nicht einmal in Kriegszeiten die Nation geeint dasteht, wird als etwas Unamerikanisches empfunden.

    Strukturell hat sich der einstige "melting pot", der Schmelztiegel, den die USA einmal darstellten, immer mehr zu einer Gesellschaft der "Communities" entwickelt - der ethnischen, der rassischen, der religiösen; bis hin zu Communities, in denen sich Menschen mit denselben sexuellen Neigungen oder mit Interesse an Feuerwaffen zusammentun.

    Auch da ist ein Punkt erreicht, wo viele Amerikaner sich wünschen, daß das Pendel zurückschwingt; daß das "We are all Americans" wieder mehr betont wird. Auch dadurch hat heutzutage Obama mit seiner Beschwörung der Volksgemeinschaft Chancen, die noch vor ein, zwei Jahrzehnten kaum vorstellbar gewesen wären.

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