9. Juni 2008

Marginalie: Österreichs Desaster

Nein, ich meine nicht die unglückliche Niederlage der österreichischen Kicker gegen die Kroaten, mit denen sie einst im k.u.k. Österreich- Ungarn vereint waren. Sondern das, was sich heute in Tirol abgespielt hat.

In Tirol? Also ehrlich gesagt, mir war das auch bis heute Abend entgangen, daß heute überhaupt im österreichischen Bundesland Tirol Wahlen zum Landtag stattgefunden haben. Manche in Österreich meinen, so berichtet Michael Frank in der "Süddeutschen Zeitung", man habe die Wahlen listigerweise auf diesen Tag des Auftaktspiels der Fußballer gelegt, um ihr Ergebnis aus den Schlagzeilen zu verdrängen.

Denn es war offenbar abzusehen gewesen, was heute eingetreten ist: Eine desaströse Niederlage für die beiden Regierungsparteien ÖVP und SPÖ, einander in Wien in herzlicher Feindschaft in einer Großen Koalition verbunden, ganz wie wir es aus Berlin kennen.

Laut vorläufigem amtlichen Endergebnis verlor die ÖVP fast zehn Prozentpunkt und sackte auf 40,5 Prozent; das ist ungefähr so, als würde in Bayern die CSU nur noch vierzig Prozent erreichen. Die in Tirol ohnehin schwachen Sozialisten der SPÖ halbierten fast ihr schwaches Ergebnis von 25,8 Prozent, das sie 2003 erzielt hatten, und landeten bei ganzen 15,6 Prozent.

Gesiegt haben die Populisten. Die FPÖ verbesserte sich von 8,0 auf 12,7 Prozent. Der große Wahlsieger aber ist Dinkhauser mit 18,3 Prozent. Das aus dem Stand.

Dinkhauser? Hm, diesen Namen habe ich bis heute noch nie gehört oder gelesen. Das österreichische Magazin "Datum" liefert das Nötigste: 0ffenbar ist Fritz Dinkhauser so etwas wie ein österreichischer Norbert Blüm oder Heiner Geißler. Früher ein erfolgreicher Sportler; aktuell Präsident der Tiroler Arbeiterkammer. Ein Linkskatholik, dem die Politik seiner Partei so wenig gefiel, daß er - ohne aus der ÖVP auszutreten - mit einer eigenen Liste zur Landtagswahl antrat.

Fast ein Drittel der Tiroler also haben für Populisten gestimmt; entweder die rechten von der FPÖ oder den Linksrechten Dinkhauser.



"Für ein gerechtes Tirol" war der Wahlslogan von Dinkhauser, und im Wahlaufruf seiner Liste heißt es:
Produktionen mit gut bezahlten Arbeitsplätzen werden in weit entfernte "Billiglohnländer" vertrieben und durch "Billigjobs" ersetzt; Einkommen sinken und gleichzeitig gibt’s den "Teuro" für Leben, Wohnen, Kinder, Bildung und im Nahverkehr; sündteure Pflegekosten für die ältere Generation; Milliarden werden in Tunnels verschoben; Klein- und Mittelbetriebe sowie die Mitarbeiter werden steuerlich ausgebeutet; Raubbau an unserem einzigartigen Natur- und Gebirgsraum; zahlreiche Gemeinden ohne Nahversorger und vieles andere mehr. Das ist ungerecht, das haben Mensch, Natur und Wirtschaft nicht verdient und – das brauchen wir uns nicht gefallen zu lassen!
Klassischer Populismus also; das meiste könnte Oskar Lafontaine so ähnlich geäußert haben. Oder auch Jörg Haider, oder Jean- Marie Le Pen oder Fausto Bertinotti.

Warum werden Links- und Rechtspopulisten einander immer ähnlicher; so ähnlich, daß man schon mit der Lupe auf die Suche nach Unterschieden gehen muß? Unter den Gründen dafür scheinen mir zwei hervorzustechen:
  • Die klassischen Linkspopulisten zielten auf den klassenbewußten Arbeiter, die klassischen Rechtspopulisten auf das Kleinbürgertum. Der Unterschied zwischen diesen Schichten ist weitgehend verschwunden; sie haben sich im Einkommen und wohl auch in ihrer Sicht auf die Gesellschaft angenähert, sind fast schon zu einer einzigen Schicht (der "unteren Mittelschicht") verschmolzen.

  • Der größte Unterschied zwischen Links- und Rechtspopulisten war früher die Haltung zur Nation. Die Linken waren Internationalisten, die Rechten Nationalisten. Im Zeitalter der Globalisierung ist dieser Unterschied weitgehend bedeutungslos geworden. Links- wie Rechtspopulisten sind gegen Europa und gegen die Globalisierung. Gemeinsam wenden sie sich an die Verlierer der Globalisierung; an die Verlierer der Modernisierung überhaupt.
  • Insofern ist das gelegentliche Aufflackern von Populismus, ob nun der linken oder der rechten Variante, vermutlich unvermeidlich.

    Aber so dicke wie jetzt in Tirol kommt es wohl nur, wenn zugleich eine Große Koalition regiert. Denn die große Oppositionspartei - sei es eine linke, sei es eine rechte -, die normalerweise als das Sprachrohr der Benachteiligten, der Verlierer auftritt, fehlt dann. Und in diese Lücke stoßen die Populisten.

    Insofern ist das heutige Wahlergebnis in Tirol auch ein Menetekel für Deutschland. Wobei wir noch froh sein können, daß wir es bisher nur mit Linkspopulisten zu tun haben.



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