23. Juni 2008

Zettels Meckerecke: Guido Westerwelle in seltsamer Gesellschaft

Ist Ihnen das auch aufgefallen? Neuerdings liest und hört man von Stellungnahmen "der Opposition" zu einem politischen Thema. Ganz so, als ob Liberale, Ökos und Kommunisten eine gemeinsame Bewegung namens "Die Opposition" bildeten.

"Opposition verlangt Abzug aller US- Atomwaffen aus Deutschland" titelt im Augenblick "Spiegel Online", und leider ist das diesmal eine zutreffende Überschrift.

Einzelheiten kann man in der "Berliner Zeitung" lesen, auf die die Meldung zum Teil zurückgeht; auch dort findet man sie unter der Überschrift "Opposition will Abzug aller US-Atomwaffen":
"Die Atomwaffen in Deutschland sind ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg und müssen weg", sagte FDP-Partei- und Fraktionschef Guido Westerwelle der "Berliner Zeitung". (...)

Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin forderte ebenfalls den Abzug aller Atomwaffen. (...)

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi sagte der Zeitung: "Wenn die Bundesregierung ein Kreuz hätte, würde sie unverzüglich von den USA den Abzug der Atomwaffen - möglichst unter deren Verschrottung - verlangen."

Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen sagte, der Abzug wäre ein riesiger Schritt, um bei der nuklearen Abrüstung voranzukommen.
Trittin, Gysi, Annen - eine schöne Gesellschaft, in der sich Guido Westerwelle da befindet.



Nun könnte man argumentieren - und hätte Recht damit -, daß man auch dann etwas als richtig Erkanntes sagen muß, wenn man dazu Beifall von der falschen Seite bekommt.

Guido Westerwelle kann nicht, die FDP als Partei kann ja nicht deshalb ein Thema ausklammern oder ihre Position verschweigen, weil das Thema auch von Grünen, Kommunisten und den Linken der SPD aufgenommen wird, weil diese dieselbe Position äußern. Wenn eine Stellungnahme vernünftig und begründet ist, dann muß man sie abgeben, auch wenn das zu einer unheiligen Allianz führt.

Aber ist sie denn vernünftig und begründet, die Forderung, US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen?

Zunächst einmal ist sie populistisch, denn sie bedient gleich drei gefühlte Ablehnungen: Diejenige, die sich gegen alles richtet, das etwas mit "Atom" zu tun hat; diejenige gegen Waffen überhaupt; und den heutzutage in Deutschland ausgeprägten Antiamerikanismus.

Populistischer geht's kaum noch, und deshalb kann man sich nur wundern, daß Oskar Lafontaine sich noch nicht Gysi, Westerwelle, Trittin und Annen angeschlossen hat.

Nun gut, auch populistische Forderungen können ja richtig sein. Ist es also richtig, von den USA den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland zu verlangen?



Noch beim Nato-Doppelbeschluß vom Dezember 1979 hat die damalige Regierung Helmut Schmidts ein Interesse Deutschlands daran geltend gemacht, daß die amerikanischen Atomwaffen in Deutschland verbleiben oder unter bestimmten Umständen sogar neue aufgestellt ("disloziert") werden. Schon Adenauer hat sich darum bemüht und z.B. gegen die Idee Front gemacht, die Abschreckungswaffen stattdessen auf schwimmende Abschußbasen zu verlagern.

Der Grund für dieses deutsche Interesse an US-Atomwaffen liegt auf der Hand: Deutschland wurde von der UdSSR atomar bedroht und konnte dem, anders als Frankreich und England, keine eigene atomare Drohung als Abschreckung entgegensetzen.

Es war zur Abschreckung darauf angewiesen, daß im Zweifelsfall die USA Vergeltung üben würden. Und das war nur dann gewährleistet, wenn ein Angriff auf Deutschland auch ein Angriff auf US-Nuklearbasen gewesen wäre.



Ich kann nicht sehen, daß diese Logik grundsätzlich außer Kraft getreten wäre. Gewiß, die Atomrüstung Rußlands (die munter voranschreitet) stellt im Augenblick keine konkrete militärische Bedrohung dar; aber zur politischen Erpressung gegenüber Westeuropa hat sie Putin erst vor gut einem Jahr eingesetzt. Und wann wir einer atomaren Bedrohung durch China, den Iran und andere künftige Atommächte ausgesetzt sein werden, weiß niemand.

Es gibt vier mögliche Reaktionen auf diese Situation:

Erstens kann Deutschland nach eigenen Atomwaffen streben - eine Option, über die seltsamerweise so gut wie nicht diskutiert wird.

Zweitens können wir anstreben, eine europäische Atomstreitmacht zu errichten, in die die Force de Frappe und die britischen Atomwaffen eingebracht werden würden; Deutschland würde innerhalb von ihr Nuklearwaffen bauen und in Besitz haben dürfen.

Drittens könnten wir uns - die Franzosen haben das immer einmal wieder angeboten - unter den Schutz der Force de Frappe stellen.

Oder, viertens, wir können wünschen und darauf hinwirken, daß der Status Quo erhalten bleibt, daß also auch weiter US-Atomwaffen in Deutschland stationiert sind.



Über die Vor- und Nachteile dieser Alternativen kann (und sollte) man diskutieren. Nur - das, was Westerwelle jetzt unisono mit Politikern von ganz Linksaußen fordert, nämlich einfach den Abzug der US-Atomwaffen ohne einen Ersatz, das ist der pure Populismus.

Zumal, wenn auch noch - jedenfalls legen die zitierten Berichte und andere, zB derjenige der "Süddeutschen Zeitung", das nahe - zur Begründung dieser Forderung "Sicherheitsmängel" herhalten müssen, und wenn dazu als Beleg die WebSite einer politischen Organisation in den USA zitiert wird.

Diese "Federation of American Scientists", keine wissenschaftliche, sondern eine politische Gruppierung, hatte auf eine Studie der US-Luftwaffe aufmerksam gemacht, wonach - schreibt die "Süddeutsche Zeitung" - "unter anderem Probleme mit dem Sicherheitssystem, der Umzäunung und bei der Stabilität der Gebäude moniert" würden.

Ja, dann sollte man doch wohl von den Amerikanern verlangen, diese Mängel zu beheben.

Aus ihnen - wenn es sie denn geben sollte - abzuleiten, daß gleich diese Waffen abgezogen werden sollten, ist mehr als Populismus. Es ist eine Dummheit.



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