31. August 2008

Der 44. Präsident der USA (15): Warum die Nominierung von Sarah Palin eine brillante Entscheidung sein könnte. Oder im Fiasko enden (Teil 2)

Im ersten Teil habe ich mich mit der Qualifikation der Kandidatin Sarah Palin befaßt.

Aber natürlich wird ein Running Mate nicht nur nach Qualifikation für das Amt ausgesucht - im Grunde ja für zwei Ämter, das des Vizepräsidenten und dasjenige des Präsidenten, das ihm zufallen kann. Sondern ein wesentlicher Gesichtspunkt ist auch, daß er dem Kandidaten für die Präsidentschaft Wähler zuführen soll, die dieser allein nicht erreichen kann.

Da nun könnte die Unerfahrenheit von Sarah Palin sogar ein Vorteil sein. Denn mit ihrer Nominierung rückt das Thema der politischen Erfahrung jedenfalls für einige Zeit in den Mittelpunkt des Wahlkampfs. Und das wird am Ende Obama schaden und McCain nützen.

Viele werden zunächst denken: Eine so unerfahrene Frau als Vize, kann das gutgehen? Und sich dann überlegen, daß ja auch Obama nicht erfahrener ist; sogar unerfahrener, was das Regieren angeht. Das könnte manchen zur Entscheidung für McCain bringen.

Wie überhaupt, so sieht es jedenfalls gegenwärtig aus, die Nominierung von Sarah Palin McCains Wahlkampf sehr beflügeln dürfte. Sie spricht just diejenigen Gruppen an, die McCain selbst nicht gut erreicht - die Frauen, die Jungen, die frommen Konservativen. Hillary- Wähler ebenso wie Huckabee- Wähler; und vielleicht sogar den einen oder anderen Obama- Wähler, der vor allem jemanden unter fünfzig haben möchte.

Insofern hat McCain sich an diejenigen Kriterien gehalten, die ihn auch zur Auswahl von Tim Pawlenty hätten veranlassen können; er hat sich für eine radikalere Variante derselben Option entschieden.

Und er hat mit Sarah Palin jetzt auch noch eine glänzende Debattiererin, die Joe Biden in den Duellen der Vize- Kandidaten zumindest rhetorisch gewachsen sein wird. Was das Wissen angeht, wird sie bis dahin allerdings kräftig büffeln müssen.



Und schließlich wird Palin auch viel Medieninteresse an ihrer Person auf sich ziehen; ganz anders als der redselige, seit Jahrzehnten den Wählern geläufige Joe Biden.

Nicht nur, weil sie bisher ziemlich unbekannt war und viele sich folglich fragen werden, wer denn diese Frau ist, deren Stern so schnell aufging. Sondern das, was die Medien über sie publizieren werden, verspricht auch einen hohen Human Interest- Wert zu haben:

Sie war einmal Schönheitskönigin, wenn auch nur Miss Wasilla. Ihr Mann Todd hat Yupik- Eskimos als Vorfahren; sein Hobby sind Rennen mit Motorschlitten. Einer ihrer Söhne ist Soldat und wird demnächst in den Irak gehen. Ihren jüngsten Sohn bekam sie erst im April dieses Jahres; es ist ein Kind mit Down- Syndrom. Daß sie es bekommen hat, darf man bei den heutigen pränatalen Routine- Tests als Beleg dafür ansehen, daß sie sich bewußt dafür entschieden hat, es trotz der Behinderung zu bekommen.

Und wenn sie auch das Jagen, Fischen und vor allem das Schießen liebt - sie ist zugleich, so das Magazin People, dem ich auch die anderen Informationen entnommen habe, eine ausgesprochen modebewußte Frau: "... on the job as governor she wears Kazuo Kawasaki designer glasses and black Franco Sarto boots!", im Amt trägt sie Kazuo- Kawasaki- Designerbrillen und schwarze Franco- Sarto Stiefel.

Was immer das ist; es klingt jedenfalls gut.

Ach ja, (das nur nebenbei für Sie, liebe Leser in Deutschland): deutsche Vorfahren hat sie auch, die Sarah Palin. In ihrem Stammbaum finden sich die Namen Müller und Schmolz. Schmolz ist ein eher seltener Name, dessen Verbreitung man sich hier ansehen kann. Mit recht großer Wahrscheinlichkeit stammen Vorfahren der künftigen US-Vizepräsidentin aus dem Raum Heilbronn- Böblingen - Göppingen.



Der künftigen Vizepräsidentin? So wird sie jedenfalls auf der Convention in St. Paul, Minnesota, wieder und wieder genannt werden. Wird sie es auch werden?

In den Umfragen hat sich in den letzten Wochen der Abstand zwischen Obama und McCain kontinuierlich verringert und war in einigen Umfragen bereits verschwunden; allerdings hatte Obama in der zweiten Hälfte der jetzt zu Ende gegangenen Woche der National Convention den zu erwartenden Aufschwung.

Man darf gespannt sein, wie sich die Nominierung Palins und dann die republikanische National Convention, die morgen beginnt, auswirken werden. Wenn es McCain schaffen sollte, am Ende der kommenden Woche gleichauf mit Obama oder sogar leicht vor ihm zu liegen, dann hat er ausgezeichnete Chancen, es im November zu schaffen.

Chancen, aber keineswegs eine Sicherheit. Denn seine Entscheidung für Palin ist mit einem hohen Risiko behaftet. In dem auf die Analyse von Umfragen spezialisierten Blog FiveThirtyEight gibt es dazu eine interessante entscheidungstheoretische Analyse. Danach ist McCain nach dem Parteitag der Demokraten - genauer: nach Bill Clintons enthusiastischer Unterstütung für Obama - zu der Überzeugung gekommen, daß er hinten liegt, und mußte deshalb ein Risiko eingehen:

Palin wird ihm, wenn alles gut geht, vielleicht (als Denkmodell) drei Prozentpunkte bringen - just die drei, die er für den Sieg braucht. Aber unerfahren wie sie ist, kann ihr leicht ein katastrophaler Fehler unterlaufen, eine Gaffe. Dann könnte McCain auch um zehn Prozentpunkte abrutschen; ein Fiasko.

Nur: Wenn er verliert, ist es egal, wie hoch er verliert. Wenn eine Chance von, sagen wir, fünfzig Prozent besteht, daß Sarah Palin einen solchen Fehler nicht begeht, dann hat McCain sich richtig entschieden.

Und noch eine bedenkenswerte Überlegung in dem Artikel und der anschließenden Diskussion: Sarah Palin spielt nicht nur - wie Obama das jetzt auf dem Parteitag versucht hat - den Menschen wie du und ich, den Kumpel. Sie ist es wirklich.

Ihr Authentizitäts- Faktor sprenge alle Maßstäbe, heißt es in dem Artikel. "But do Americans really want their next- door- neighbor running for Vice President, or rather someone who seems like one?" Aber wollen die Amerikaner wirklich die Nachbarin von nebenan als Bewerberin um die Vizepräsidentschaft - oder nicht doch eher jemanden, der nur so wirkt?



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