4. September 2008

Der 44. Präsident der USA (17): Hat Sarah Palin eine große Rede gehalten? Redenschreiber, Teleprompter und das öffentlich-rechtliche Fernsehen

Haben Sie jemals etwas darüber erfahren, wer für Barack Obama die Reden schreibt? Ich nicht.

Ich vermute, viele in Deutschland wissen gar nicht, daß er seine Reden so wenig selbst schreibt, wie irgend ein anderer amerikanischer Spitzenpolitiker das tut; dafür haben sie alle ihre Profis. Die Reden werden ihnen geschrieben (manchmal vielleicht nach ihren Anweisungen). Nur ablesen müssen sie sie selbst.

Allerdings nicht von einem altmodischen Manuskript auf dem Rednerpult, sondern von zwei - für die Kameras in der Regel unsichtbaren - Telepromptern, die links und rechts vom Rednerpult stehen.

Deshalb wandert der Blick, der Kopf des Redners, immer hin und her. Scheinbar den Kontakt mit allen Teilen des Publikums suchend. In Wahrheit beim Ablesen zwischen den beiden Telepromptern wechselnd.

Als Barack Obama in Berlin gesprochen hatte, hat ihn Ralph Giordano also ein wenig falsch beurteilt, als er meinte: "Er ist ein guter Rhetoriker, der eine halbe Stunde ohne Manuskript spricht - als sei er bereits der Präsident". Nein, er war nur ein, sagen wir, kreativer Ableser. Als sei er bereits der Präsident

Die Medien gehen darauf im allgemeinen nicht ein. Sie lassen uns die Illusion, die Redner trügen ihre eigenen Gedanken und Formulierungen vor; gar in freier Rede.

Es sei denn, es handelt sich um eine Rednerin, und sie heißt Sarah Palin.



Schon gestern bei CNN brachte eine den Demokraten sehr nahestehende Journalistin, Donna Brazile, die Bemerkung unter, die Rede Palins sei von Bush- Leuten verfaßt worden. Auch demokratische Politiker sagten das danach noch.

Und folglich erreichte diese Botschaft auch uns deutsche TV-Zuschauer. Heute Mittag in der Tagesschau um 13.00 sagte Ina Ruck über Palins Rede: "Die Rede stammt aus der Feder eines Redenschreibers von Präsident Bush".

Was uns das sagen will, liegt auf der Hand: Erstens, die gute Frau kann allenfalls das ablesen, was andere Leute ihr aufgeschrieben haben. Mehr hat sie nicht auf dem Kasten. Und zweitens sind das Leute vom bösen Bush; damit wissen wir ja, was wir von der Kandidatin Sarah Palin zu halten haben.



Und wie war sie nun wirklich, diese Rede? Lassen Sie mich, bevor ich dazu komme, eine allgemeine Bemerkung vorausschicken:

Wenn ich eine Rede, die ich im TV miterlebt habe, später im Wortprotokoll oder als den vorbereiteten Redetext lese, dann kann es passieren, daß ich enttäuscht - oder aber auch, daß ich positiv überrascht bin.

Manchmal wundere ich mich beim Nachlesen, daß mir die Rede so gut gefallen hatte; sie erscheint mir jetzt viel belangloser. Manchmal entdecke ich aber auch erst beim Lesen Aspekte, Feinheiten, Qualitäten, die mir beim Zuhören entgangen waren, und sie erscheint mir nach der Lektüre viel besser.

Der Inhalt einer Rede - das, was man im Wortprotokoll nachlesen kann - ist eben nur einer der Aspekte der vorgetragenen Rede. Deren Wirkung hängt auch von vielen anderen Aspekten ab - der Mimik und Gestik, der Art des Sprechens. Vor allem aber von einem Faktor, der schwer genau zu fassen ist und den man gern "Präsenz" nennt: Die Fähigkeit, die Zuhörer - vor allem, wenn sie auch Zuschauer sind - "in seinen Bann zu ziehen"; mit welchen Mitteln auch immer.



Vergangene Nacht habe ich die Rede von Sarah Palin in CNN verfolgt. Heute Vormittag habe ich sie im Wortprotokoll nachgelesen.

Sie ist eine jener Reden, die mir beim Zuhören ausgezeichnet gefielen und von denen ich beim Nachlesen enttäuscht war. Das spricht für die Präsenz der Rednerin.

Nein, es ist kein schlechter Text, wenn man ihn liest; man spürt da schon den Profi. Aber von jemandem vorgetragen, dem diese Präsenz fehlt - sagen wir, von Hillary Clinton oder in Deutschland von Angela Merkel - hätte er längst nicht die Stürme der Begeisterung ausgelöst wie heute Nacht in Dayton, Ohio.

Wie schaffte es Sarah Palin, durch die Art ihres Vortrags aus einem guten Redetext eine brillante Rede zu machen?

Schwer zu sagen. Sie setzte keines der Mittel der Rhetorik ein, mit denen Barack Obama operiert - diese herrische Gestik, diese Mimik mit dem à la Mussolini vorgereckten Kinn und dem konzentrierten Gesichtsausdruck, dem Crescendo in der Stimme, den gezielten Pausen, dem Wechsel zwischen ganz leise und sehr laut.

Nichts davon bei Palin. Also, was macht ihre Präsenz aus? Ich habe eben noch einmal die Aufzeichnung angesehen und glaube, ich habe eine Erklärung: Ihre Rhetorik besteht darin, daß sie keine Rhetorik hat.

Wenn Hillary Clinton spricht, bin ich immer in Versuchung, geistig abzuschalten. So künstlich, so antrainiert, so langweilig wirkt das alles.

Langweilig ist Obama nicht, sondern in gewisser Weise schon faszinierend. Aber aus jedem Knopfloch lugt die Selbstdarstellung, das Narzißtische díeses begnadeten Schauspielers hervor.

Palin hatte ihre Rede gewiß auch präpariert. Aber wie frisch, wie authentisch, kam sie rüber, im Vergleich zu diesen beiden anderen!

Meist gewinnend lächelnd, aber dann plötzlich mit einem Aufblitzen von Aggressivität, wenn sie Obama anging und dabei wie eine fauchende Katze die Nase - nein, nicht rümpfte, nicht kräuselte, irgendwie straffte. Dieses fast fröhliche Lachen, wenn sie eine Pointe gelandet hatte und das Publikum jubelte.



Wie die Hinterwäldlerin aus dem fernen Alaska wirkte diese Frau jedenfalls nicht. Sie wirkte geradezu unglaublich selbstsicher und selbstbewußt. In sich ruhend. "Abgeklärt" würde man bei einem Fußballer vielleicht sagen.

Was Hillary Clinton mit all ihrer Intelligenz, mit ihrer unendlichen Anstrengung nie geschafft hat - daß sie authentisch wirkt, daß ihr spontan die Herzen zufliegen - das hat Sarah Palin auf Anhieb hinbekommen.

Am Ende ihrer Rede gab es eine kleine, aber feine Überraschung:

John McCain, für den ein Auftritt gar nicht vorgesehen gewesen war, stand unversehens auf der Bühne, auf der sich inzwischen die Familie Palin versammelt hatte.

Er begrüßte alle, umarmte Sarah Palin, blickte sich dann stolz um und sagte: "Don't you think we made the right choice for the next Vice President of the United States?" Und dann wandte er sich der Famlie zu und sagte seinen zweiten Satz des Abends: "What a beautiful family". Sprach's, schüttelte noch ein paar Hände und trollte sich wieder.



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