23. September 2008

RAF und kein Ende: Warum wollten Terroristen Franz-Josef Strauß ermorden?

RAF und kein Ende. Anfang 2007 hatte das Thema monatelang die Öffentlichkeit beschäftigt, als es um eine mögliche Begnadigung von Christian Klar ging. Dann ein weiteres Mal im Herbst desselben Jahres, als sich der "Deutsche Herbst" 1977 zum dreißigsten Mal jährte.

Und nun, ein Jahr später, schon wieder. Diesmal anläßlich des Films "Der Baader- Meinhof- Komplex", der jetzt in die Kinos kommt und der vergangenen Sonntag gar Thema bei Anne Will gewesen ist.

Es gibt da offenbar nach wie vor ein riesiges Interesse, und zwar quer über die Generationen.

Diejenigen, die diese Zeit miterlebt haben, empfinden sie wohl vielfach als eine Spanne ihres Lebens, in der sich Geschichtliches zutrug; eine insofern herausgehobene, wichtige Zeit. Die Jüngeren scheinen sie oft mit einer Mischung aus Neugier, Unverständnis, Schauder und auch einem gewissen Neid zu betrachten; sie, die in weniger aufregenden Zeiten leben.

Dabei ist der Wunsch nach Informationen groß. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Suchanfragen nach der RAF zu einem Artikel hier in ZR führen; die häufigste Suche lautet "Ziele der RAF".

Das nun freilich ist die Frage, die innerhalb dieses ganzen Komplexes am einfachsten zu beantworten ist: Die RAF wollte - siehe die Vignette oben; sie zeigt ein paar Broschüren aus meiner Bibliothek - den "bewaffneten Kampf in Westeuropa".

Sie wollte erst unser Land, dann ganz Westeuropa in einen Bürgerkrieg treiben, an dessen Ende - auch daran lassen die Schriften der RAF keinen Zweifel - ein kommunistisches System stehen sollte. Das Vorbild waren die Bürgerkriege, die sich damals in einigen Ländern Südamerikas vorbereiteten.

Also, diese Frage ist leicht zu beantworten. Schwieriger wird es, wenn es um die Details geht.



Heute hat "Spiegel- Online" einen Artikel publiziert, in dem es um ein solches Detail geht; nämlich um einen von der RAF geplanten Anschlag auf Franz- Josef Strauß, über den dessen Tochter Monika Hohlmeier und sein Sohn Franz Georg Strauß jetzt in "Bild" berichtet haben.

Danach hatte die RAF bereits eine konspirative Wohnung nah der Wohnung der Familie Strauß bezogen, von der aus 1977 der Mordanschlag verübt werden sollte. Vorgesehen sei gewesen, ein Modellflugzeug mit einer Sprengstoffladung zu verwenden. Durchaus glaubhaft angesichts der Technik- Versessenheit der RAF.

"Spiegel- Online" berichtet regelmäßig und (für seine Verhältnisse) meist auch gründlich über die RAF und hat die betreffenden Artikel in einem verdienstvollen Dossier zusammengestellt. Der jetzige Artikel aber ist, milde gesagt, irreführend.

Er besteht aus zwei Teilen: Zunächst informiert er über das, was die Kinder von Franz- Josef Strauß zu diesem geplanten Anschlag sagten. Und dann gibt es einen zweiten Abschnitt, der - so, wie solche Meldungen aufgebaut zu sein pflegen - Hintergrund- Informationen liefern soll.

Nur sind sie das in diesem Fall nicht. Oder sagen wir, dieser zweite Teil des Artikels suggeriert einen Hintergrund, den es nicht gab, und ignoriert den wahren Hintergrund.

Dieser letzte Abschnitt des "Spiegel- Online"- Artikels lautet:
Strauß gehörte im Deutschen Herbst von 1977 zum parteiübergreifenden, sogenannten "großen politischen Beratungskreis", dem großen Krisenstab, in dem Maßnahmen zur Bekämpfung des RAF-Terrors beraten wurden.

Dort sollen im September 1977 auch radikale Maßnahmen wie der Einführung der Todesstrafe, von Erschießungen und von Repressalien zur Sprache gekommen sein, sollte der damals entführte Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer nicht freigelassen werden. Strauß galt als Verfechter einer besonders harten Linie: Er forderte eine "massive Gegendrohung".


Es wird damit suggeriert - welchen anderen Sinn sollte diese Passage in diesem Zusammenhang haben? - , daß es zwischen dem geplanten Mordanschlag und Strauß' harter Haltung im Großen Krisenstab einen Zusammenhang gegeben habe.

Davon kann aber keine Rede sein, und zwar aus mindestens drei Gründen:
  • Die Vorbereitungen für den Anschlag auf Strauß fanden laut Monika Hohlmeier und Franz Georg Strauß im Jahr 1977 statt. Ab der Schleyer- Entführung war die gesamte Logistik der RAF durch diese Entführung gebunden. Also muß der Plan zur Ermordung von Strauß entstanden sein, bevor es überhaupt den Großen Krisenstab gab.

  • Zweitens wurden die Interna aus den damaligen Sitzungen erst jetzt bekannt; beispielsweise durch eine Serie im gedruckten "Spiegel" im vergangenen Jahr. Im Jahr 1977 gab es zunächst eine Informationssperre, an die sich auch alle Medien hielten. Nach dem Mord an Schleyer und den Ereignissen in Stammheim und Mogadischu wurde eine Dokumentation der Bundesregierung erstellt, in der aber Interna über die Sitzungen des Großen Krisenstabs nicht enthalten waren.

  • Und drittens lagen die Gründe dafür, daß die RAF Strauß ermorden wollte, wo ganz anders. Strauß war, wie auch Buback und Schleyer, damals ein Haßobjekt der Linken weit über die RAF hinaus. Man hat ihn sich offenbar als Opfer ausgesucht, weil man einen Mord an diesem verkörperten Feindbild für "vermittelbar" hielt; weil man sich davon eine "klammheimliche Freude" innerhalb der Linken versprach, wie beim Mord an Buback.



  • Von dem Haß, der damals Franz- Josef Strauß entgegenschlug, kann man sich heute kaum mehr eine Vorstellung machen.

    Als Schleyer entführt worden war, kursierte an den deutschen Unis und in der linken Szene ein sogenannter "Sponti- Spruch"; ich habe ihn damals auch an Wände geschmiert gesehen: "Buback, Ponto, Schleyer - der nächste ist ein Bayer".

    Strauß galt als die Verkörperung schlechthin des "Schweinesystems" und wurde von dem Karikaturisten Hachfeld (er zeichnete u.a. für den vom MfS finanzierten und von dessen Agenten redigierten "Berliner Extra-Dienst") auch als ein kopulierendes Schwein dargestellt.

    Wie weit die Dehumanisierung des politischen Gegners damals getrieben (und in der Linken weithin goutiert) wurde, belegen andere Karikaturen von Hachfeld im "Extra- Dienst", die Strauß, grotesk verrenkt, in Gestalt eines Hakenkreuzes zeigen.

    In einem unsäglichen "Gutachten" suchte damals der Historiker Imanuel Geiss nachzuweisen, daß Hachfeld Strauß zu Recht in die Nähe der Nazis gerückt hatte. Einen hämischen Artikel zu den Karikaturen schrieb Otto Köhler im "Spiegel".

    Diese Kolumne von Otto Köhler erschien am 26.10.1970, sieben Jahre, bevor Strauß am "Großen Krisenstab" teilnahm.

    Solche Kampagnen, diese damals in der gesamten Linken verbreitete Herabwürdigung des politischen Gegners Strauß zum Monster waren es, die Strauß zu einem für die RAF interessanten potentiellen Opfer machten. Nicht seine spätere Tätigkeit im Krisenstab.



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