6. November 2008

Von Bush zu Obama (1): Warum hat Barack Obama gewonnen? Eine Wahlanalyse auf fünf Ebenen, Teil 1

Die Wahlen sind exakt so ausgegangen, wie das aufgrund einer Analyse der Umfragedaten zu erwarten gewesen war.

Diese sagten am 1. November für Obama 50 bis 53 Prozent vorher; für McCain 44 bis 47 Prozent. Das bedeutete für Obama bei den Wahlmännern eine komfortable Mehrheit von 350 Stimmen.

Als eigene Prognose hatte ich mich am 1. November auf 51,5 Prozent für Obama und 46 Prozent für McCain festgelegt. In dieser Prognose war impliziert, daß 2,5 Prozent der Stimmen an andere Kandidaten gehen würden. Betrachtet man nur Obama und McCain, so entsprach meine Vorhersage einem Stimmenverhältnis von 53 : 47.

Die Auszählung ist noch nicht ganz abgeschlossen. In dem Augenblick, in dem ich dies schreibe, lauten die fortlaufend aktualisierten Werte bei der New York Times: Obama 63.861.092 Stimmen; McCain 56.378.757 Stimmen. Das entspricht einem Stimmenverhältnis von 53 : 47.

Bei den Wahlmännern sagt die gegenwärtige Auszählung 349 Stimmen für Obama vorher. Es werden wahrscheinlich 364 werden, denn in einem der beiden noch offenen Staaten, in North Carolina, liegt Obama vorn.

Eine so genaue Prognose ist weder Zufall noch Hexerei. Bei den Präsidentschafts- Wahlen in Frankreich im Frühjahr 2007 war meine Vorhersage ähnlich genau.

Nein, es ist natürlich nicht "meine" Vorhersage. Damals, bei den Wahlen in Frankreich habe ich mir allerdings die Arbeit gemacht, die Daten aller Institute zu verfolgen und selbst zu bewerten. Diesmal haben mir die diversen Polls of Polls diese Mühe erspart; und vor allem habe ich mich auf die ausgezeichneten Analysen von Nate Silver in FiveThirtyEight gestützt.



In der jetzigen Serie "Von Bush zu Obama" wird es bis zur Amtseinführung im Januar Rückblicke auf die acht Amtsjahre Bushs geben; zweitens Analysen dazu, was von Präsident Obama zu erwarten ist.

Als erstes befasse ich mich mit den Faktoren, die zu Obamas Sieg geführt haben. Das ist zugleich eine Zusammenfassung dessen, was in früheren Artikeln zu diesem Thema hier zu lesen war.

Diese Faktoren lassen sich nicht so exakt analysieren wie das Wahlverhalten selbst. Aber man kann doch begründete Vermutungen anstellen; das, was man im Englischen Educated Guesses nennt. Die folgenden Analysen basieren auf dem, was ich an Informationen habe, ohne daß ich die Quellen im einzelnen belege.

Faktoren, die das Wählerverhalten bestimmen, kann man auf unterschiedlichen Ebenen untersuchen; ungefähr so, wie man die Frage "Warum hat 'Das Leben der Anderen' den Oskar bekommen?" beantworten kann: "Weil es ein ausgezeichnet gemachter Film ist" oder "Weil das Thema des Films damals in den USA auf Interesse stieß". Das sind Erklärungen auf verschiedenen Ebenen; die eine schließt die andere nicht aus.

An Obamas Wahlsieg haben, soweit ich sehe, Faktoren auf den folgenden Ebenen eine Rolle gespielt: Der persönlichen; der wahlkampftaktischen; der zeitgeschichtlichen; der wirtschaftlichen; der kulturellen.



1. Die persönliche Ebene. Seit John F. Kennedy haben die USA keinen so charismatischen Politiker mehr erlebt wie Barack Obama. Als ich ihn im Januar die ersten beiden Male bei Auftritten gesehen hatte, war ich beeindruckt:
Fast unwiderstehlich. Ich wüßte keinen deutschen oder französischen Politiker, der so lieb und zugleich so stark wirkt. Um noch eine Etage höher zu greifen als nur zu Kennedy: So ungefähr dürfte Alexander der Große auf seine Mazedonier, dürfte Totila auf seine Ostgoten gewirkt haben. Der geborene Anführer.
Je weiter der Wahlkampf voranschritt, umso mehr habe ich allerdings das Demagogische, das Opportunistische an diesem Stil gesehen und es in einem dreiteiligen Artikel analysiert. Aber erfolgreich war dieses Auftreten; vor allem, weil Obama es anzupassen wußte.

Als der charismatische Erlöser nämlich trat Obama vor allem im Vorwahlkampf gegen die überkontrolliert wirkende Hillary Clinton auf, von der er sich dadurch vorteilhaft abhob. Als er die Nominierung erlangt hatte und nun der sehr viel charmantere, sehr viel menschlicher wirkende John McCain sein Gegner war, wechselte Obama die Art seines Auftretens.

Fortan war er nicht mehr der Prediger, der seine Zuhörer in kollektive Begeisterung versetzte, sondern der zurückhaltende Staatsmann, eine Wandlung, die sich ebenso abrupt wie perfekt vollzog.

In den Debatten mit McCain führte das zu einem erstaunlichen Rollentausch: Der lebenserfahrene Siebziger McCain wirkte heißblütig und aggressiv wie ein Junger, der junge Aufsteiger Obama staatsmännisch- abgeklärt wie ein Elder Statesman. Das kam bei den Amerikanern besser an, zumal in den gefährlichen Zeiten, die sich abzeichneten.

2. Die Ebene der Wahlkampftaktik. Wieweit die Wandlung Obamas vom Prediger zum Staatsmann von ihm selbst ausging und wieweit von den Strategen seines Teams, ist schwer zu entscheiden. Sie war jedenfalls ebenso wirkungsvoll wie fast alles, was in diesem Wahlkampf geschah. Es war einer der perfektesten Wahlkämpfe in der Geschichte der US-Präsidentenwahlen, "a campaign that was, even in the view of many rivals, almost flawless" - ein Wahlkampf, der selbst aus der Sicht vieler Konkurrenten nahezu fehlerfrei war. So stand es gestern in der New York Times.

Dazu gehörte, daß das Team zwei Strategien höchst effizient miteinander verknüpfte: Eine klassische und eine moderne.

Die klassische Strategie war der massive Einsatz von Wahlhelfern, die etwas betrieben, was wir in Deutschland in dieser Form nicht kennen: das Canvassing, das persönliche Bearbeiten der Wähler. Dazu gehört es, daß die Helfer im Bekanntenkreis werben, daß sie bei sich zu Hause Parties organisieren, um für ihren Kandidaten einzutreten. Es gehört aber auch das Ansprechen von Fremden dazu - es werden Klingeln geputzt, es werden Anrufe getätigt und SMS verschickt; am Wahltag wird mobilisiert, was das Zeug hält.

Das alles wurde in den USA schon mit den damaligen Mitteln so gemacht, als Alexis de Tocqueville mit Staunen die "Demokratie in Amerika" beschrieb. Neu aber war, daß Obamas Team das mit einem Internet- Wahlkampf kombinierte, wie die Welt ihn noch nicht gesehen hatte.

Über das Internet kommunizierten die zahllosen Teams von Helfern; über das Internet wurden Informationen und Gerüchte verbreitet. Vor allem aber diente das Internet als eine gigantische Maschine zum Geldsammeln. Hillary Clinton war ständig klamm gewesen; McCain kam eben mit seinen Mitteln zurecht; Obama aber schwamm buchstäblich in Geld.

Diese beiden Momente - das klassische Canvassing und der Internet- Wahlkampf - funktionierten nicht nur für sich bestens, sondern sie erzeugten auch noch einen Synergie- Effekt: Dank des über das Internet gesammelten Geldes konnten die vielen Teams vor Ort finanziert werden, die ihrerseits auf ihren Blogs und Homepages den Wahlkampf im Web unterstützten.

Inhaltlich war Obamas Wahlkampf nahezu inhaltsleer. Von vielen seiner ursprünglichen Positionen rückte er ab. Aber das schadete ihm kaum.

Was blieb, das waren die drei zentralen Themen: Der Wandel (wohin auch immer), die Überbrückung aller Gegensätze (wie auch immer zu erreichen), und das "Yes we can", das so oder so ähnlich jedes Motivations- Seminar begleitet. Und vor allem war es die charismatische Person Barack Obama. The candidate is the message.

Warum kam die zentrale Botschaft "Wandel" so gut an? Wegen der zeitgeschichtlichen Einbettung dieses Wahlkampfs. Dazu mehr im zweiten Teil.

(Fortsetzung folgt)



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