15. März 2009

Die Muster des Kalten Kriegs kehren zurück. Obama wird getestet. Stehen wir vor einer zweiten Cuba-Krise?

Der Sicherheitsexperte und politische Analytiker George Friedman, Lesern von ZR als Leiter des Instituts Stratfor bekannt, hat ein neues Buch geschrieben. Bis nach Frankfurt ist er auf seiner Lesereise gekommen, auf der er gegenwärtig "Die nächsten hundert Jahre" vorstellt.

Zu den überraschenden Prognosen Friedmans - manche überzeugend, andere weniger - gehört die eines neuen Kalten Kriegs zwischen Rußland und den USA. Und da könnte er richtig liegen.

Der Kalte Krieg, der Ende der vierziger Jahre begann und der in den achtziger Jahren zu Ende ging, war zwar auch eine ideologische Auseinandersetzung. Vor allem aber war er ein Machtkampf zwischen den beiden Mächten, die als die eigentlichen Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen waren. Beide bestehen nach wie vor, mit denselben Ambitionen wie damals.

Zwei Länder allerdings, die aus ganz unterschiedlichen Gründen zu "Supermächten" geworden waren:

Die USA, weil ihnen die Kriegsanstrengungen eine militärische Macht und ökonomische Entwicklung gebracht hatten, welche diejenige der klassischen europäischen Mächte Großbritannien und Frankreich weit übertrafen.

Die UdSSR, weil sie als Ergebnis dieses Kriegs ein Kolonialreich in Besitz genommen hatte, das noch über die Grenzen des einstigen Zarenreichs hinausreichte. Hinzu kamen die Ressourcen, die während des Kriegs aus den USA an den Verbündeten UdSSR geflossen waren, und die rücksichtslose Bevorzugung der Schwerindustrie zum Nachteil der Konsumgüter, wie sie nur in einer Diktatur durchsetzbar ist.

Natürlich haben die Sowjets diesen Machtkampf ideologisch aufgeladen; schon um sich damit Verbündete und Fellow Travellers unter den Sozialisten und Kommunisten der ganzen Welt zu verschaffen. Aber im Kern war es ein klassischer Hegemonialkampf.

Athen gegen Sparta, Rom gegen Karthago, England gegen Spanien, Frankreich gegen Deutschland: In diese Reihe gehörte der Kampf UdSSR gegen die USA. Nur daß er, dank der Existenz von Atomwaffen, "kalt" blieb, sieht man von den Stellvertreter- Kriegen ab, von denen der Korea- Krieg der erste war.



Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer zeichnet sich ab, daß sich an dieser Machtkonstellation im Grunde nicht viel geändert hat. Die USA sind nach wie vor eine Weltmacht, und Rußland unternimmt aller Anstrengungen, es wieder zu werden.

Zwar nicht wieder unter dem Banner des Kommunismus; aber das demokratische Experiment in Rußland ist erst einmal gescheitert. Die Strukturen einer autoritären bis diktatorischen Herrschaft, welche die Kommunisten vom Zarenreich übernommen hatten, werden nach der Jelzin- Episode jetzt zügig restauriert.

Außenpolitisch sieht dieses neue, also alte Rußland den Untergang der UdSSR als eine verlorene Schlacht an, aber nicht als verlorenen Krieg. Das Ziel ist ein Rollback, das Zurückdrängen der Nato. Es geht Putin darum, das wiederzugewinnen, was nach seiner Auffassung Gorbatschow leichtfertig preisgegeben hat. Das war eine Niederlage, die russische Imperialisten als ein zweites Brest- Litowsk sehen; jene bitterste Niederlage der UdSSR, kurz nach ihrer Gründung.

Aber nicht nur in Europa entstehen die Strukturen des Kalten Kriegs neu. Es gehörte immer zur Strategie der UdSSR, nicht nur das Kolonialreich in Osteuropa zu sichern und seine Expansion gen Westen vorzubereiten, sondern auch die USA "vor deren Haustür" in Bedrängnis zu bringen. Meist still und unauffällig dadurch, daß man Terroristen und Guerrilleros in Lateinamerika unterstützte; spektakulär, als Chruschtschow 1962 Raketen auf Cuba zu stationieren versuchte.



Vor knapp zwei Jahren bin ich zum ersten Mal auf die sich vorbereitende militärische Zusammenarbeit zwischen Rußland und Venezuela aufmerksam geworden. Damals kündigte Chávez eine solche Allianz (wie auch eine mit China) an. Das wurde weithin als Großsprecherei abgetan. Aber damals hatte Venezuela schon für drei Milliarden Dollar Waffen in Rußland gekauft.

Im November vergangenen Jahres dann besuchte Medwedew Venezuela. Interessanter als der Besuch als solcher war, in welcher Begleitung er reiste: Vier russische Kriegsschiffe hatten sich in die Karibik aufgemacht und veranstalteten vor der Küste Venezuelas gemeinsame Manöver mit Chávez' Kriegsmarine. Damals war Obama schon gewählt, und in diesem Blog stand zu lesen: "Rußland wird den jungen Mann in Lateinamerika testen, so wie man ihn in Osteuropa testen wird".

In Osteuropa ist dieser Test seit einigen Wochen im Gange. Jetzt scheint er auch in Lateinamerika zu beginnen.

Gestern meldete die New York Times, der Stabschef des russischen Strategischen Bomberkommandos, Anatoli Schicharew, habe mitgeteilt, daß Rußland die Stationierung strategischer Bomber auf Cuba oder in Venezuela erwäge: "Either option would be practical"; beide Optionen seien praktikabel:
"There are four or five airfields in Cuba with 4,000- meter- long runways, which absolutely suit us," he said. If the two chiefs of state display such a political will, we are ready to fly there." He confirmed that Mr. Chávez had offered the use of a military airfield on La Orchila island. "If a relevant political decision is made, this is possible," he said.

"Es gibt in Cuba vier oder fünf Flughäfen mit Start- und Landebahnen von 4.000 Metern, die völlig unseren Anforderungen entsprechen", sagte er. "Wenn die beiden Staatschefs den politischen Willen zeigen, sind wir bereit, dort zu fliegen". Er bestätigte, daß Chávez die Benutzung des Militär- Flughafens auf der Insel Orchila angeboten habe. "Wenn eine entsprechende politische Entscheidung getroffen wird, ist das möglich", sagte er.
Ein hochgestellter Offizier, hier gar der Stabschef des Strategischen Bomberkommandos Rußlands, sagt so etwas natürlich nicht, ohne dafür autorisiert zu sein.

Entweder ist die Entscheidung schon gefallen, eine neue Cuba- Krise zu riskieren. Dann soll Obama gleich sozusagen mit voller Wucht getestet werden. Oder die Ankündigung Schicharews ist selbst der Test: Noch wird danach nur "erwogen"; man kann sich bei einer harten amerikanischen Reaktion also noch zurückziehen.

Und wie sieht sie bisher aus, die amerikanische Reaktion? Die New York Times:
At the time, top United States military officials played down the joint efforts, with Adm. Mike Mullen, chairman of the Joint Chiefs of Staff, saying that Russia and Venezuela had the right to work together "if they see fit."

Derzeit spielten führende amerikanische Militärs diese gemeinsamen Absichten [von Rußland und Venezuela] herunter. Admiral Mullen, Vorsitzender der Vereinten Stabschefs, sagte, Rußland und Venezuela hätten das Recht, zusammenzuarbeiten, "wenn sie das für angebracht halten".
Während Präsident Obama weltweit eine diplomatische Hektik von sehr zweifelhaftem Wert entfaltet, schlagen die Russen Pflöcke ein.

Die Chinesen, wie anders, übrigens auch. Letzte Woche sagte Dennis C. Blair, Direktor der gemeinsamen Organisation der amerikanischen Geheimdienste, vor dem Verteidigungs- Ausschuß des Senats aus. Es ging unter anderem um Aktionen chinesischer U-Boote gegen ein amerikanisches Schiff in internationalen Gewässern.

Die Chinesen "'seem to be more militarily aggressive' in general"; sie seien militärisch generell aggressiver, meinte der Geheimdienst- Chef.

Sie wollen eben nicht abseits stehen beim Obama- Testen, die Chinesen.



Titelvignette: Nikita Chruschtschow; Bundesarchiv; freigegeben unter Creative Commons Attribution ShareAlike 3.0 Germany License; bearbeitet.

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