14. Mai 2009

Überlegungen zur Freiheit (10): Die Macht der Voodoo-Priester. Wie unwirksame Gesetze unsere Freiheit bedrohen

Der Zweck von Gesetzen besteht zunehmend nur noch im Akt der Gesetzgebung selbst. Gesetze werden nicht gemacht, um das zu bewirken, was in der Begründung aufgeführt wird. Sondern man verabschiedet sie, um sagen zu können - um es auch propagandistisch ausschlachten zu können -, daß man dieses Gesetz gemacht hat.

Der Akt der Gesetzgebung wird zur symbolischen Handlung. Ein derartiges Gesetz eignet sich nicht zur Veränderung der Realität, wohl aber zu ihrer Beschwörung. Der Mechanismus ist derjenige der Magie. So, wie der Voodoo- Priester symbolisch die Puppe durchsticht, statt den wirklichen Menschen zu attackieren, treffen diese Gesetze nicht den realen Mißstand, gegen den sie sich vorgeblich richten, sondern ihr Zielobjekt ist dessen symbolische Repräsentation.

Ich habe das kürzlich anhand von zwei Beispielen genauer ausgeführt, der von der SPD angekündigten höheren Besteuerung "der Reichen", die dem Fiskus kaum etwas bringen würde, und der Sperrung des Internet für Kinderpornographie, die kriminellen Kinderschändern ungefähr so wirksam das Handwerk legen dürfte, wie es einen Ochsen beeindruckt, wenn man ihn ins Horn petzt.

Jetzt gibt es ein weiteres Beispiel; eines, das den Voodoo- Charakter solcher Gesetze mit fast schon absurder Sinnfälligkeit vorführt; freilich zugleich auch verdeutlicht, daß Unwirksamkeit nicht Ungefährlichkeit bedeutet: Die geplante Verschärfung des Waffenrechts.



Es gehörte nicht viel prognostische Kraft dazu, am Tag der Tat von Winnenden vorherzusagen, daß es den Ruf nach einer Verschärfung der Waffengesetze geben würde. Daß er so weit gehen könnte, gleich die "Entwaffnung" der Schützenvereine, ja - Claudia Roth schoß, wenn man das so sagen kann, mal wieder den Vogel ab - ein faktisches Verbot des Schießsports in Deutschland zu verlangen, hatte ich allerdings nicht erwartet.

So weit sind die Koalitionsparteien nicht gegangen, deren zuständige Innenpolitiker sich am Dienstag Abend auf eine Verschärfung des Waffenrechts geeinigt haben. Aber das, was sie beschlossen, zeigt umso deutlicher den Voodoo- Charakter derartiger Gesetze. Und es verdeutlicht auch, daß sie keineswegs harmlos sind. Künftige Bluttaten wird dieses geplante Gesetz nicht verhindern oder auch nur unwahrscheinlicher machen. Der therapeutische Erfolg liegt nah bei null, aber die Nebenwirkungen sind massiv.

Die Nebenwirkungen nämlich, was unsere Bürgerrechte angeht. Geplant sind unter anderem zwei Regelungen, die zeigen, mit welcher Leichtfertigkeit die Politiker dieser Koalitionsparteien bereit sind, zur Veranstaltung ihres Voodoo- Spektakels unsere Rechte einzuschränken.

Lesen Sie bitte einmal diesen Absatz aus dem Bericht in "Süddeutsche.de":
Waffenbesitzer müssen mit unangemeldeten Kontrollen rechnen. Eine Wohnung darf aber nicht gegen den Willen des Wohnungsinhabers betreten werden. "Wenn sich der Waffenbesitzer beharrlich weigert, seine Mitwirkungspflichten zu erfüllen, muss die Behörde prüfen, ob die waffenrechtlich notwendige Zuverlässigkeit des Waffenbesitzers noch gegeben ist", sagte Bosbach. Dies kann zur Entziehung der waffenrechtlichen Erlaubnis führen.
Mit anderen Worten: Es gilt zwar das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Aber wer davon Gebrauch macht, der verstößt gegen seine "Mitwirkungspflicht", verfügt ergo nicht über die "notwendige Zuverlässigkeit", und somit darf man ihm den Waffenbesitzschein entziehen.

Zur Zeit des Kalten Kriegs waren die Radio- Eriwan- Witze ("Im Prinzip ja. Allerdings ...") nach diesem Prinzip konstruiert. Sie wurden erzählt, um die Verlogenheit der kommunistischen Diktatur zu entlarven.

Die zweite geplante Regelung ist nicht weniger skandalös. Aus dem Bericht in "Süddeutsche.de":
Wie Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) der Deutschen Presse- Agentur dpa sagte, ist außerdem geplant, Spiele, bei denen die Tötung des Gegner simuliert wird, mit Bußgeldern zu ahnden. Betroffen davon wäre Paintball, ein Spiel, bei dem die Gegner mit Farbkugeln aufeinander schießen.
In einem lesenswerten Artikel zum Thema hat Ulrich Clauß gestern Dieter Wiefelspütz zitiert, sozusagen den Bosbach der SPD: "'Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen Paintball (Farbkugelschießen) und Winnenden', sagt der innenpolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz". Sagt es und stimmt dem Verbot zu.

Da haben wir sie, die Voodoo- Magie, brutal und nackt: Man behauptet gar nicht erst, das Gesetz werde dem beabsichtigten Ziel dienen. Was zählt, ist allein die Symbolik.

Und die Volkserziehung. Ulrich Clauß:
Wer glaubt, das Böse in der Welt per Gesetz nicht nur einhegen zu können, sondern gleich ganz verbieten zu können, kommt am Ende bei einer Erziehungsdiktatur an. (...) Angesichts ihres materiellen Scheiterns bei nahezu allen selbst gesetzten Reformzielen – von den anderen gar nicht erst zu reden – geht diese große Koalition auf immer mehr Feldern zur Wirklichkeitsbeschimpfung in Gesetzesform über. Auf breiter Front gewinnen Eiferer die Oberhand.


Und da haben wir die andere Seite des Voodoo. Als Techniken, die Wirklichkeit zu beeinflussen, sind Voodoo- Riten ungeeignet. Umso mehr eignen sie sich dazu, Menschen unter Kontrolle zu bringen.

Nicht über das Wetter hat der Regenmacher Macht, aber über die Angehörigen des Stamms, dessen Medizinmann er ist. Unter dem Gesichtspunkt der Verbrechens- Bekämpfung sind solche Maßnahmen wie die jetzt beschlossenen wirkungslos. Aber sie zeigen die Macht des Staats über uns; sie schränken unsere Freiheit ein.

Wer im Internet unterwegs ist, der soll wissen, daß der Staat ständig ein Auge auf ihn hat. Wer als Sportschütze Waffen zu Hause aufbewahrt, der soll wissen, daß ihm die Berufung auf die Unverletzlichkeit der Wohnung wenig hilft, wenn der Kontrolleur klingelt. Und wer Spaß an Paintball hat, der soll wissen, daß er künftig nur noch illegal spielen darf. Denn, nicht wahr, es ist "sittenwidrig" (Bosbach laut Clauß), wenn jemand im Spiel auf einen anderen Menschen mit Farbbällchen schießt.

Und wenn etwas im Auge von Politikern "sittenwidrig" ist, dann - so muß man Bosbach ja wohl interpretieren - hat der Staat das Recht, es zu verbieten. Wir sind unter dieser Regierung in der Rechtspolitik mit Riesenschritten auf dem Weg zurück hinter die Liberalisierungen der siebziger Jahre.

Daß in einer freien Gesellschaft das Recht dazu da ist, Rechtsgüter zu schützen, daß es hingegen nicht die Aufgabe hat, Sitte, Anstand und überhaupt das Gute in der Welt zu befördern, scheint zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Oder vielmehr: Es wird von den Voodoo- Politikern ignoriert.

Das "sozialistische Recht" in der DDR sollte explizit der Erziehung dienen. Das unter anderem machte den totalitären Charakter des kommunistischen Systems aus.



Als im Dezember 2006, damals aus Anlaß des "Amoklaufs von Emstetten", über ein Verbot von "Killerspielen" diskutiert wurde, habe ich eine autobiographische Glosse beigesteuert; mit dem Titel "Bekenntnisse eines Killerspielers".

Ich habe darin gestanden, wie ich von der frühen Kindheit an und bis hinein in die Pubertät auf Menschen geschossen habe - mit der Wasserpistole, mit der Zündplättchen- Pistole, dazu "bumm" sagend oder "du bist tot". Aber seltsam, die Wirkung blieb aus.

Ich habe, ich schwöre es, nie den Impuls verspürt, ein Schulmassaker zu verüben oder auch nur einen Mitmenschen zu verprügeln. Irgendwie bin ich trotz der "Sittenwidrigkeit", mit der ich aufwuchs, ein friedlicher, jeder Gewalt abholder Mensch geworden.

Ob da bei mir etwas schief gelaufen ist?



Mit Dank an FAB. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Voodoo-Puppen. Autorin: Denise Alvarado. Frei unter Creative Commons Attribution ShareAlike 3.0 License.