23. August 2009

Deutschland im Öko-Würgegriff (18): "Erhöhte Gefahr eines schweren Unfalls in Krümmel". Eine Expertin gutachtet

Gestern berichtete das Ressort "Wissenschaft und Technik" von "Spiegel- Online", laut einem neuen Gutachten über das KKW Krümmel bestehe dort, "verursacht durch die mangelhafte Sicherheitskultur des Betreibers, die erhöhte Gefahr, dass eine Kombination aus Bedienungsfehlern und technischen Fehlern zu einem schweren Unfall" führt. "Zum Schutze der Bevölkerung ist daher von einer erneuten Inbetriebnahme abzuraten."

Das ist ein schwerwiegendes Urteil in einem Gutachten. Wenn ein Experte für Reaktorsicherheit derartig über Krümmel urteilt, dann hat das ein anderes Gewicht, als wenn es Politiker sagen. Es bedeutet vernünftigerweise das Ende dieses KKW. Niemand kann es verantworten, ein Kraftwerk weiter zu betreiben, in dem die erhöhte Gefahr eines schweren Unfalls besteht.

Ob ein KKW sicher ist, das ist trivialerweise eine Frage, für den der Forschungsbereich Reaktorsicherheit zuständig ist. Auf diesem Gebiet der Ingenieurwissenschaften ist Deutschland weltweit führend. Umso schwerer wiegt das Urteil eines deutschen Experten.

Lehrstühle und Institute, die speziell zur Reaktorsicherheit forschen, gibt es beispielsweise an der TH Aachen (Prof. Dr. Hans- Josef Allelein), der TU München (Prof. Dr. Adolf Birkhofer), der Universität- TH Karlsruhe (Prof. Dr. D. G. Cacuci) und am Forschungszentrum Karlsruhe.

Wer ein Gutachten zur Sicherheit eines KKW haben möchte, der hat also zahlreiche Experten zur Verfügung; den jeweiligen Lehrstuhlinhaber sowie seine Mitarbeiter, soweit sie durch ihre Forschungsarbeiten hinlänglich ihre Sachkenntnis unter Beweis gestellt haben.



Laut der zitierten Meldung wurde das Gutachten von der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen in Auftrag gegeben. Welche deutsche Universität, die über einen Lehrstuhl für Reaktorsicherheit verfügt, haben die Grünen mit dem Gutachten beauftragt?

Gar keine. Sie haben das Gutachten bei Oda Becker bestellt.

Wer ist Oda Becker? Das ist gar nicht so leicht herauszufinden. Ich habe einigermaßen lang recherchiert, und das Ergebnis war dürftig, recht dürftig in der Tat.

Sie wird in Pressemeldungen als "Hannoveraner Physikerin" bezeichnet. Aber in Hannover gibt es gar keine Technische Hochschule und auch sonst keine Einrichtung, die über Reaktorsicherheit forscht. Wo also ist Oda Becker tätig, an welchem Institut ist sie Professorin?

Professorin ist sie gar nicht. Promoviert ist sie auch nicht. Jedenfalls habe ich keine Quelle gefunden, wo sie mit Doktortitel aufgeführt wäre; stets nur als Diplom- Physikerin. An einem Universitäts- Institut ist sie ebenfalls nicht tätig. Sondern sie arbeitet an der Fachhochschule Hannover. Diese hat weder einen Lehrstuhl noch ein Institut für Reaktorsicherheit.

Oda Becker ist an der Fakultät I beschäftigt. Das ist die Fakultät für Elektro- und Informationstechnik. Nukleartechnik kommt dort nicht vor, also auch nicht Reaktorsicherheit.

An dieser Fakultät ist Oda Becker laut Personalverzeichnis "V-Prof.". Das heißt vermutlich "Vertretungsprofessorin". Die übliche Bezeichnung für dieses Amt ist "Lehrstuhlvertreter". Lehrstuhlvertreter sind Wissenschaftler, die bisher keinen Ruf auf eine Professur bekommen haben und die vorübergehend eine nicht besetzte (vakante) Stelle vertreten. Üblicherweise wird dafür an einer Universität die Habilitation verlangt; Fachhochschulen mögen es anders handhaben. Wenn es stimmt, daß Frau Becker nicht promoviert ist, kann sie allerdings auch nicht habilitiert sein.



Nun gut, werden Sie vielleicht sagen, das sind Äußerlichkeiten. Es ist zwar nicht klar, wie man über Reaktorsicherheit forschen kann, wenn man das nicht in einem Team an einem einschlägigen Lehrstuhl oder Institut tut; aber vielleicht hat Oda Becker ja im Ausland geforscht, bevor sie nach Hannover ging?

Was ein Wissenschaftler geforscht hat, das kann man seinem Publikationsverzeichnis entnehmen. Also habe ich herauszufinden versucht, was Oda Becker denn publiziert hat. Beim Internetauftritt der FH Hannover - Fehlanzeige. Also Google scholar, eine spezielle Suchmaschine für wissenschaftliche Arbeiten.

Dort finden sich einige Texte, bei denen Oda Becker als Mitautorin auftritt - aber darunter keine einzige Arbeit, die in einer Fachzeitschrift, als Publikation einer Akademie der Wissenschaften oder sonst in einem wissenschaftlichen Publikations- Organ erschienen wäre!

Es handelt sich im wesentlichen um einen Text für Greenpeace, sodann dessen Übersetzung ins Portugiesische, um einen Text unbekannten Publikationsorts, der von den Grünen Delmenhorst ins Netz gestellt wurde, und schließlich um einen Vortrag auf dem "23. Kongress Frauen in Naturwissenschaft und Technik", dessen Text offenbar nicht publiziert wurde.

Das ist es. Publikationen in Fachzeitschriften: null. Eigene wissenschaftliche Untersuchungen: null.

Ich habe bei allen Recherche- Bemühungen keinen Hinweis darauf gefunden, daß Oda Becker auch nur irgenwann in einem Institut für Reaktorsicherheit gearbeitet hätte. Wissenschaftliche Publikationen sind von ihr auch außerhalb des Gebiets der Reaktorsicherheit nicht zu ermitteln; jedenfalls ist mir das trotz gründlichen Suchens nicht gelungen.

Nach allem, was ich herausfinden konnte, hat Oda Becker in keiner Weise die Voraussetzungen dafür, über Reaktorsicherheit überhaupt auf einem wissenschaftlichen Niveau urteilen zu können; geschweige denn, daß sie die Kompetenz nachweisen kann, die man von einem Gutachter erwartet. Sie hat keine Ausbildung in Reaktorsicherheit. Sie hat auf diesem Gebiet weder geforscht noch publiziert.

Jedenfalls nach allem, was ich herausfinden konnte, um das noch einmal zu sagen. Falls Sie, lieber Leser, wissenschaftliche Publikationen von Frau Becker aus dem Bereich der Reaktorsicherheit finden sollten, bitte ich um Mitteilung (die Mailadresse finden Sie, wenn Sie oben rechts auf das Foto klicken). Ich werde das dann sofort nachtragen.



Was also veranlaßt die Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen, jemanden mit einem Gutachten zu einem immerhin doch sehr wichtigen Thema zu beauftragen, der dafür jedenfalls weit schlechter qualifiziert ist als die zahlreichen Experten, die an den Universitäten zu diesem Thema forschen?

Hat Oda Becker vielleicht andere Qualifikationen? Wenn man sich die Fundstellen ansieht, die die Personensuchmaschine "Yasni" liefert, dann springt vor allem eines ins Auge: Sie ist offenbar eine Gegnerin der friedlichen Nutzung der Atomkraft.

Sie hat für den Bund Naturschutz und Umwelt gegutachtet. Sie trat auf einer Pressekonferenz von "Greenpeace" auf, wo sie als "Atom- Sachverständige" vorgestellt wurde. Das Gutachten für Greenpeace habe ich schon erwähnt. Sie war bei der Grünen Jugend Hannover zu Besuch, die sie als "bekennende Anti- AKWlerin" vorstellt.

Das ist sie wohl, die Oda Becker, bekennend. Nur wird man durch Bekennen nicht zum Sachverständigen.



Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen bisherigen Folgen dieser Serie findet man hier. Titelvignette: Public Domain.