27. November 2009

Neues aus der Forschung (8): Warum spielen Mädchen mit Puppen und Jungen mit Kriegsspielzeug?

Kennen Sie Janosch, den Autor vieler sehr schöner Kinderbücher? Ich kann mich an ein Radio- Interview mit ihm erinnern. Es dürfte in den siebziger Jahren gewesen sein. Eine Redakteurin des WDR befragte Janosch.

Nein, "befragte" ist nicht richtig. Sie wies ihn zurecht. Ob er sich eigentlich im Klaren darüber sei, wie frauenfeindlich seine Kinderbücher seien? Janosch, ein ohnehin schüchterner Mensch, reagiert völlig verdattert. Nein, wieso denn? Er wurde aufgeklärt, daß in seinen Büchern Mädchen mit Puppen spielen, Jungs aber allerlei Wilderes machen. Frauenfeindlich also.

Ich habe dieses Interview deshalb nicht vergessen, weil ich den Begriff "frauenfeindlich" bis dahin noch nicht gekannt hatte; jedenfalls nicht in einem solchen Zusammenhang. Nun also lernte ich, daß es frauenfeindlich sei, die "überkommenen Geschlechterrollen zu perpetuieren", oder so ähnlich. Heute sagt man Gender; der Begriff hatte sich damals noch nicht im Deutschen eingebürgert.

Ungefähr zur selben Zeit sang Milva "Wer wird als Frau denn schon geboren / Man wird zur Frau doch erst gemacht". Das war eine Idee, die Simone de Beauvoir schon 1949 formuliert hatte, in Le deuxiéme sexe, das "zweite Geschlecht" also, das auf Deutsch mit dem nicht so ganz treffenden Titel "Das andere Geschlecht" erschien. "On ne naît pas femme, on le devient": Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.

Das war damals, in den siebziger, den achtziger Jahren, etwas nachgerade Selbstverständliches. Man glaubte daran, so wie man heute an die globale Erwärmung glaubt. Nur war es falsch.



Es gibt inzwischen viele Belege dafür, daß die psychischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu einem erheblichen Teil biologisch und nicht gesellschaftlich bedingt sind. Ich möchte jetzt über eine aktuelle Untersuchung berichten, die dies auf eine besonders sinnfällige Weise zeigt. Sie wird demnächst im International Journal of Andrology erscheinen; in Science News schreibt jetzt Janet Raloff darüber.

Phthalate sind Lösungsmittel, die zum Beispiel in Nagellack Verwendung finden. Wenn Frauen ihnen in der Schwangerschaft ausgesetzt sind, dann wirkt sich das, wie seit längerer Zeit bekannt, auf den Hormonhaushalt aus, und zwar im Sinn einer Hemmung der Produktion von Testosteron. Ein Forschungsteam der Medizinischen Fakultät der Universität Rochester unter Leitung von Shanna Swan hat das jetzt genauer untersucht.

Innerhalb eines größeren Forschungsprojekts wurde bei Frauen in den letzten drei Monaten ihrer Schwangerschaft der Phthalat- Spiegel gemessen. Zwischen drei und sechs Jahre später wurden sie wieder aufgesucht. Unter anderem wurden sie über das Spielverhalten ihres Kindes - 71 Mädchen und 74 Jungen - befragt.

Bei den Mädchen gab es keinen Zusammenhang zwischen dem Spielverhalten und dem in der Schwangerschaft gemessenen Phthalat- Spiegel. Bei den Jungen gab es einen solchen Zusammenhang: Jungen, deren Mutter in der Schwangerschaft einen hohen Phthalat- Spiegel gehabt hatte, spielten - nach Angabe ihrer Mütter - seltener mit Kriegsspielzeug und eher mit geschlechts- unspezifischem Spielzeug wie Puzzles.

Shanna Swan hat angekündigt, daß sie die Untersuchung jetzt mit einer größeren Stichprobe - 800 Kindern - fortsetzen wird.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Galileo Galilei, gemalt im Jahr 1605 von Domenico Robusti. Ausschnitt.