6. November 2009

Zettels Meckerecke: Petra Pinzler denkt, und dann schreibt sie auch noch. Über Entwicklungshilfe und Umweltschutz. Und wo liegt doch gleich China?

Nichts gegen Polemik. Auch gegen überhebliche Polemik ist nicht unbedingt etwas zu sagen, wenn der Polemiker seine Arroganz immerhin durch Kompetenz, durch einen geschliffenen Stil, durch eine überlegene Argumentation zu rechtfertigen weiß.

Peinlich, mitunter unerträglich aber wird eine arrogante Polemik dann, wenn der Polemiker sie mit mangelnder Klarheit des Denkens oder gar mit schierer Unwissenheit verbindet.

Oder die Polemikerin.

Auf die Polemikerin, von der ich sprechen möchte, bin ich durch einen lesenswerten Beitrag im Blog des Kollegen und liberalen Mitstreiters Jan Filter aufmerksam geworden. Sie heißt Petra Pinzler und arbeitet im Berliner Büro der "Zeit".

Petra Pinzler also hat gestern in der "Zeit" (Nr. 46/2009 vom 5. 11. 2009) einen Artikel publiziert, der an Arroganz schwer zu überbieten ist "Erst denken, dann reden" hat sie ihn überschrieben. So pflegten zu autoritären Zeiten es die Lehrer den ungesteuerten unter ihren Schülern einzuimpfen.

Wen belehrt da die Journalistin Pinzler? Es ist der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel. Und wie belehrt sie ihn? So:
Der neue Entwicklungsminister Dirk Niebel will sinnlos in Asien sparen – und schadet deutschen Interessen. (...) Er will sparen! Zwar redet er nicht mehr davon, zu diesem Zwecke auch sein neues Amt zu streichen. Aber per Bild- Zeitung hat er immerhin Chinesen und Inder wissen lassen, dass bald Schluss mit der deutschen Hilfe sei. Die solle künftig nur noch dort eingesetzt werden, "wo es am meisten Not tut". (...)

Ach, wenn gute Politik so einfach wäre. Viel wahrscheinlicher ist indes, dass der neue Minister seine Phrasen schon sehr bald wird vergessen wollen. Gut möglich, dass ihn sein Außenminister und Parteichef Guido Westerwelle ... schon bald zurückpfeifen wird.
Gut möglich ist vieles, oder auch weniger gut. Daß Westerwelle in diesem Punkt seinen Kabinettskollegen Niebel "zurückpfeifen" wird, ist - Jan Filter hat darauf hingewiesen - schon deshalb nicht zu erwarten, weil Westerwelle exakt dieselbe Auffassung wie Niebel schon im Wahlkampf vertreten hat.

Eine Auffassung, die eigentlich jedem einleuchten sollte; jedenfalls jedem, der denkt, statt unbedacht Phrasen in seinen Laptop zu hauen.

China ist nach der UdSSR und den USA das dritte Land, das die Technologie für eine bemannte Raumfahrt entwickelt hat. Jetzt arbeitet man daran, das zu erreichen, woran vor vierzig Jahren die führende Weltraum- Macht UdSSR gescheitert war: Menschen zum Mond zu schießen.

China produziert heute die fortgeschrittenste Hochtechnologie; nicht nur in der Unterhaltungselektronik, wo zum Beispiel achtzig Prozent aller weltweit produzierten DVD-Player in China hergestellt werden. Auch in der Militär- Technologie sind die Chinesen längst erstklassig.

Einem solchen sich mit Riesentempo hin zur technologischen Weltspitze bewegenden Land Entwicklungshilfe zu gewähren, ist etwa so einsichtig wie die Zahlung von Sozialhilfe an die "Aldi"- Gebrüder Albrecht. Wie also begründet unsere Polemikerin ihre harte Kritik an Niebel?

Sie argumentiert nicht damit, daß man den Chinesen helfen müsse, zu lernen, wie man High Tech produziert. Sondern es geht ihr - Sie werden es geahnt haben, lieber Leser - um das Schicksal unseres Planeten:
Verschmutzte allein China die Welt in den kommenden Jahren nur annähernd so wie wir im vergangenen Jahrhundert, kann man die Menschheit gleich abschreiben. Zu mehr Umwelt- und Klimaschutz werden wir die Entwicklungsländer aber nur dann glaubhaft drängen können, wenn wir ihnen die dafür nötige Technik nicht vorenthalten.
Ja, wer will denn China irgendwelche Umwelttechnik "vorenthalten"? Würden nicht deutsche Hersteller von Solardächern, von Windrädern oder von vollisolierten Fertighäusern diese nur allzu gern den Chinesen verkaufen? Nur eben verkaufen und nicht schenken; so wie ja auch die Chinesen uns ihre DVD-Player verkaufen und nicht schenken.

So ganz geheuer scheint Petra Pinzler ihr Argument allerdings auch selbst nicht zu sein, denn nun bringt sie die armen Afrikaner ins Spiel:
Unser Wissen kann sich über den asiatischen Umweg sogar in Afrika positiv auswirken: Denn dem Bauern im Kongo kann auch dadurch geholfen werden, dass beispielsweise die Preise für Solarzellen (dank chinesischer Massenproduktion) fallen – und er sie kaufen kann.
Ein wahrlich bestechender Gedanke. Bisher haben gerade grüne Ideologen immer wieder die Chancen betont, die für Deutschland im Export von Umwelt- Technologie lägen. Die Autorin Pinzler erfreut sich und uns Leser jetzt mit dem Gedanken, daß die Chinesen uns diesen Markt mit ihren Billigprodukten streitig machen. Wer sieht nicht ein, daß wir dies durch Entwicklungshilfe an China fördern sollten?



Wie ist soviel Unlogik, soviel an den Haaren herbeigezogene Argumentation möglich? Und wie kann jemand, der so undurchdacht argumentiert, auch noch die Chuzpe aufbringen, den zuständigen Minister abzukanzeln wie einen Schuljungen?

Vielleicht liegt die Antwort in einer seltsamen Schludrigkeit, die der Artikel enthält. Nämlich die Sache mit dem Süden. Bei der Kopenhagener Konferenz müsse "der Süden (müssen vor allem China und Indien) mitspielen", heißt es in dem Artikel.

Ob sie einmal einen Blick auf einen Atlas oder einen Globus geworfen hat, die Autorin Pinzler? China liegt zur Gänze auf der Nordhalbkugel, und zwar ziemlich weit weg vom Äquator. Seine Nordgrenze (53°30' nördlicher Breite) liegt auf demselben Breitengrad wie Hamburg (53°33'). Die Breite von Peking (39°54') lokalisiert sich zwischen der von Rom und derjenigen von Athen. Und selbst das südchinesische Shanghai (31°10') liegt noch weit nördlicher als die Südspitze des bekanntlich zu den Vereinigten Staaten von Nordamerika zählenden Staats Florida (Key West, Fla. 24°32').

Wie kommt unsere Autorin, deren Stärke die Geographie nicht ist, dazu, China in "den Süden" zu verlegen? Vielleicht stoßen wir hier auf den Kern jenes Denkens, aus dem heraus sie redet: "Der Süden" ist die Chiffre für das, was man früher einmal die "Dritte Welt" nannte. Jener Teil der Welt also, an dem der Weiße Mann sich einst versündigt hatte und dem wir nun Wiedergutmachung schulden.

Eben in Form von Entwicklungshilfe. Entwicklungshilfe für Umweltschutz. Weil ja auch die Gefährdung unseres Planeten das Sündenwerk des Weißen Mannes ist.

Zwar war China nie von Weißen kolonisiert; von wenigen Territorien wie Hongkong abgesehen. Zwar war China über die Jahrtausende selbst eine Kolonialmacht, die ihrerseits andere Völker geknutet hat und die das bis heute tut. Zwar könnte China aus eigenen Mitteln das Notwendige für den Umweltschutz tun; so wie es seine Taikonauten in den Orbit schießen und die zweitgrößte Militärmacht der Welt aufbauen kann.

Aber das zur Kenntnis zu nehmen würde das schöne Schema beschädigen, wonach der reiche Norden moralisch verpflichtet ist, dem armen Süden zu helfen.

Darum muß China im Süden liegen.



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