4. November 2009

Zettels Meckerecke: Was gehen, kruzi noch mal, italienische Kreuze Straßburger Richter an?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat entschieden, daß in Italien keine Kruzifixe in den Klassenräumen von Schulen hängen dürfen. Aus der gestrigen Meldung von "Welt- Online":
Das obligatorische Anbringen von Kruzifixen in Klassenzimmern von staatlichen italienischen Schulen verstößt gegen die Europäische Menschenrechts- konvention. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschieden. Geklagt hatte eine Italienerin, deren Kinder eine staatliche Schule besuchten, in der alle Klassenzimmer ein Kreuz an der Wand hatten.
Wie man sich denken kann, hat das im schließlich immer noch katholischen Italien einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Der Grund für diese Meckerecke ist nicht, daß ich für das Anbringen von Kreuzen in Klassezimmern wäre. Ich bin im Gegenteil der Meinung, daß der säkulare Staat die Freiheit der Religionsausübung sicherstellen, aber in seinen Einrichtungen religiöse Neutralität wahren sollte.

Ich bin auch nicht dagegen, daß betroffene Eltern, die ihre Kinder nicht dem Anblick eines Kruzifixes im Klassenzimmer aussetzen wollen, sich an die Gerichte wenden. Das BVerfG hat ja 1995 eine einschlägige Entscheidung getroffen, die das Anbringen von Kreuzen in deutschen Klassenzimmern nur dann erlaubt, wenn wenn es keinen Widerspruch von Eltern gibt. Ich sehe keinen Grund, dieses Urteil zu beanstanden.

Nur: Was, himmelkruzitürken, haben Richter in Straßburg den Italienern bei der Entscheidung hineinzureden, wie sie diese Frage handhaben? Hat Italien denn nicht eine eigene, demokratische Verfassung? Hat es denn nicht eine eigene Gerichtsbarkeit, die solch eine strittige Frage entscheiden kann und ja auch höchstinstanzlich entschieden hat?

Anders als das Grundgesetz räumt die italienische Verfassung einer Religion - der katholischen - eine bevorzugte Stellung ein. Wenn die italienischen Gerichte unter Bezugnahme darauf entscheiden, daß in Italiens Klassenzimmern Kruzifixe hängen dürfen, dann dürfen sie eben da hängen. Ihre Verfassung und deren Auslegung geht schließlich nur die Italiener etwas an.



Sollte man meinen. Aber das ist nicht so. Seit 1998 amtiert der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner jetzigen Form (es gab Vorläufer- Einrichtungen). Ihn kann jeder Bürger anrufen, der sich in seinen Menschenrechten verletzt fühlt.

Der Gerichtshof ist ein Monstrum, mit 47 Richtern in fünf "Sektionen". Jede Sektion wird so besetzt, daß "Ausgewogenheit" hinsichtlich Geographie und Geschlecht herrscht.

Auf welcher Grundlage urteilt dieses Gericht? Nicht etwa aufgrund einer europäischen Verfassung, die es nicht gibt und die es auf absehbare Zeit auch nicht geben wird. Es gibt überhaupt keine Gesetze, die dieses Gericht auszulegen und anzuwenden hat. Es gibt lediglich eine Konvention, und zwar die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten von 1950.

Eine Konvention ist eine Übereinkunft zwischen Staaten. Mit ihr verpflichten sich diese Staaten zur Einhaltung dessen, worüber man übereingekommen ist. Eine Grundlage für die Rechtsprechung durch internationale Gerichte ist eine Konvention normalerweise nicht; so wenig, wie das sonstige Übereinkommen zwischen Staaten sind.



Nun gut, es gibt diesen Gerichtshof nun einmal, und man wird ihn nicht mehr aus der Welt bekommen. Über ihn zu meckern erscheint mir gleichwohl angebracht. Auch der Verriß eines Buchs schafft dieses ja nicht aus der Welt.

Was also begründet die Idee, daß ein bunt zusammengewürfelter monströser Gerichtshof, der keine Gesetze, sondern nur eine Konvention auslegen und anwenden kann, kompetenter zu urteilen vermag als die jeweiligen nationalen Obersten Gerichte auf der Grundlage der jeweiligen nationalen Verfassungen?

Exakt nichts.

Wächst denn die Weisheit, wächst die juristische Qualität, wenn nicht mehr die obersten Richter eines Landes das letzte Wort haben, sondern irgendwelche drittklassigen, nach Straßburg entsandten oder weggelobten Richter, noch dazu nach Proporz ausgesucht?

Wird die Rechtssicherheit größer, wenn nicht mehr der Text der jeweiligen Verfassung letztinstanzlich gilt, sondern eine Konvention, die von Vagheiten nur so strotzt?

Und vor allem: Wer definiert eigentlich, was alles unter Menschenrechte fällt? Ist es wirklich eine Frage der Menschenrechte, ob ein Kind nichtchristlicher Eltern in einem Raum unterrichtet werden darf, in dem ein Kruzifix an der Wand hängt? Wird dieses Gericht vielleicht demnächst mit der Frage konfrontiert werden, ob es die Menschenrechte von Nudisten verletzt, wenn sie nur bekleidet in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten dürfen? Oder die Menschenrechte von Mosleminnen, wenn man ihnen verwehrt, in der Burka zur Arbeit zu erscheinen?



Wenn in einem Land die Menschenrechte verletzt werden, dann darf es nicht in die EU aufgenommen werden. Falls einmal der Fall eintreten sollte, daß ein Land, das dieses Kriterium bei seiner Aufnahme erfüllte, aufgrund beispielsweise einer Revolution oder eines Putsches zu einem die Menschenrechte verletzenden Land wird, dann muß die EU dagegen Maßnahmen ergreifen, so weit das immer das Recht erlaubt.

Wenn es aber keine Hinweise darauf gibt, daß ein Land die Menschenrechte nicht einhält, dann ist es die Aufgabe dieses Landes, über seine Verfassung und damit die Menschenrechte zu wachen. Und nicht der Job irgendwelcher Richter in Straßburg.

Die EU ist eine Gemeinschaft von Staaten, welche die Menschenrechte achten. Der Europäischen Konvention für Menschenrechte sind aber auch Länder wie Rußland, die Türkei, Moldawien, Armenien und Aserbeidschan beigetreten, die in Bezug auf die Verwirklichung der Menschenrechte noch entwicklungsfähig sind. Sie alle stellen Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Richter, die darüber urteilen dürfen, ob beispielsweise in einem demokratischen Rechtsstaat wie Italien ein Urteil des dortigen Obersten Verwaltungsgerichts nicht vielleicht gegen die Menschenrechte verstößt.



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